Das eigene Kind wird als Geisel genommen, kommt in der Gefangenschaft womöglich ums Leben – unsäglich und unvorstellbar muss das Leid der Eltern sein, denen etwas Derartiges widerfährt.
Mehr als 200 Menschen verschleppte die Hamas am 7. Oktober von Israel in den Gazastreifen. Einige Geiseln kamen inzwischen frei, aber längst nicht alle.
Dass sie nicht vergessen werden, als Menschen, als Individuen, dafür kämpfen Aktivisten in Israel und weltweit – etwa die Mütter der Geiseln bei den Protestaktionen von "Run for their Lives", auch in München.
Hamas brachte 200 Geiseln in ihre Gewalt
Der Angriff der Hamas auf israelisches Staatsgebiet war der Beginn des Krieges zwischen der Hamas und Israel. Dabei sind rund 1.200 israelische und ausländische Todesopfer sowie mehr als 5.431 Verletzte verzeichnet worden. Im Gazastreifen wurden seitdem durch die Angriffe des israelischen Militärs circa 35.000 Menschen getötet, über 75.000 wurden verletzt. Laut Hilfsorganisationen sind ein Drittel davon Kinder.
Die Geiseln dienen der Hamas als Pfand und Waffe. Immer wieder wird über ihre Freilassung verhandelt und das an Bedingungen geknüpft.
"Run for their Lives" jeden Sonntag um 18 Uhr
Vicky Cohen ist die Mutter von Nimrod Cohen, der am 7. Oktober entführt worden ist. Cohen ist eine zierliche Frau. Ihre Stimme ist fest, aber ihre Augen verraten, was sie durchmacht. Ihr Sohn Nimrod ist eine der israelischen Geiseln. Seit mehr als 200 Tagen ist er in der Gewalt der Hamas. Guy Katz, der die Veranstaltung "Run for their Lives" organisiert hat, übersetzt ihre Worte aus dem Hebräischen: "Ich vermisse sein chaotisches Zimmer und wenn seine Klamotten einfach auf dem Boden liegen", sagt Vicky Cohen. "Ich vermisse seine Stimme und dass er so gerne singt im Alltag, einfach so zwischendurch."
Jeden Sonntag findet der "Run for their Lives" in München statt. Er startet um 18 Uhr und dauert 18 Minuten. Nicht zu wissen, wie es ihrem Sohn geht und es doch zu ahnen, ist für Vicky Cohen ein unerträgliches Gefühl. Mit ihr ist noch eine weitere Mutter aus Israel nach München gereist. In verschiedenen Städten und Ländern machen sie so auf das Schicksal ihrer Kinder aufmerksam und sind gerührt von der Solidarität der Teilnehmenden: "Ich danke den wunderbaren Menschen. Es ist herzzerreißend, bewegend, dass sie jede Woche für mich hier stehen und, dass es auch so viele Leute gibt, auch weit weg von Israel, die an uns denken und diesen schrecklichen Weg mitgehen."
500 Menschen nehmen teil
Rund 500 Menschen sind dieses Mal zum "Run for their Lives" in München gekommen. Darunter sind Mütter von israelischen Geiseln, aber auch Menschen, die sich mit ihnen solidarisch zeigen und sie in ihrem Kampf unterstützen. Sie sind berührt von den Worten der Frauen: "Es bricht einem das Herz, die beiden Mütter zu sehen, mit den Bildern ihrer Söhne. Das ist für Eltern das Schlimmste, was es gibt", sagt ein Teilnehmer. Jeden Sonntag findet die Aktion in mehr als 200 Städten weltweit statt.
Menschen verschiedener Nationalitäten und Religionen sind es, die auf das Leid aufmerksam machen, nicht die Augen verschließen wollen. Auch die Schauspielerin Uschi Glas läuft jeden Sonntag mit: "Wir sind ganz klar nicht politisch. Hier geht es um Solidarität mit den Geiseln. Ich habe mit einer Mutter gerade gesprochen, und die sagt, diese Ungewissheit, immer dieses Schwanken von Hoffnung, dann wieder total verzweifelt, dieses Hin und Her: Das ist ein Albtraum, absolut."
Leichnam soll nach Israel überführt werden
Organisiert wird der "Run for their Lives" von zwei Privatpersonen. Neben Guy Katz ist das noch Jil Meiteles: "Wir haben beide dort und hier gelebt, und es ist ein absolute Muss für uns, irgendetwas zu machen. Und wenn man eben hier ist und nicht gerade dort, kann man nicht so viel machen. Aber das ist etwas, was wir machen können. Heute sind zwei Mütter da, von der einen ist der Sohn tot, von der anderen hofft man, dass er noch lebt", sagt Guy Katz.
Nimrod ist der Sohn, der noch lebt. Oz ist der Sohn, der schon tot ist. Das weiß seine Mutter und trotzdem ist sie bei "Run for their Lives" dabei. Sie hält sein Bild in der Hand, hält sich daran fest: "Ich bin die Mutter von Oz. Er war mit Nimrod in der gleichen Einheit. Auch er stand mitten im Leben und ist lebendig entführt worden. Aber leider haben wir nach 42 Tagen die Nachricht bekommen, dass er nicht mehr lebt. Aber wir können nicht ruhen und werden nicht ruhen, bis sein Leichnam zu einem ordentlichen jüdischen Begräbnis nach Israel gebracht worden ist. Erst dann können wir mit der Sache, abschließen ist vielleicht das falsche Wort, aber erst dann können wir ruhen", sagt die Mutter von Oz.
Wollen kämpfen, bis die letzte Geisel befreit ist
Nimrods Mutter hofft, dass ihr Sohn den Krieg überleben wird. Die Hoffnung ist das, was sie trägt, was sie jeden Tag weiterleben lässt, sagt die Israelin in München. "Ich bin die Mutter von Nimrod. Er wurde lebendig gesehen. Es gibt Videos. Und das muss uns Hoffnung geben. Es gibt kein anderes Zeichen und deswegen glauben wir, dass er am Leben ist. Und ja, dieser Glaube hält uns und gibt uns Kraft."
Bis die letzte Geisel frei ist, wollen die "Run for their Lives"-Organisatoren und die vielen Mütter jeden Sonntag um 18 Uhr laufen – gegen das Vergessen.
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