So seltsam das auch klingen mag: Die rechtsextreme Szene ist sehr divers geworden in den letzten Jahren. Da gibt es "Reichsbürger" und Anhänger der "QAnon"-Verschwörung, rechtsesoterische Aussteiger genauso wie die "Incels", alleinstehende Männer, die ihre Einsamkeit mit der Emanzipation der Frauen begründen. Die gewaltbereiten Rechtsextremen gibt es freilich auch noch.
Der Extremismusforscher Peter Neumann hat sich intensiv mit diesen verschiedenen Szenen auseinandergesetzt. So vielfältig sie auch erscheinen, schreibt Neumann, ihnen allen sei gemein, dass trotz der größer werdenden Vielfalt von Ansichten und Akteuren praktisch alle Formen des Rechtsextremismus nach wie vor auf derselben Logik beruhen würden: der Logik der Angst.
Diese Logik zu ergründen, ist das erklärte Ziel von Peter Neumann. Auch wenn er als Extremismusforscher alle wesentlichen Figuren, Parteien und Bewegungen kennt, konzentriert er sich in seiner gut argumentierten Darstellung vor allem auf die politischen Ideen der Rechtsextremen. Weshalb dabei gerade die Angst so wesentlich sei, begründet Neumann damit, dass sie den emotionalen Kitt repräsentiere, der Radikalisierer und Radikalisierte miteinander verbinde - und, dass diese Angst die Grundlage praktisch aller Handlungsnarrative sei, denen Rechtsextreme im Lauf der Jahre gefolgt seien.
Die Angst vor der Verdrängung
Es ist nicht irgendeine Angst, sondern - so argumentiert Neumann - die Angst vor den Veränderungen der Gesellschaft durch die liberale Moderne, die mit der Französischen Revolution 1789 und ihrem Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Solidarität begann. Bis heute würden diese Prinzipien unsere Gesellschaft verändern - und ihr aus Sicht der Rechtsextremen jegliche Stabilität rauben. Der Schluss der Rechten: Die liberale Moderne ist gefährlich und muss bekämpft werden.
Deshalb seien die vermeintlichen Feinde der Rechten stets die gleichen, sagt Neumann. Es gehe eigentlich immer gegen zwei Gruppen: gegen die Fremden oder das Fremde, das die Identität herausfordere. Und es gehe gegen die liberalen Eliten, die die Idee von Hierarchie und Ordnung herausfordern würden. Seit 100 oder 200 Jahren seien das für Rechtsextreme aller Art und überall immer die gleichen Gegner gewesen.
Wie die AfD tickt
Das bedeutet nicht, dass die rechten Bewegungen ihre Gegner in den Parlamenten überwinden wollen. Neumann zeigt das am Beispiel der AfD. Die parlamentarische Arbeit an sich spiele für die Partei keine wesentliche Rolle. Anfragen stellen, Gesetzentwürfe erarbeiten, das sei nicht die Sache ihrer Abgeordneten, erklärt Neumann. Die vorrangige Aufgabe von parlamentarischer Arbeit ist laut Neumann vielmehr, Funktionäre mit Einkommen zu versorgen, Aktivitäten auf der Straße mit öffentlichkeitswirksamen Videoclips zu flankieren und - vor allem - das (liberal-demokratische) System zu delegitimieren. Mit anderen Worten: Die Abgeordneten der AfD in den Parlamenten hätten vor allem die Aufgabe, den großen Rest der Partei in seiner Rolle als außerparlamentarische Opposition zu unterstützen. Neumann braucht für seine Argumentation nicht viele Worte.
Der eigentliche Textteil seines Buches hat nicht mehr als 160 Seiten - die aber machen deutlich, woher der Erfolg von Giorgia Meloni bis zur AfD in Bayern rührt. Neumann schreibt, dass der Rechtsextremismus das negative Spiegelbild dessen sei, was als liberale Moderne gilt. Seine potenzielle Anziehungskraft beruhe auf Verunsicherung und den drängenden, teils existenziellen Ängsten, die diese hervorgerufen habe.
Angst, Hass und Wut
Ganz entschieden stellt sich Neumann auf die Seite der liberalen Moderne, ohne die Verunsicherungen, die sie mit sich bringt, zu verleugnen:
Wo immer es Angst und Verunsicherung in Gesellschaften gibt, gibt es einen Nährboden für Rechtsextremisten. Aber damit aus diesem Nährboden Rechtsextremismus wird, dazu braucht es die Rechtsextremen, die diese Verängstigung artikulieren und sie in ein politisches Projekt lenken. Und erst dann wird aus Angst, Hass und Wut.
Neumann will, dass gegen diese Ängste vorgegangen wird, um dem Rechtsextremismus den Boden zu entziehen - eine Aufgabe, die aus seiner Sicht für das progressive wie das konservative Lager ein ziemlicher Brocken ist. Den Linken und Liberalen mangele es an Geduld für die nicht so Fortschrittsgläubigen: Wer beispielsweise "Kohlekumpels", "Ostdeutsche", ältere Menschen oder solche mit geringer formaler Bildung als "Privilegierte" beschimpfe, so Neumann, tue der eigenen vermeintlich "progressiven" Sache keinen Gefallen.
Den Konservativen empfiehlt er, beim Thema Einwanderung ehrlicher zu sein: Das Festhalten am Mythos einer historisch unveränderbaren Identität habe moderate Rechte der Möglichkeit beraubt, diesen Wandel konstruktiv zu gestalten, so Neumann. Knapp und klar argumentiert Neumann in diesem lesenswerten Buch, wie man auch als Konservativer eine stabile Brandmauer gegen den Rechtsextremismus errichten kann.
"Logik der Angst. Die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln" von Peter R. Neumann ist bei Rowohlt Berlin erschienen und hat 208 Seiten. Das Buch kostet 22 €.
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