1.200 Modelle und Präparate liegen bis heute in der anatomischen Sammlung der Universität Erlangen. Neben Gips- und Holzmodellen sind darunter auch zahlreiche echte menschliche Überreste, darunter Knochen, Schädel, Skelette und Feuchtpräparate aus vergangenen Jahrhunderten.
Wer diese Menschen waren, deren sterbliche Überreste in die Anatomie kamen, ist heute in den meisten Fällen unbekannt. "Es war damals Usus: Hinrichtungsopfer oder Personen, die in Armenhäusern verstarben, sind in die Anatomie gekommen", sagt Michael Scholz, Professor für Anatomie. "Heute kann man darüber nachdenken, ob man das gut oder nicht so gut findet."
Wenn Menschen zu Objekten werden
Der Medizinhistoriker Fritz Dross erforscht die Herkunft der Präparate in der Lehrsammlung. Mit seinem Team durchforstet er Archive, wälzt historische Forschungsarbeiten und sucht nach Anhaltspunkten. Detektivarbeit, um den Menschen zumindest in Ansätzen ihre Geschichte wiederzugeben. "Diese Teile haben gewissermaßen zwei Leben", sagt Dross, "was uns daran erschreckt: wie gewesene Personen objektiviert werden und - ihrer Schicksale und ihrer Identität als Menschen entkleidet - hier stehen."
Wer wie Fritz Dross heute der Herkunft der menschlichen Überreste nachgeht, stellt sich auch die Frage: Finden sich Präparate aus der NS-Zeit in der universitären Sammlung? Geschlossene Bestände von Opfern der NS-Diktatur existieren in Erlangen nicht, sagt Fritz Dross. Das wäre bei der Inventarisierung aufgefallen. Ausschließen, dass es solche Präparate in Erlangen gibt, kann er aber nicht. "Ende der 1980er, Anfang der 1990er-Jahre gab es eine Durchsicht. Aus Erlangen wurde zurückgemeldet, dass Präparate mit zweifelhafter Provenienz aussortiert wurden." Allerdings sei dieser Vorgang nicht weiter dokumentiert worden.
Schädel aus der Kolonialzeit
Die Forscher haben allerdings einen Schädel aus Afrika entdeckt, über den man noch nicht viel weiß. Der Schädel wird im Depot aufbewahrt, unzugänglich und geschützt. Fritz Dross vermutet, er gelangte als Geschenk an die Universität. Waren doch im 19. Jahrhundert solche Schädel ein beliebtes Mitbringsel im Austausch zwischen Anatomen. "In der Frühzeit des deutschen Kolonialismus waren es wertvolle und prestigeträchtige Geschenke", so Dross. "Da kam so ein Trockenpräparat eines Schädels in einen Karton und wurde mit der Post, also mit dem Boot über den Ozean, geschickt."
Für die Forscher stellt sich vor allem die Frage, wie heute ein angemessener Umgang mit den Präparaten aussieht. Wäre zum Beispiel eine Bestattung der menschlichen Überreste angebracht? Das wäre zu kurz gedacht, findet Medizinhistoriker Fritz Dross, und könnte neue Probleme aufwerfen, gerade mit Blick auf mögliche Opfer der NS-Diktatur. "Wenn wir nicht ausschließen können, dass zum Beispiel jüdische Gefangene dabei sind, und wir deren Überreste christlich bestatten - das hielte ich für das größere Problem, als sie aufzubewahren."
Und der Schädel aus Afrika: Wenn klar ist, woher er stammt, halten die Erlanger Wissenschaftler eine Rückgabe an das Herkunftsland für denkbar.
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