Die Münchner Kammerspiele waren im Frühjahr ins Krisengerede gekommen, nachdem die Platzauslastung zwischenzeitlich bei bescheidenen rund 55 Prozent gelegen hatte. Als Grund für die schlechten Zahlen machte die Süddeutsche Zeitung die auf deutschen Bühnen grassierende "Projektifizierung und Performeritis" aus. Egal ob man diesen Befund und die daraus abgeleitete Kritik teilt oder nicht: Die Diskussion um die Münchner Kammerspiele ist symptomatisch für die Debatte um deutsche Stadt- und Staatstheater überhaupt. Es geht um die Frage, was die Theater leisten und ihrem Publikum bieten sollen, und – wo sie ihren Auftrag womöglich verfehlen.
Ziel: mehr verschiedene Menschen erreichen
Barbara Mundel zeigt sich da im BR-Interview entschieden: Sie hat sich fest vorgenommen, den Turnaround zu schaffen und wieder mehr Zuschauer ins Theater locken. An der grundsätzlichen Ausrichtung ihres Konzepts aber ändert sich nichts: Die Kammerspiele sollen nicht nur ein Haus für möglichst viele Menschen sein, sondern vor allem für möglichst viele verschiedene. Also nicht nur für das klassische Abonnenten-Publikum, sondern auch für Menschen mit Migrationshintergrund, für die Queer-Community und viele mehr.
Ort der Diversität und Begegnung
Mundel versteht das Theater als Ort , in dem sich unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen und Generationen begegnen können: "Wir haben den Anspruch, ein Haus für sehr viele Menschen sein zu wollen, vor allen Dingen auch, um diesen Dialog herzustellen zwischen Generationen, zwischen Communities – wir können nicht für eine Community in einer Stadt Theater machen." Das sei, so die Intendantin, das großartige bei so einem öffentlichen Ort, dass man versuchen müsse, sehr unterschiedliche Menschen anzusprechen, um überhaupt solche Räume zu schaffen, in denen man etwas gemeinsam erlebt. "Deswegen müssen wir unterschiedliche Zielgruppen ansprechen, aber die müssen sich dann ja treffen bei uns."
- Zum Artikel: Wieseo die Kammerspiele "Antigone" in leichter Sprache aufführen
Neue Vermittlungsstrategien
An ihrem Kurs also hat die Intendantin der Kammerspiele nichts geändert, aber sie hat die Kommunikation verstärkt, um für ihren Kurs zu werben: "Wir haben andere Formen von öffentlichen Proben eingeführt, um frühzeitig in Kontakt zu kommen mit dem Publikum und abzuholen, was die Menschen sehen und was sie verstehen und was sie nicht verstehen".
Um auch Menschen abseits des angestammten Publikums in die Kammerspiele zu locken gibt es englische Übertitel und die Tickets für alle unter 30 – nicht nur für Studierende – kosten nur zehn Euro. "Wir haben zum Beispiel verstanden, dass die jungen, sehr gut ausgebildeten türkischen Menschen, die jetzt neu in die Stadt kommen, sehr gut Englisch sprechen, aber nicht wissen, dass es in einem Theater englische Übertitel gibt und deswegen gar nicht dachten und wussten, dass ein Ort wie die Münchner Kammerspiele überhaupt für sie etwas anbieten kann. Und solche Erkenntnisse versuchen wir jetzt verstärkt in unsere Kommunikation mit einzubeziehen, um die Menschen überhaupt anzusprechen und klarzumachen, das sind eure Themen."
Auftakt mit Salzmanns "Im Menschen muss alles herrlich sein"
Die Saison 2023/24 startet am 30. September mit der Premiere von "Im Menschen muss alles herrlich sein" nach dem Roman von Sasha Marianna Salzmann. Salzmann, Jahrgang 85, ist in Moskau aufgewachsen und mit zehn Jahren als sogenannter jüdischer Kontingentflüchtling mit der Familie nach Deutschland gekommen. Der Roman erzählt von Frauen in einer Umbruchszeit, nämlich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bis heute. Zum einen erfüllt dieser Stoff Mundels Bemühen, dass nicht immer nur aus männlicher, weißer Perspektive erzählt wird. Zum anderen aber verspricht Regisseur Jan Bosse von seiner Inszenierung des Stücks auch "Schauspielertheater", also eher herkömmliche Schauspielkunst, die das Stammpublikum ansprechen soll.
Das Stück hat also das Zeug dazu, möglichst viele Menschen möglichst breit einzubinden und wird vielleicht der Anfang des Umschwungs sein. Diesen Turnaround will Barbara Mundel auf jeden Fall in der jetzt starteten Spielzeit schaffen: "Ich glaube, wir müssen das diese und nächste Spielzeit schaffen, dass das Publikum nennenswerter wiederkommt. Das ist nicht nur für die Politik, das ist auch für uns wichtig. Ich spüre keinen Druck, aber den starken Wunsch, dass wir das schaffen müssen und schaffen wollen."
Eine Besprechung von Salzmanns "Im Menschen muss alles herrlich sein" hören Sie am 1. Oktober 2023 12:05 in der kulturWelt auf Bayern 2.
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