Für Franziska von Gagern war die Corona-Ausgangsbeschränkung in Bayern eine ungeahnte Gelegenheit: "München ist immer wieder Thema in meinen Arbeiten. Und meine Fotos sind eigentlich immer ohne Menschen", schildert die Fotografin. "Es hat mich natürlich gereizt: Dass ich plötzlich die Möglichkeit hatte, meine Stadt völlig leer zu fotografieren." Und so streifte die 49-Jährige an mehreren Tagen stundenlang mit ihrer Kamera durch die Stadt.
Zwar waren auch auf dem Höhepunkt der Ausgangsbeschränkungen Menschen in München unterwegs, die Atmosphäre war aber eine besondere: "Es war nicht nur vom Geräuschpegel, sondern auch von der Stimmung her sehr viel ruhiger, besinnlicher: keine Hektik, keine gestressten Menschen", sagt sie.
Bemerkenswerte Leere
Auf eine bemerkenswerte Leere stieß die Fotografin gerade an Orten, an denen sich sonst Einheimische und Touristen drängen: am Viktualienmarkt, im Hofgarten, an der Surferwelle am Eisbach - und sogar am Chinesischen Turm, der mit seinem Biergarten bei schönem Wetter ein verlässlicher Besuchermagnet ist. "Da war ich eigentlich am glücklichsten darüber, dass ich ihn so völlig leer, frei von Bierbänken, Biertischen und Menschen in einer Situation erlebt habe, die es wahrscheinlich so schnell nicht wieder geben wird."
Leere Cafés und Surfwelle ohne Surfer
Auch wenn die Corona-Krise nicht das eigentliche Thema ihrer neuen Serie ist, da von Gagern keinen journalistischen oder dokumentarischen Ansatz verfolgt hat: Die Fotos spiegeln die Ruhe und die besondere Atmosphäre, die durch den Lockdown in München entstanden ist. "Ohne Corona hätte ich solche kontemplativen Bilder nicht machen können", sagt die 49-Jährige. "Man wird nicht auf den ersten Blick mit dem Holzhammer auf den Lockdown gestoßen. Es zeigt sich teilweise erst auf den zweiten Blick oder durch die Kombination der jeweils zwei Bilder, dass etwas ungewöhnlich ist."
Immer zwei Bilder gruppierte die Fotografin zu einer Paarung, die Raum und Atmosphäre zusammenbringt. "Ich komme ja ursprünglich von der Architekturfotografie, daher ist mein Blick auf die Stadt auch ein architektonischer", erklärt sie. "Es geht aber nicht um einzelne Gebäude, mein Thema ist immer der Raum." Dabei verfolgt die Fotografin auch einen erzählerischen Ansatz und zeichnet in ihren Kompositionen scheinbar beiläufig ein poetisches Bild des Lockdowns. Leere Rolltreppen und Cafés, Museen ohne Besucher, die Surferwelle ohne Surfer. Sie spielt mit Formen und Farben, Licht und Schatten, der Spannung von Architektur und Natur.
Die Stille eingefangen
Franziska von Gagern arbeitet seit mehr als zwei Jahrzehnten in München als Fotografin. 1999 gewann sie den Förderpreis des Berufsverbands Freie Fotografen und Filmgestalter, 2003 wurde sie zur Darmstädter Stadtfotografin ernannt. Neben Aufträgen als Architekturfotografin verfolgte sie immer wieder eigene Langzeitprojekte, die sie in Ausstellungen präsentierte. Darüber hinaus gibt sie Fotografie-Workshops und ist seit 2013 Dozentin für Fotografie an der Volkshochschule München.
Gerne hätte die Fotografin noch länger dieses München im Ruhemodus erkundet, aber mit den ersten Lockerungen war es vorbei mit der friedlichen Leere. "Das ging schneller, als ich es erwartet habe", sagt die 49-Jährige. "Diese Art von Bildern kann ich jetzt nicht mehr machen." Mittlerweile sind Geschäfte und viele Museen wieder offen, Parks und Plätze an sonnigen Tagen überfüllt. Und so lösen Trubel und Hektik in München zunehmend wieder die ungewöhnliche Stille ab, die von Gagern in ihren Fotos eingefangen hat.
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