Französische Kriegsgefangene in Ingolstadt im Jahr 1870
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Französische Kriegsgefangene in Ingolstadt im Jahr 1870

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Fugger und Co.: Wie Bayern vom Kolonialismus profitiert hat

Deutschland war keine Kolonialmacht, so ein verbreitetes Vorurteil. Inzwischen wissen wir: Die Deutschen, darunter auch Bayern, haben von Kolonialismus und Sklaverei profitiert. Passt vielleicht nicht ins Selbstbild, ist aber leider wahr.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Deutschland, das sich selbst gern als Land der Dichter und Denker gibt, war zwar keine Sklavenhändlernation, aber zutiefst verstrickt in den Kolonialismus. Man muss sich nur auf die Suche nach Geschichten und Ereignissen begeben, die nicht so recht passen wollen ins geschönte Selbstbild.

Ein bayerischer Söldner unter spanischen Konquistadoren

Zu Beginn der 90er-Jahre führt der Regisseur Joseph Berlinger in Regensburg ein Theaterstück auf, das auf dem historischen Bericht eines Straubinger Landsknechts beruht. Ulrich Schmidel war mit den spanischen Konquistadoren durch das südliche Lateinamerika gereist. Er hatte Dörfer niedergebrannt, Indigene ermordet. Als er nach 20 Jahren zurückkehrt, schrieb er einen Bericht, ein Zeugnis des Schreckens und des brutalen Terrors, den die Europäer in der Neuen Welt verbreiteten.

Sind Taten, wie die des niederbayerischen Söldners Ulrich Schmidel, die Joseph Berlinger in einer eindrucksvollen Inszenierung abgebildet hat, eher selten oder kamen sie öfter vor? Der Historiker Jürgen Zimmerer, Professor für Geschichte in Hamburg, findet, wir sollten umdenken, wenn es um die Beteiligung der Deutschen am Kolonialismus geht.

Kolonialismus war ein transnationales Projekt

Das Argument, Deutschland sei nur relativ kurz Kolonialmacht gewesen, lässt er nicht gelten. Schließlich sei der Kolonialismus ein "transnationales Projekt" gewesen. So wie die spanischen Konquistadoren sich die Dienste eines Niederbayern erkauft hätten, hätten viele Kolonialprojekte auf "Experten aus anderen Ländern" gesetzt. "Das waren keine nationalen Unternehmungen", so Zimmerer.

Tatsächlich beginnt die Geschichte des deutschen Kolonialismus in Augsburg, im 16. Jahrhundert neben London, Paris und Venedig eine der größten und wichtigsten Städte Europas. Die Fugger versichern den aufkommenden Dreieckshandel, der sich zwischen Europa, Afrika und der Neuen Welt entwickelt. Die weniger bekannten Welser lassen sich von Kaiser Karl V. Venezuela als Lehen überschreiben. Er räumt ihnen auch das Recht ein, über 4.000 Versklavte aus Afrika zu erwerben und verkaufen. Die Welser errichten ein Schreckensregime, Gefolgsleute lassen Indigene, die ein Schwert gestohlen haben, von Kampfhunden zerfleischen.

Auch die Augsburger Fugger profitierten von Kolonialprojekten

Über solche Gräueltaten kann man sich im "Fugger und Welser Erlebnismuseum" in Augsburg informieren. Noch immer seien die Fugger hauptsächlich als Tuchhändler bekannt – und von den Welsern wisse heute kaum mehr jemand, meint Katharina Dehner, die als Historikerin die Dauerausstellung betreut. Für viele Besucherinnen und Besucher sei die Konfrontation mit deren kolonialen Verstrickungen daher eine Überraschung. "Man ist dann auch ein bisschen erschrocken, wenn man das mit Venezuela hört", sagt die Historikerin, "weil viele dann sagen: Mensch, das war uns gar nicht bewusst!"

Auch wenn Deutschland beim Sklavenhandel keine große Rolle gespielt hat, es war eingebunden in die Ausbeutung der Neuen Welt. Ganz ähnlich wie die Schweiz, wie der Autor Hans Fässler gezeigt hat. Er fand heraus, wer die prächtigen Gebäude und all die eindrucksvollen Paläste in den Schweizer Städten im 17., 18. und 19. Jahrhundert erbauen ließ: Tuchhändler waren es, Kaufleute und Kakaoimporteure, Menschen also, die mit dem Handel aus Übersee Reichtümer anhäuften.

Vom Kolonialismus zum "Raubbaukapitalismus"

Wir Europäer hielten Schokolade ja für ein Schweizer Produkt, tatsächlich sei es aber eine koloniale Ware, die ohne Sklavenarbeit nicht vorstellbar sei, schreibt Fässler. Die Welt, die den Europäerinnen und Europäern ganz selbstverständlich als Reservoir unendlicher Ausbeutung zur Verfügung steht – das sei eine typisch-koloniale Haltung, meint der Historiker Jürgen Zimmerer.

Der Kolonialismus sei auch eine Art "Raubbaukapitalismus", der es den Europäern möglich gemacht habe, permanent über ihre Verhältnisse zu leben. "Und diese Wirtschaftsform, mehr zu verbrauchen als man hat, bringt uns jetzt im Zusammenhang mit dem Klimawandel in Probleme. Wir sind es in Europa so gewöhnt, uns über Konsum und Raubbau zu definieren, dass wir uns gar nicht vorstellen können, dass die Welt endliche Ressourcen hat."

Mehr zum Thema erfahren Sie im Bayern2-Feature "Die Wildfremden und wir: Bayerisch-deutsche Verstrickungen in den Kolonialismus". Hier geht's zum Podcast.

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