Für ihre wegweisende Forschung, die zur Entwicklung von Corona-Impfstoffen führte, werden die Ungarin Katalin Karikó und der US-Wissenschaftler Drew Weissman mit dem diesjährigen Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet. Die Vollversammlung des Stockholmer Karolinska-Instituts gab um 11.45 Uhr die Träger des ersten Nobelpreises dieses Jahres bekannt, der Tradition entsprechend waren es die Träger des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin.
Favoritensieg mit Forschung für mRNA-Impfstoffe
Karikó und Weissman waren vorab von Beobachtern bereits als Favoriten für die diesjährige Auszeichnung genannt worden. Karikó, 1955 in Ungarn geboren, arbeitet derzeit an den Universitäten Pennsylvania/USA und Szeged/Ungarn, Weissman (64) an der Universität Pennsylvania/USA. In Pennsylvania forschten beide auch lange zusammen.
Sie werden "für ihre Entdeckungen über die Veränderungen der Nukleobasen ausgezeichnet, die die Entwicklung von wirksamen mRNA-Impfstoffen gegen Covid-19 ermöglicht haben", teilte das Nobel-Komitee in Stockholm mit. Die mRNA-Technologie ebnete den Weg für die Corona-Impfstoffe von Biontech/Pfizer und Moderna.
"Bahnbrechende Resultate" als Grundlage für Corona-Vakzine
"Durch ihre bahnbrechenden Resultate, die unser Verständnis davon, wie mRNA mit dem menschlichen Immunsystem interagiert, grundlegend verändert haben, trugen die Preisträger zu dem beispiellosen Tempo der Impfstoffentwicklung während einer der größten Bedrohungen für die menschliche Gesundheit in moderner Zeit bei", hieß es vom Nobel-Komitee.
Die Impfstoffe hätten "Millionen von Menschen das Leben gerettet und bei vielen weiteren schwere Erkrankungen verhindert, sodass sich die Gesellschaften öffnen und zu normalen Bedingungen zurückkehren konnten", hieß es zur Begründung der Preisvergabe.
Die beeindruckende Flexibilität und Geschwindigkeit, mit der mRNA-Impfstoffe entwickelt werden könnten, ebne den Weg auch für Impfstoffe gegen andere Infektionskrankheiten, so das Komitee weiter: "In Zukunft könnte die Technologie auch zur Verabreichung therapeutischer Proteine und zur Behandlung bestimmter Krebsarten eingesetzt werden."
Preisvergabe soll Impfskeptiker überzeugen
Die Vergabe-Institution des Medizin-Nobelpreises hofft zunächst jedoch darauf, dass die diesjährige Auszeichnung das Vertrauen zögerlicher Menschen in die Corona-Impfstoffe stärken wird. Er denke zwar nicht, dass sich die entschiedenen Impfgegner in irgendeiner Weise ändern ließen, sagte der Mediziner Olle Kämpe vom zuständigen Nobel-Komitee bei der Preisbekanntgabe. Er denke jedoch, dass ein Nobelpreis für diese Impfstoffe gegen Covid-19 zögernde Menschen dazu bringen könne, sich für eine Impfung zu entscheiden und Gewissheit zu haben, dass diese effektiv und sicher sei.
"Eine bessere Wahl für den Nobelpreis könnte es nicht geben", schrieb Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach auf der Plattform X zu der Entscheidung des Nobel-Komitees: "Ohne sie wären Millionen Menschen mehr an Covid gestorben."
Karikó war immer überzeugt vom mRNA-Konzept
Die Corona-Impfstoffe des Mainzer Unternehmens Biontech und des US-Konzerns Moderna waren die ersten zwei mRNA-Produkte, die auf den Markt kamen. An der Technik bastelten Forscher jedoch schon vor mehr als 30 Jahren. Bereits Ende der 1980er Jahre schleusten drei Wissenschaftler – Robert Malone, Phil Felgner und Inder Verma – mRNA mithilfe von Fetttröpfchen in angezüchtete Zellen ein und brachten diese dazu, das gewünschte Protein herzustellen.
Doch bald keimte die Gentechnik auf, in die viele Fördermittel flossen. Die damals in Ungarn forschende und jetzt ausgezeichnete Katalin Karikó glaubte jedoch weiterhin an den Nutzen der mRNA für die Medizin. Sie blieb dem Molekül auch treu, als sie 1985 in die USA emigrierte.
