Die Posthalle in Würzburg, kurz vor 19 Uhr. Gleich beginnt der Einlass für die Oliver Pocher Show. 650 Karten wurden verkauft – das ist nur die Hälfte vom Kontingent, sagt Christian Rupp, Eventmanager bei der Posthalle: "Normalerweise wären bis zu 1200 Leute gekommen." Die Show wurde mehrmals verschoben, wieder abgesagt, nochmal verschoben - hinzu kommt eine allgemeine Unsicherheit wegen der Corona-Pandemie. Das habe die Ticketnachfrage stark gebremst.
Mehr Personal, mehr Platz, mehr Organisation
Rein kommt man nur mit einem 3G plus-Nachweis und einer Registrierung mit der Luca-App. Für die Besucher kein Problem – für den Veranstalter ein erheblicher Mehraufwand: "Es ist mehr Personal im Einsatz: Am Eingang für den Covid-Check, außerdem braucht es mehr Vor- und Nachbereitung. Für dasselbe Ergebnis hat man viel mehr Aufwand."
Planungspauschale wegen kurzfristiger Anfragen
Die Pandemielage hat sich zwar entspannt – die Auswirkungen sind in der Kulturszene aber noch deutlich zu spüren: Mehr Personal, mehr Platz, mehr Organisation sind nötig. Auch bei Autorin Pauline Füg: Aufträge für Workshops hat sie zwar genug – bloß kommen die extrem kurzfristig rein. Dieser Entwicklung tritt sie konsequent entgegen: "Ich habe jetzt eine Organisations- und Planungspauschale in meine Workshops aufgenommen."
Neue Formate für neue Zielgruppen
Der studierten Psychologin gelingt es gut, die veränderte Situation anzunehmen und das Beste daraus zu machen: "Ich glaube es ist wichtig, neue Möglichkeiten mitzudenken, die digital auch funktionieren." Ihre Online-Kurse will sie beibehalten, weil sie festgestellt hat, dass so neue Zielgruppen angesprochen werden können, die sonst nicht teilnehmen konnten. "Junge Mütter etwa oder Teilnehmende aus dem inklusiven Bereich für die ein Workshop in Präsenz nicht möglich wäre", sagt Füg.
Neustart muss mit Qualität einher gehen
Füg probiert Neues aus und vor allem: Sie verkauft sich jetzt nicht unter Wert. Ein Kultur-Neustart, wie auch die Würzburger Bildhauerin Angelika Summa ihn umsetzen will: "Wir können nicht mit Pippifax anfangen, sondern müssen voll da sein, Qualität abliefern. Wenn ich eine Figur in den öffentlichen Raum stelle, darf das kein Winzermännchen sein oder eine Schäfchen-Herde." Den Neustart mit Qualität zu begehen, sei jetzt die Hauptaufgabe der Kulturschaffenden. Gefordert sei aber weiterhin auch die Politik, um finanziell zu unterstützen – und dann braucht es Zeit.
Künstlerin Summa: "Schleichender Prozess"
"Ich denke es ist eher ein schleichender Prozess. Man kann ja keinen Schalter umlegen und dann ist die Pandemie vorbei. So funktioniert das leider nicht", sagt Summa. Gerade Soloselbstständige wie sie und Füg hatten es in der Pandemie nicht leicht. Erst im Dezember 2020 konnten auch sie staatliche Unterstützung beantragen.
SPD-Landtagsabgeordneter Halbleib: "Strukturen statt Projekte fördern"
Ein riesen Problem, sagt der Würzburger Landtagsabgeordnete der Bayern-SPD Volkmar Halbleib: Statt Einzelprojekten müssten künftig Strukturen gefördert werden, um prekären Verhältnissen vorzubeugen. Denn in Gesprächen sei deutlich geworden: Antragsformulare und Deadlines seien oft weit entfernt von der Lebensrealität der Kulturschaffenden: Eine ganz wichtig Lehre sei, dass die Politik noch stärker mit Kulturschaffenden in Austausch gehen müsse. "Wir müssen nicht nur einen Neustart hinbekommen, sondern einen sogenannten New Deal Kultur", so Halbleib. Damit Defizite, die vorher schon da waren und die im Brennglas der Pandemie sichtbarer geworden sind, jetzt endlich angegangen werden.
Für Mainfranken Theater vor allem inhaltlicher Neustart
Markus Trabusch, Intendant des designierten Staatstheaters in Würzburg, musste sich zumindest finanziell keine Sorgen um das Mainfranken Theater machen. Den Stillstand hat er deshalb genutzt. "Beim Innehalten haben wir reflektiert und uns gefragt, ob wir das Produktionssystem in dieser Art und Weise aufrecht erhalten wollen", erzählt Trabusch. Gemeint ist der Anspruch immer neue Produktionen zu fahren mit großem Besteck, analog und digital.
Der Wert von Kunst
Den Neustart will er jetzt nutzen, um ähnlich wie Angelika Summa ein Zeichen zu setzen: "Ich glaube, dass der Neustart auch ein inhaltlicher sein sollte. Zum Beispiel haben wir mit einer Produktion begonnen, die nicht die leichte Muse gebracht hat, keine Operette, keine seichte Unterhaltung. Sondern die ersten Töne dieser Spielzeit waren Schönberg." Musik, die einen Neuanfang markiert, und doch schon vorher da war. Und so blickt Trabusch auch auf die Post-Corona-Zeit: Kunst erfindet sich in 20 Monaten Pandemie nicht neu, sagt er. Dafür stehe man zu sehr in einer Tradition.
Schulz: Ein "wie vorher" kann es nicht geben
Das sehen nicht alle so. Joachim Schulz etwa, Geschäftsführer der Posthalle, glaubt, dass es noch Jahre dauern wird, bis man in der Branche auf ähnlichem Niveau ist wie vor der Pandemie, bis Menschen wieder so konsumieren wie vorher. "Wobei, "so wie vorher" wird es nicht mehr geben - sondern anders. Die Frage wird sein: Welche Nischen werden weiter funktionieren und welche nicht. Das wird sich dann anpassen." Die Kulturschaffenden in Würzburg sehen den Neustart auf Knopfdruck nicht. Hilfreich sei die finanzielle Förderung vom Staat – die sicher noch bis ins nächste Jahr nötig sein wird, sagen sie. Denn ja, es braucht vor allem Zeit zum Auftauen. Dann wird man sehen, wer überlebt hat und wie. Und welche Vorlieben und Bedürfnisse das Publikum dann mitbringt – oder ob es sich anders orientiert.
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