Die ersten Minuten dieses neuen Münchner Tatorts wirken wie ein Bewerbungsvideo Bayerns zum Wettbewerb: Schönstes Bundesland Deutschlands 2023. Malerische Dorf-Kulisse, winkende Produkt-Königinnen im Dirndl, lachende Kinder, Traktor-fahrende Burschen in Lederhosen – das ganze untermalt mit Blasmusik der wahrscheinlich erfolgreichsten Pop-Brass Band Deutschlands – LaBrassBanda aus dem Chiemgau.
Die Kriminalhauptkommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) sowie der frisch beförderte Kriminaloberkommissar Kalli Hammermann (Ferdinand Hofer) steigen aus ihrem Wagen mit Münchner Kennzeichen und wirken wie Fremdkörper in dieser Idylle – aber es gibt hier eben einen Mordversuch aufzuklären.
Der Fall: Ein Mordversuch beim Gipfeltreffen der bayerischen Produkt-Königinnen
Der Präsident des Bavaria-Bundes (Wolfgang Fierek) wurde mit einem Bolzenschussgerät attackiert und liegt seitdem auf der Intensivstation. Die Kommissare finden heraus, dass das Opfer seine Position für sexuelle Übergriffe ausgenutzt hat: Keine Königin war vor seinen Belästigungen sicher. Jede hätte also ein Motiv, es ihm heimzuzahlen – die Organisatorin des Königinnentages, Sylvia (Veronica Ferres), eingeschlossen. Die Ermittler tauchen ein in die vermeintlich heile Welt der Gemüse-Monarchie und ermitteln zwischen Heuballen, Traktoren und weißblauen Wimpeln.
Klingt erst einmal nach Fiktion, ist aber eine Welt, die es in Deutschland so tatsächlich gibt. Erst im Januar haben sich zum 13. Mal Produktköniginnen und -könige aus ganz Deutschland bei der "Internationalen Grünen Woche" in Berlin getroffen. 144 Hoheiten, die für ihre Regionen werben und Produkte aus allen Agrarbereichen repräsentieren. Da gibt es zum Beispiel die Abensberger Spargelkönigin, die Hessische Milchkönigin, die Holunderkönigin oder die Holzländer Bierkönigin.
Humorvoll trotz ernsthafter Thematik
Das Drehbuch von Robert Löhr führt im Tatort scheinbare Gegensätze als Culture-Clash zusammen: Stadt trifft auf Land, jung auf alt, Moderne auf Tradition. Und die Story funktioniert, schafft humorvolle Momente trotz der ernsthaften #metoo-Problematik, die unweigerlich über dem ganzen Tatort schwebt und der so eine gesellschaftliche Relevanz bekommt.
Veronika Ferres sieht das auch so: "Das Drehbuch ist hervorragend geschrieben, sehr kurzweilig, sehr komisch – trotz der Ernsthaftigkeit des Falles. Diese Sehnsüchte, diese Träume der jungen Mädchen, die gerne Königinnen ihres Produktes sein möchten – wie andere abgebrühte Menschen mit diesen Träumen umgehen, um daraus für sich Vorteile mitzunehmen, daraus Profit zu schlagen, das hat mich sehr bewegt und das passiert heute – tagtäglich und überall."
Geschlechts-Stereotype durchbrechen: Queere Schauspielerin Phenix Kühnert
Der Tatort zeigt sich weltoffen und als Film-Marke, in der Geschlechts-Stereotype keinen Platz haben sollen: Schauspielerin, Buchautorin, Model, Speakerin und LGBTQIA-Aktivistin Phenix Kühnert spielt die Aichacher Spargelkönigin Luise. Sie ist die erste trans Schauspielerin im Münchner Tatort und tritt auch im Film als trans Person auf.
Sie sagt: "Es ist für die LGBTQIA-Community ein tolles Zeichen, dass es unsere Geschichten bis in den Tatort schaffen. Filme und Serien mit besonderem Fokus auf queere Lebensrealitäten sind wichtig, aber eben auch – wie in diesem Tatort – wenn die Trans-Thematik eher beiläufig miterzählt wird. Wenn die Realität abgebildet werden soll, sollte auch Transfeinlichkeit eine Rolle spielen, denn auch das ist leider ein Teil der Welt, in der wir leben. Der Tatort findet hier einen guten Grat und deshalb ist es wichtig und gut, dass ich beziehungsweise meine Rolle dabei ist."
Und obwohl die Hauptthemen dieses Tatorts eben nicht vornehmlich Geschlechterrollen und Diversität sind, zeigt insbesondere eine Szene ganz beiläufig, was für viele trans Menschen vermutlich Alltag ist: Kommissar Leitmayr erfährt, dass Luise trans ist und bewegt sich stolpernd und schleppend durchs Gespräch mit ihr:
Auszug aus dem Drehbuch Tatort "Königinnen":
Franz Leitmayr nähert sich dem Glücksrad, mit dem die Aichacher Spargelkönigin Luise den Aichacher Spargel bewirbt. Beim kommenden Gespräch lauern zahllose Diskriminierungs-Fettnäpfchen, weswegen Leitmayr nicht ganz wohl in seiner Haut ist. Luise hingegen begegnet ihm selbstbewusst:
LEITMAYR
"Kann ich Sie kurz ...?"
LUISE
"Sie sehen aus, als hätten Sie in der Zwischenzeit was über mich rausgefunden. Wenn Sie Angst vor Fettnäpfchen haben, sagen Sie im Zweifelsfall einfach 'queer'."
[…]
LEITMAYR
"Und Sie wollen vermeiden, dass er als 'pervers' geoutet wird, weil er mit Ihnen zusammen ist? Also, ich mein jetzt nicht 'pervers', sondern: unnormal. Also, nicht - also, im Sinne von - aus der Sicht von ... also, queer."
LUISE
"Wir haben 2023, selbst in Bayern."
"Ich kenne solche Situationen gut, in denen Leute im Gespräch mit mir nach den richtigen Worten ringen. Das ist ja erst mal auch ein gutes Zeichen, denn dann bemühen sie sich schon mal, alles richtig zu machen. Als Person regelmäßig zu spüren, wie andere Menschen sich damit so schwer tun 'richtig' mit mir umzugehen, ist auch anstrengend und vermittelt, dass ich sehr anders und irgendwie auch anstrengend bin – einfach nur in meinem Dasein. Ich hatte es schon oft, dass ich meinem Gegenüber sprachlich helfen musste, damit er oder sie sich nicht komplett verliert. Aber manchmal mache ich mir auch einen Spaß daraus etwas abzuwarten, um zu hören, was da jetzt herauskommt", erklärt Phenix Kühnert.
Tatort mit Selbstironie und gesellschaftlicher Relevanz
Und so kommt es, dass dieser Tatort, der mit jeglichen Bayern-Klischees spielt, eben nicht ins heimatverliebte, Eberhofereske abdriftet, sondern es schafft, dem allsonntagabendlichen Kriminalfall einen Schwung Selbstironie und gesellschaftliche Relevanz mitzugeben.
Phenix Kühnert findet: "Im besten Fall können Zuschauende des Tatorts, vielleicht auch gerade die ältere Generation oder Menschen, die in ihrem Privatleben keine Berührungspunkte mit trans Menschen haben, realisieren, dass auch wir ganz normale Menschen sind, man muss sich vor uns nicht fürchten – so primitiv das vielleicht klingen mag. Da wäre schon viel geholfen."
Tatort "Königinnen": Sonntag, 29.10.2023, 20.15 Uhr, im Ersten
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