Jahrelange Tätigkeit für Biontech
Aus Mangel an Fördergeldern forschte Karikó im Labor zunächst weitgehend auf sich allein gestellt, ab 1998 auch mit Drew Weissman. Der entscheidende Durchbruch gelang dem Forschungsduo, als es einen Baustein der mRNA austauschte und die mRNA daraufhin nicht mehr in der Zelle abgebaut wurde. Die Versuchsmäuse produzierten das gewünschte Protein.
Trotz weiterer Tiefschläge setzte Karikó ihren Weg fort und traf 2013 Ugur Sahin, der mit seiner Frau Özlem Türeci Biontech gegründet hatte. Er habe ihr noch am selben Tag einen Job angeboten, sagte Karikó der "New York Times". Nach jahrelanger Zusammenarbeit hat sie das Unternehmen verlassen und ist seit Anfang Oktober 2022 nur noch dessen Beraterin.
Preisträger reagieren ungläubig auf Auszeichnung
Trotz ihrer Favoritenrolle reagierten Katalin Karikó und Drew Weissman ungläubig auf die Verleihung des Nobelpreises. Als sie vom schwedischen Rundfunk (SR) kontaktiert wurde, glaubte Karikó die Nachricht zunächst nicht und reagierte mit einem Lachen. "Das ist unglaublich", sagte sie. Ihre ersten Gedanken galten ihrer Mutter, die immer an sie geglaubt habe. Diese habe sich schon vor zehn Jahren die Ankündigungen des Nobel-Komitees angehört, "als ich noch nicht einmal Professorin war", sagte Karikó. Jahr für Jahr habe ihre Mutter zugehört. Vor fünf Jahren sei sie leider verstorben. "Vielleicht hat sie aus dem Himmel gelauscht", sagte Karikó.
Auch Drew Weissman glaubte zunächst an einen Scherz, als man ihm die Nachricht überbrachte. "Ich saß auf meinem Bett und wartete", erzählte der 64-Jährige dem Sender SR. "Wir haben uns gefragt, ob uns jemand einen Streich spielt". Auf die Frage, wie er die Auszeichnung feiern würde, sagte Weissman, er sei kein "großer Partygänger". "Aber ich werde wahrscheinlich mit meiner Familie ausgehen, wir werden ein gutes Abendessen einnehmen und dann werde ich mich wieder an die Arbeit machen."
Die Laureaten Nr. 226 und 227
Seit der ersten Auszeichnung im Jahr 1901 haben mit den neuen Preisträgern insgesamt 227 Menschen den Medizin-Nobelpreis erhalten. Im Vorjahr jedoch war die prestigeträchtige Auszeichnung an einen einzelnen Preisträger gegangen: Der in Leipzig arbeitende schwedische Evolutionsforscher Svante Pääbo wurde damit für seine bahnbrechenden Erkenntnisse zur menschlichen Evolution geehrt.
Start des Nobelpreis-Reigens
Die Nobelpreis-Saison verläuft alljährlich nach demselben Muster: Nach der Kategorie Medizin stehen am Dienstag und Mittwoch die Preisbekanntgaben in Physik und Chemie an, dann folgt am Donnerstag der Literaturnobelpreis. Am Freitag wird dann der diesjährige Friedensnobelpreisträger gekürt – das ist der einzige der Nobelpreise, der nicht in der schwedischen Hauptstadt Stockholm, sondern in der norwegischen Hauptstadt Oslo bekannt gegeben wird. Zurück in Stockholm, folgt dann am darauffolgenden Montag der Nobelpreis in der Kategorie Wirtschaftswissenschaften.
Forschung zum Nutzen der Menschheit
Die Nobelpreise gehen auf das Testament des Dynamit-Erfinders und Preisstifters Alfred Nobel (1833–1896) zurück. Sie sollen diejenigen ehren, die der Menschheit in den einzelnen Kategorien im vorangegangenen Jahr den größten Nutzen erwiesen haben. Die zeitliche Vorgabe beachten die Vergabe-Institutionen meist nicht so genau. Feierlich überreicht werden die Preise traditionell am 10. Dezember, dem Todestag von Nobel.
Eines ist in diesem Jahr anders als in den Vorjahren: Das Preisgeld, das pro Kategorie ausgeschüttet wird, wurde von der Nobelstiftung um eine Million schwedische Kronen auf nun elf Millionen Kronen heraufgesetzt. Nach jüngstem Umrechnungskurs sind das rund 950.000 Euro.
- Zum Artikel "Zeitreise: Die Nobelpreis-Geschichte"
Mit Informationen von dpa
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