Menschen von hinten
Bildrechte: © Joyn/NEUESUPER/Arvid Uhlig

Szene aus "Katakomben"

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München-Serie "Katakomben": Jugend zwischen Extremen

München hat in der Popkultur einen schlechten Ruf: zu sauber, zu uncool, zu schickimicki. Der Streamingdienst Joyn zeigt mit der Coming-of-Age-Serie "Katakomben" eine andere Seite der Stadt, abseits der gängigen Klischees.

Tadellos gepflegt, die Schaufenster blank poliert, die Altbaufassaden sauber und kein Müll auf Straße: München wirkt auf Besuchende oft wie eine Filmkulisse. Ein kleines bisschen unecht. Ein kleines bisschen zu perfekt. Dass sich gerade hinter dieser sauberen Fassade besonders viele erzählenswerte Konflikte verbergen, hat der Streamingdienst Joyn erkannt.

"Katakomben" ist schon die zweite Joyn-Eigenproduktion, die München von einer anderen Seite zeigt – und dem wahren Gesicht der Stadt sehr viel näher kommt. Die erste, "Stichtag", spielte in einer Münchner Plattenbausiedlung – samt Rappern in der Nebenbesetzung. "Katakomben" gräbt nun tiefer und legt direkt unterhalb der Fußgängerzone der Innenstadt die vielen Widersprüche und Gegensätze offen, die München mal mehr, mal weniger sichtbar prägen.

Im Münchner Untergrund prallen Welten aufeinander

Unter der Münchner City liegt ein weit verzweigtes und sehr gefährliches Tunnelsystem – zum Teil einfach zugänglich durch Parkgaragen oder U-Bahn-Schächte, wenn man weiß, wo man suchen muss. Als Florian Kamhuber, Produzent bei der Münchner Produktionsfirma NeueSuper ("Hindafing", "Acht Tage"), mit einem Zeitungsartikel über die Münchner Katakomben und der Idee zu einer Serie beim Regisseur und Autor Jakob M. Erwa ("Die Mitte der Welt") anklopfte, war der sofort angefixt. Denn unten in den Katakomben leben die Menschen, die in der geleckten Münchner Innenstadt nicht gern gesehen werden, die Obdachlosen und Drogenabhängigen, denen die Politik keinen Platz einräumt. "Das, was man oben nicht sehen will, wird dahin verdrängt, wo es vor sich hinblubbern soll", sagt Erwa. "Scheißegal, was passiert – Hauptsache, es ist nicht oben und verschandelt das Stadtbild. Das finde ich ein ziemlich hartes Statement unserer Gesellschaft."

In Erwas Serie "Katakomben" eignen sich die wohlhabenden Münchner Jugendlichen genau diesen Rückzugsort der Unsichtbaren und Abgehängten an. Und feiern hier in der sexy, abgefuckten Welt des Untergrunds illegale Partys. Doch auf dieser Party, direkt an der Baustelle des Münchner Hauptbahnhofs, läuft alles schief. Ein Feuer bricht aus, und in der Panik verliert Protagonistin Nellie (Lilly Charlotte Dreesen aus "Druck") ihren jüngeren Bruder Max und seine ebenso wohlsituierten Freunde aus den Augen.

Viele Perspektiven legen den Blick frei

Die Serie verknüpft dramaturgisch geschickt und sehr spannend mehrere Perspektiven miteinander. Nellies Suche nach ihrem verschollenen Bruder ist so nur ein Teil der Story von "Katakomben". Wie ein Puzzle setzt sich Folge für Folge die ganze Geschichte eines Unglücks zusammen und fragt nach den Ursachen und Schuldigen. Gleichzeitig gibt jeder dieser Handlungsstränge Einblick in eine der vielen gegensätzlichen Realitäten der bayerischen Musterstadt: Die des obdachlosen Mädchens Tyler, das mit ihrer Wahlfamilie in den Katakomben lebt. Wir sehen die korrupte Baurätin Anna Mahler, die sich die luxuriöse Villa mit ihren beiden wohlbehüteten Kindern teilt. Und Janosch (Yasin Boynuince), der sich aus seinem Plattenbau-Jugendzimmer gern in Münchens Glitzerwelt träumt. Aber auch eine idealistische Bauunternehmerin und eine Polizistin, die auf der Suche nach ihrer drogenabhängigen Tochter alle Regeln bricht. Ihre Welten kollidieren im Münchner Untergrund. Und genau da beginnt auch jede der sechs Folgen – im selben Moment, nur aus einer anderen Sicht.

Trotz des Anspruchs, diese unterschiedlichen Blickwinkel zu beleuchten, vermeidet "Katakomben" einen belehrenden Ton. "Das war eigentlich von Anfang an klar, dass wir das Thema 'oben unten – arm reich', aus unterschiedlichen Gesichtspunkten darstellen und unterschiedliche Sichten drauf haben wollen, ohne zu urteilen und verurteilen," erzählt Head-Autor Jakob M. Erwa, "sondern dass alle, die daran teilnehmen, eigentlich etwas Richtiges, Gutes wollen."

Mit Vielfalt gegen Klischees und Erwartungen

Erwa hat die Kontraste zwischen arm und reich, oben und unten gut ausgeleuchtet. Kontraste bergen immer auch die Gefahr von Verkürzung. Aber die Figuren wirken selbst dann noch authentisch und glaubwürdig, wenn sie gerade knapp am Klischee vorbeischrammen: Wie Nellie, die in ihrem Insta-worthy Zimmer Champagner köpft und sich mit ihrem besten Freund, dem Influencer Janosch, stylt, als wäre ihr Leben ein Werbespot. Wenig später beweist sie sich als mutige, pflichtbewusste junge Frau – und der laute Janosch als verschwiegener Junge mit einer komplizierten Familiengeschichte.

Nicht nur die Charaktere, auch das Casting bricht mit Publikumserwartungen. Die Rollen möglichst selbstverständlich divers zu gestalten und zu besetzen, ist Regisseur und Head-Autor Jakob M. Erwa ein Anliegen. Das merkt man auch daran, dass eine Figur ganz nebenbei das Gendersternchen spricht. Und es funktioniert. Der Staatsanwalt Dominik Liebknecht wird beispielsweise von Yung Ngo gespielt, einem vietnamesisch-stämmigen Schauspieler, "und der hat in dem Fall keinen asiatischen Namen. Wozu auch!" so Erwa. "Oder die Gerichtsmedizinerin mit dem Rollennamen Sabine Behnke, gespielt von Dela Dabulamanzi, eine POC-Schauspielerin, ganz toll, in Berlin hier."

"Katakomben" trägt in der für Erwa typischen, lebensbejahend-bunten Inszenierung und Sprache manchmal ein wenig dick auf. Um einer Stadt, die so sehr vom Schein lebt wie München, den Spiegel vorzuhalten, ist das aber genau der richtige Ansatz. Bleibt zu hoffen, dass der Cliffhanger am Ende in einer zweiten Staffel aufgelöst wird.

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