Eine weiße Friedenstaube auf einer Regenbogenfahne.
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"Irrationale Strategie": Warum Menschen Frieden so schwerfällt

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, Bürgerkrieg in Syrien, Krieg in Nahost – die Auseinandersetzungen vermitteln den Eindruck: Frieden, das ist eine naive Illusion. Warum kommt es so oft zu Konflikten zwischen Menschen?

Über dieses Thema berichtet: STATIONEN am .

Hautfarbe, Nation oder Religion spalten immer wieder die Menschen. Aber warum? Am Institut für Sozial- und Rechtspsychologie der Universität Mainz geht der Psychologe Roland Imhoff der Frage nach, warum sich Menschen so stark mit einer sozialen Gruppe identifizieren – so stark, dass sie sogar bereit sind, für diese in den Kampf zu ziehen.

Eine Vermutung: Soziale Kategorien geben Sinn und Orientierung – in einer globalisierten Welt mit über acht Milliarden Menschen bräuchten wir das mehr denn je, sagt Roland Imhoff: "Wir sehen nicht mehr Individuen, sondern wir sehen Deutsche und Chinesen, Männer und Frauen, Schwarze und Weiße, Alte und Junge. Und diese Kategorien verknüpfen wir irgendwie mit Stereotypen, das heißt mit Attributen oder Eigenschaften, denen wir diesen Kategorien unterstellen."

Experiment zeigt, wie aus sozialen Kategorien Konflikte werden

Ein über 50 Jahre altes Experiment zeigt, welcher psychische Mechanismus wohl dahintersteckt. Bei dem Versuch bekommen die Probanden Bilder mit Punkten zu sehen und müssen die Anzahl der abgebildeten Punkte schätzen. Nachzählen können sie die Punkte nicht, dazu sehen sie jedes Bild viel zu kurz. Im zweiten Schritt präsentiert ihnen die Computersoftware dann das Ergebnis ihrer Schätzung: Sie gehören entweder zur Gruppe der "Unterschätzer" oder "Überschätzer", heißt es auf dem Bildschirm.

Tatsächlich ist dieses Ergebnis völlig willkürlich, die Zuordnung Über- oder Unterschätzer beruht auf einem in die Software eingebauten Zufallsgenerator – und nicht auf den Schätzungen der Probanden. Das ist von den Experimentatoren auch so gewollt. Denn eigentlich geht es ihnen überhaupt nicht um das Schätzen, sondern um etwas ganz anderes.

Worum – das zeigt der dritte Schritt des Experiments. Nun bekommen die Probanden eine Aufgabe: Sie sollen virtuelles Geld verteilen – und zwar nach dem Schema einer Matrix. Es gibt drei Optionen: Entweder sie geben einem Mitglied ihrer Gruppe möglichst viel Geld – dann bekommt aber automatisch das Mitglied der anderen Gruppe viel mehr. Umgekehrt: Geben sie ihrem Gruppenmitglied mehr als dem "gegnerischen", dann sinkt der Verdienst für beide Gruppen enorm. Die Mitte der Matrix: Beide Mitglieder bekommen gleich viel – eine eher selten gewählte Verteilungsstrategie, wie Forscher in zahlreichen Wiederholungen des Experiments mit unterschiedlichen Probanden zeigen konnten.

Denn in den meisten Fällen verteilen die Versuchsteilnehmerinnen und Versuchsteilnehmer ihr Geld rechts der Mitte: Sie wollen, dass das Mitglied ihrer Gruppe mehr hat als das der anderen – und das selbst dann, wenn sie dadurch absolut viel schlechter wegkommen.

"Womit die Originalstudie Aufsehen erregt, ist, dass die eigentlich irrationale Strategie, nämlich beiden weniger zu geben, nur damit die Person aus meiner Gruppe mehr hat als die aus der anderen Gruppe, doch eine relativ häufig gewählte Strategie ist", sagt der Psychologe Roland Imhoff. "Das heißt, ich schade eigentlich dem Mitglied meiner Gruppe, aber ich sorge dadurch dafür, dass meine Gruppe relativ bessergestellt ist als die andere Gruppe."

Wir schaden unserer Gruppe, nur damit wir besser als die anderen dastehen – warum tun wir das?

In dem Versuch geht es also gar nicht ums Punkteschätzen, sondern darum, wie stark sich Probanden mit einer für den Alltag völlig unerheblichen, sozialen Kategorie – den Über- oder Unterschätzern – identifizieren. Eindrücklich zeigt das Experiment: Menschen, die gesagt bekommen, Teil einer bestimmten Gruppe zu sein, wollen besser sein als die andere, gegnerische Gruppe.

Laut Roland Imhoff hat das unter anderem damit zu tun, dass wir uns selbst aufwerten, indem wir unsere Gruppe aufwerten: "Wir ziehen unseren Selbstwert aus diesen sozialen Kategorien. Und einen positiven Selbstwert erreichen wir, wenn alle diesen sozialen Kategorien besser sind als ihres jeweiligen Gegenparts."

Allein dadurch, dass wir uns zu einer sozialen Gruppe zuordnen, werten wir Menschen, die nicht dazugehören, also ab. Dieser tief sitzende psychische Mechanismus kann leicht zu Konflikten zwischen sozialen Gruppen führen – und macht Frieden so schwer.

Mehr zum Thema "Frieden - Was macht ihn so schwer" in der Sendung STATIONEN in der ARD Mediathek.

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