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Haifisch und U-Boot: Disco-Styling im Vitra-Design-Museum

Haifisch und U-Boot: Disco-Styling im Vitra-Design-Museum

Einstmals subversiv, kriminell und nur mit Drogen erträglich, wurden Tanztempel in den Siebzigern zunehmend kommerzielle "Themenparks". Das sich wandelnde Design der coolsten Clubs ist jetzt in Weil am Rhein zu bewundern. Von Christian Gampert.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Die Disco-Welle erreichte ihren Höhepunkt 1977 mit dem Film „Saturday Night Fever“. Der ekstatisch das Becken schwingende John Travolta und die zu Funk-Rhythmen wie kastriert kreischenden „Bee Gees“ waren aber keineswegs die Erfinder des Genres. Disco war schwarze, aus dem Soul entwickelte Musik, die der stämmige amerikanische Rocker ablehnte – und die dann trotzdem auch zu einem weißen Mainstream-Phänomen wurde, mit Michael Jackson als schwarzem Superstar. Denn abtanzen wollten fast alle.

Halbwelt und Prohibition

Es gibt allerdings eine lange Vorgeschichte. Und die beginnt eigentlich mit den zwanziger Jahren, als die Tanzlokale in Berlin mit der Halbwelt und in New York mit der Prohibition zu tun hatten. Die Ausstellung im Vitra-Design-Museum beginnt trotzdem erst später, und zwar, wie Kurator Jochen Eisenbrand sagt, mit gutem Grund:

Wir haben uns entschieden, mit den sechziger Jahren anzufangen, weil sich in den sechziger Jahren erst so eine eigene Jugendkultur entwickelt, für die diese Clubs ein Aufenthaltsort sind und eine Art Plattform, ein Ort, an dem verschiedene Dinge ausprobiert werden können.

Subversive Räume - "Expanded Cinema"

Da beginnt die Subkultur. In den Clubs und Jugendhäusern treten Bands auf, es finden Diskussionen, Theater, Ausstellungen statt – und es gibt eine eigene, subversive Raum-Typologie. In Weil am Rhein sieht man zunächst italienische Club-Interieurs, wo mit verschiebbaren Möbeln multifunktionale Räume geschaffen werden, eine Bühne zur theatralisch-tänzerischen Selbstdarstellung. Da beginnt bereits die Symbiose von Kommerz und Ausgeh-Kultur: das „Space Electronic“ in Florenz ist bereits inspiriert vom New Yorker „Electric Circus“, einem begehbaren Kunst-Environment, das sich mit seinen Overhead-Projektionen als „Expanded Cinema“ verstand.

Drogen und Flüssigkeiten

Die zerlaufenden Flüssigkeits-Bilder unter Glasplatten konnte man nur unter Drogen und mit psychedelischer Musik verstehen – noch war der Underground mit im Spiel. Dann aber schlug der Kapitalismus zu. 1973 wurde in München-Schwabing das futuristische Einkaufszentrum „Schwabylon“ eröffnet – mit Haifischbecken und der Riesen-Disko „Yellow Submarine“. Ein Jahr später war es pleite. Die Disko als Themenpark gab es aber auch in Amerika: das „Area“ in New York bot in den 1980iger Jahren jede Woche ein neues Bühnenbild, von Science Fiction bis zum Roadmovie.

Das sind Orte des Eskapismus, wo man dem Alltag entflieht. Es sind deswegen aber auch Orte, wo sich Leute begegnen, die sich im Alltag nicht unbedingt begegnen würden. - Jochen Eisenbrand

Künstliche Klapperschlange

Einen illuminierten Dancefloor mit Kopfhörer-Musik von House bis Techno gibt es auch in der Ausstellung. Und die Einsicht, dass die Disko-Clubs in den siebziger und achtziger Jahren vor allem von den Ausgegrenzten, von den Schwarzen und den Schwulen, als Orte der Gegenkultur genutzt wurden. In der New Yorker „Paradise Garage“ sorgte Keith Haring für die Wandgemälde, im „Studio 54“ waren Jean-Michel Basquiat und Grace Jones die Stars. Letztere kroch für ihre theatralischen Auftritte aus dem Maul einer künstlichen Klapperschlange. In Deutschland bekam die Club- und Discokultur nach dem Fall der Mauer noch einmal einen großen Schub, vor allem natürlich in Berlin.

Weil ist Ostberlin viele Räume frei wurden, Besitzverhältnisse nicht geklärt waren. Oder auch nicht geklärt war, was aus diesen Gebäuden mal wird. Und wo Clubbetreiber einfach in diese Gebäude eingezogen sind, häufig mit temporären Bewilligungen, 13.49 und da dann Clubnächte inszeniert haben. - Jochen Eisenbrand

"Weiße Leute, die nicht tanzen können"

Techno in Ruinen – das war und ist der letzte Schrei. Der Berliner Club „Tresor“ residierte in den Safe-Räumen eines ehemaligen Kaufhauses, das „Berghain“ befindet sich in einem alten Heizkraftwerk. Zwar heißt es, Techno sei „Music for white people who can’t dance“. Die Ausstellung im Vitra-Museum aber macht Lust auf Bewegung und erzählt die Stilgeschichte der Clubkultur so bunt und genau, dass man sogar über die seichte Musik des zentral gezeigten Travolta-Videos gern hinweg sieht.

Bis 9. September in Weil am Rhein.