Das sieht doch nach richtigem Reality-TV aus! Da sitzen also jetzt Hunderte erwachsene Menschen in einem riesengroßen Sandkasten und lecken an einem Keks - ganz in echt, in Farbe und vor der bekannten, kindlich bunten "Squid Game"-Kulisse.
Das Spiel kennen wir aus der Serie, wie viele andere der Spiele auch. Wer die vorgegebene Form aus dem Keks korrekt heraussticht, kommt eine Runde weiter. Wer den Keks dagegen zerbricht oder zu viel Zeit braucht, der scheidet aus.
Zwar sterben die Kandidatinnen und Kandidaten nicht wie im Original, aber sie werden beim Scheitern mit einer Farbflüssigkeit beschossen und sacken dann wie tot zur Seite weg. Das zeigt: Alles soll möglichst genau so sein wie in der dystopischen Vorlage, bei der es um Leben und Tod geht. Die Reality-Show steht der fiktiven Serie in fast nichts nach.
Wie im echten Leben?
"Also derartige Formate und vor allen Dingen dieses Format spielt natürlich mit der Klaviatur der Emotionen in einer extremen, krassen Form", erklärt Medienwissenschaftlerin Katrin Döveling von der Hochschule Darmstadt. Für sie ist "Squid Game: The Challenge" ein Extrembeispiel des performativen Reality-TV.
"Es sind Formate, die reale Menschen in Situationen bringen, wo sie reale Gefühle erleben, die aber dann performativ, theatralisch in Szene gesetzt werden", erklärt Döveling. Durch Musik, durch die Aufgaben, durch Kamerablickwinkel, durch verschiedene Aspekte werde so ein Theaterstück der Emotionen mit realen Menschen inszeniert.
Inszenierung vor Authentizität
Heute weiß man natürlich, wenn man sowas schaut: viel ist gescriptet, nur wenig wirklich echt. "Die ganze Welt eine Bühne und wir die Spieler", frei nach Shakespeare oder besser mit Brecht "Erst kommt das Fressen, dann die Moral". Genau dieses Weltbild vermittelt die Serie nämlich: Jeder ist sich selbst der Nächste. Erst komme ich, dann die anderen. Die Spieler eliminieren sich gegenseitig, schwärzen sich an und kooperieren nur, wenn es dem eigenen Vorteil dient.
Döveling kam es vor wie ein Menschen-Experiment: ein Experiment mit Menschen für die Kamera. Es sei ein bisschen auch ein Spiegel einer extremen, leistungsorientierten Gesellschaft, sagt sie. "Dieses Kompetitive, dieses permanent gegen jemanden sein, um selber zu gewinnen, um zu überleben. Meines Erachtens zeigt das auch etwas Soziologisches und reflektiert natürlich auch unsere Gesellschaft."
Gesellschaftskritik oder dekadentes Märchen?
Als Gesellschafts- und Kapitalismuskritik wurde ja schon das originale Squid Game gefeiert. Die Krux an der Sache - das gilt für Squid Game. Aber für "Squid Game: The Challenge" jetzt"? Wie glaubwürdig ist so eine Kritik, wenn sie einerseits ja doch wieder den Mammon, also den riesigen Jackpot als das ultimative Ziel ausgibt? Und wenn sie andererseits vermeintlich kritische Formate dazu benutzt, selbst Gewinne zu generieren und uns zu voyeuristischen Mitspielern macht?
Zumindest Gesprächsstoff ...
"Wir wollen unterhalten werden, wir wollen uns ablenken, wir wollen übrigens auch mitreden", sagt Döveling, und über solche Formate werd gern geredet. "Wir alle wollen uns auch dadurch positionieren. Solche Formate bieten ja auch Gesprächsstoff. Da kann man sich drauf stürzen und hat dann etwas, über das man gemeinsam spricht."
"Squid Game: The Challenge" ist so gesehen das ultimative Reality-TV-Monster. Es spiegelt die individuellen und gesellschaftlichen Dilemmata vor einer unheimlich quietschbunten Kulisse - mit uns als Schaulustigen. Der Beweis: Alles ist möglich im Showbusiness, und keine Dystopie ist so abgründig, als dass sie nicht bald schon Wirklichkeit werden kann.
Squid Game: The Challenge - Netflix 2023 | 1 Staffel | Reality-TV
Über 400 Kandidatinnen tauchen in die Welt von "Squid Game" ein, um Können und Charakter für eine Siegerprämie von 4,56 Millionen US-Dollar auf die Probe zu stellen. | Ab 6 Jahren | Ab 22. November
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