Der Regisseur beim Schlussapplaus von "Don Carlos"
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Achim Freyer in Meiningen

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"Harter Weg": Warum Achim Freyer mit 90 noch inszeniert

"Harter Weg": Warum Achim Freyer mit 90 noch inszeniert

In Meiningen hat er gerade Verdis "Don Carlos" inszeniert und ist dabei seinem Ideal des Gesamtkunstwerks treu geblieben: Freyer schafft seine eigenen Bildwelten. Die Polarisierung der Gesellschaft fürchtet er und "klammert sich" an die Kunst.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Mitspielen kann er in seinem Alter nicht mehr, wie früher, als er bei den Proben gern vormachte, wie er sich eine Szene vorstellte. Heute schickt er seine Assistenten auf die Bühne. Der gebürtige Berliner Achim Freyer ist inzwischen 90, was ihm allerdings nicht anzusehen ist. Bei der Premiere seiner Inszenierung von Verdis "Don Carlos" in Meiningen, wo viele unterfränkische Theaterfreunde, vor allem aus Würzburg, hin pilgern, war er förmlich ausgelassen und tänzelte ein paar Schritte durch die Kulisse.

"Lust, Verzweiflung, Engagement"

Freyer ist leidenschaftlicher Allround-Künstler: Maler, Illustrator und Grafiker. Er hat Kunst-Filme gemacht, Schauspiel und Musiktheater inszeniert. 1972 flüchtete er aus der DDR in den Westen und ist seitdem viel beschäftigt. Aber mit 90 hören andere eben doch allmählich auf. Was lässt ihn nicht ruhen? "Na, das Bild der Bilder malen, das ist mein Ziel, über Theater, über alles", so der Künstler gegenüber dem BR: "Aber da kommt man nicht einfach hin, indem einem was einfällt, sondern das ist ein harter Weg, voller Lust, voller Verzweiflung, auch voller Engagement."

Achim Freyer ringt mit dem perfekten Gesamtkunstwerk: Er stattet seine Arbeiten komplett aus, entwirft für die Mitwirkenden keine Kostüme, sondern "Skulpturen", wie er es ausdrückt. Beim "Don Carlos" waren sie aus Schaumstoff. Gezeigt werden Menschen, die irre werden an den Verhältnissen: "Die Industrialisierung hat sich ja längst in eine Welt entwickelt, die wir gar nicht mehr fassen können. Wir brauchen Abstände, um überhaupt noch sehen zu können, was passiert. Wir überrennen uns selbst, das ist alles eine Folge der Romantik."

"Kunst macht Kinder glücklich"

Natürlich macht die Spaltung der Gesellschaft Achim Freyer Sorgen, speziell nach den Landtagswahlen. Ihm sind während der Probenzeit in Meiningen viele schwarz gekleidete Jugendliche mit Kurzhaarschnitten und Propaganda-T-Shirts aufgefallen, rechte Parolen seien zu lesen gewesen, gern werde in der Fußgängerzone mit lauten Motorrädern provoziert.

Er klammere sich angesichts solcher Beobachtungen förmlich an die Kunst, seufzt er: "Ich weiß, wenn Kinder Theater spielen oder malen und Musik machen, sind sie glücklich und sind nicht aggressiv und gefährlich, wie heute Kinder manchmal sind. Die Förderung von Kultur in den Schulen und Kindergärten ist unglaublich wichtig."

Bildrechte: Christina Iberl/Staatstheater Meiningen
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Finale: Skulpturen in Pose

"Ich gehöre mit in diesen Kreislauf"

So umfassend, wie Freyer an seine Projekte herangeht, ist er mit anderen Multitalenten wie Robert Wilson vergleichbar. Was bemerkenswert ist: Auf jede Art von optischer Aktualisierung verzichtet Freyer konsequent, "Straßenanzüge" sind ihm auf der Bühne ein Graus, sodass einige seiner Arbeiten sage und schreibe 50 Jahre auf dem Spielplan von Theatern stehen und trotz 400 Vorstellungen kaum altern.

Dabei hält er sich für durchaus "aktuell": "Ich merke, wenn ich eine Woche nicht male, geht es mir sehr schlecht. Ich werde depressiv und merke, ich mache nichts an diesem Tag. Täglich ändert sich so viel in der Welt, das muss auch in meiner Kunst passieren. Ich gehöre mit in diesen Kreislauf."

Achim Freyer: Auch mit 90 noch Lust, die Welt zu verbessern

Achim Freyer hat auch mit 90 nicht die Lust verloren, die Welt zu verbessern oder jedenfalls mitzugestalten, und das trotz aller Enttäuschungen, mit denen eine so lange Karriere zwangsläufig verbunden ist. Verdis "Don Carlos" wurde denn auch ein Publikumserfolg, gemessen am Beifall. Freyer lässt seine Solisten stets dieselben prägnanten Gesten wiederholen, als ob ein Marmorstandbild einen beweglichen Arm hat und damit monoton Hilfe herbeiwinkt, denn eigentlich funken alle diese verklemmten, blockierten Funktionsträger SOS, sogar der König. Die zentrale Botschaft des Abends: Weitermachen und die Ideale nicht aufgeben, auch wenn immer wieder das Unrecht triumphiert.

Mit 90 so viel Zuversicht und Durchhaltevermögen zu haben, ist beneidenswert: Achim Freyer reist in diesen Tagen nach Berlin und Stuttgart, um alte, immer noch aufgeführte Inszenierungen zu kommentieren und macht sich dann an Wagners "Fliegenden Holländer" am Theater in Altenburg-Gera. Das "Bild der Bilder" wartet noch auf ihn.

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