Um die Erinnerung an Schoah und Holocaust steht es 80 Jahre nach den Ereignissen schlecht. Das fand eine internationale Umfrage der Jewish Claims Conference (externer Link) heraus: Gerade in der jungen Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen in Deutschland gaben etwa 40 Prozent an, nichts von den etwa sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus zu wissen. 15 Prozent glaubten, es seien weniger als zwei Millionen gewesen. Zwei Prozent aller in der Bundesrepublik befragten Bürgerinnen und Bürger waren der Auffassung, der Holocaust habe überhaupt nicht stattgefunden.
Gedenkstätten-Leiter: Bewusstsein lässt nach
Auch Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte der KZ-Gedenkstätte Buchenwald, befürchtet im Gespräch mit dem BR ein Verblassen der Erinnerung: "Wir nehmen so etwas wie einen erinnerungskulturellen Klimawandel wahr. Das Bewusstsein für den Wert der Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen lässt nach. Das ist ein Phänomen, das wir in der gesamten Gesellschaft beobachten." Auf der anderen Seite sieht Wagner eine Zunahme von Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und autoritärem Denken.
Mehr Angriffe und Anfeindungen gegen Gedenkstätten
Damit sei nicht allein der Aufstieg der AfD gemeint, auch in Vorfällen wie der Flugblatt-Affäre um den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sieht Wagner eine neue Dimension: "Das wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen, dass sich ein stellvertretender Ministerpräsident, in dessen Schultasche ein holocaust-verherrlichendes Flugblatt gefunden wurde, hätte halten können." Außerdem seien Gedenkstätten wie Buchenwald in letzter Zeit zunehmenden Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt.
Falscher Fokus in der historischen Bildung
Wagner sieht mehrere Gründe für diese Veränderungen: Zum einen natürlich der zunehmende zeitlicher Abstand zu den Ereignissen, der die Geschichte weiter weg von der Lebensrealität jüngerer Generationen rückt. Aber auch ein falscher Fokus in der historischen Bildung: "Ich bemerke eine gewisse Konzentration und auf etwas, was ich als 'Trauern ohne Nachdenken' bezeichnen würde", sagt Wagner, "wir trauern um die Opfer, fragen aber viel zu wenig, warum sie zu Opfern wurden. Das heißt natürlich dann auch zu fragen, wer sie zu Opfern gemacht hat." Eine reflektierte Auseinandersetzung müsse auch die Frage beinhalten, wie die nationalsozialistische Gesellschaft als eine "radikal rassistische und antisemitische Gesellschaft" funktioniert habe.
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