Darf ein Gymnasium nach einem weltweit bekannten Kinderbuchautor benannt sein, der in seiner Jugend ein überzeugter Nationalsozialist gewesen ist und als solcher in seinem Frühwerk "Erntelager Geyer" 1944 das bündische Leben in der Hitler-Jugend pries und propagierte? Seit 2013, dem Todesjahr Preußlers, heißt das Pullacher Gymnasium nach dem einstigen Lehrer und millionenfach gelesenen, preisgekrönten Schriftsteller Otfried Preußler, von dem erst posthum bekannt wurde, welche Schriften er als junger Mann verfasst hatte. Preußler hatte diese frühe Publikation zeitlebens verschwiegen. Gestern nun ist der Pullacher Gemeinderat einer Forderung von Lehrerkonferenz, Elternbeirat sowie Schülerausschuss gefolgt, Otfried Preußler als Namenspatron des Staatlichen Gymnasiums zu tilgen.
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Otfried Preußler: 2013 noch ein Vorbild, nun verfemt?
Der in Pullach lebende Publizist Jan Fleischhauer äußert sich gegenüber BR24 so: "Für mich ist nicht entscheidend, was jemand als 17-Jähriger gesagt und gedacht hat, sondern wie sein späteres Leben verlaufen ist. Und dass man Dinge verschweigt, die man als Jugendlicher gemacht hat, weil sie einem anschließend peinlich sind: Ja mei, so ist das Leben." 2013 hatte das Staatliche Gymnasium Pullach es noch gefeiert, sich nach dem in Böhmen geborenen Autor zu benennen. Man schrieb seinerzeit: "Otfried Preußler ist für unser Gymnasium ein würdiger Namenspatron, der für pädagogische Ziele und Ideale steht, und, der als Schriftsteller und Bühnenautor in Bayern und Deutschland, in Europa und der ganzen Welt bekannt und beliebt ist."
Diese Haltung Preußler gegenüber hat sich grundlegend gewandelt. Der seit 2017 das Gymnasium leitende Oberstudiendirektor Benno Fischbach übt sich seit geraumer Zeit nachgerade in der Schulmeisterei desjenigen, der sich als ehemaliger Volksschullehrer sein Leben lang als "Schulmeister" titulierte, "weil ich noch aus der alten Handwerkslehre des Pädagogen komme und sehr gern in der Schule gewesen bin", wie Preußler 2002 in einem Gespräch mit dem BR sagte.
Preußlers "Die kleine Hexe": "problematisch"
Der Pullacher Schulleiter Benno Fischbach, seinem Nachnamen zum Trotz offenkundig alles andere als ein kleiner Wassermann, hat die Bitte um Stellungnahme von BR24 unbeantwortet gelassen. Von der FAZ lässt er sich mit den Worten zitieren, dass er auch abseits von der NS-Vergangenheit Preußlers dessen Werk für schwierig halte: "Problematisch für die Lernenden erscheinen auch die in einigen Werken dargestellten fragwürdigen Konfliktlösungsstrategien durch Gewalt und/oder Hexerei." Diese Charakteristik lässt Leser des Kinderbuchklassikers "Die kleine Hexe" zweifeln, ob Fischbachs Lesart von Preußlers Œuvre nicht ein klarer Fall von Fehllektüre ist.
"Die kleine Hexe" aus Preußlers gleichnamigem Buch 1957 ist ein starker, so eigenständiger, wie ungebärdiger Charakter, der den großen Hexen "das Hexen abhext" und zu deren Leidwesen nur Gutes statt Böses vollbringt. Preußlers Roman "Krabat" (1971), die Geschichte des zaubernden Waisenjungen, der sich irgendwann gegen die dunkle Macht und Schwarze Kunst des Magiermeisters stellt, der Zauberschüler um Zauberschüler sterben lässt, ist seit vielen Jahren Schullektüre – auch in Bayern. Für den 47-jährigen Künstler Thomas von Steinaecker liest sich "Krabat" heute als eine "universale Geschichte von Flucht und Unterdrückung".
Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit
Der Augsburger Schriftsteller und Filmemacher Thomas von Steinaecker hat sich mit Preußler aus Anlass seines 100. Geburtstags 2023 in der arte-Doku "Ich bin Krabat“ auseinandergesetzt. Ein instruktiver Film, in dem auch Preußlers frühe Zeit als Soldat und begeisterter HJ-Pimpf kritisch beleuchtet wird. Steinaecker zitiert in seiner Doku jene Passage aus dem BR-Alpha-Forum 2002, in der Preußler darüber spricht, wie Preußler - kurz nach der von ihm nicht erwähnten Publikation von "Erntelager Geyer" - als minderjähriger Kompaniechef an der Front in Rumänien 1944 in Kriegsgefangenschaft geriet, ins berüchtigte russische Lager Jelabuga kam "und dann eine sehr harte Zeit hinter mich bringen musste". Das sei "kein Honiglecken" und "eine sehr harte Zeit" gewesen, so Preußler, er sei mit anderen "an den östlichen Rand Europas in die Tatarische Republik verfrachtet und von Hunger und Seuchen heimgesucht worden". Viele hätten das nicht überstanden, so Preußler rückblickend, "ich habe Glück gehabt".
1949 erst kam Preußler wieder aus der Gefangenschaft frei und landete in Rosenheim. Schon in seinen in der Nachkriegszeit entstandenen, erfolglosen Laienspiel-Theaterstücken wie "Mensch Nr. 2301", so Thomas von Steinaecker in seinem Film "Ich bin Krabat", "quält ihn immer wieder eine Frage: Wie konnte er, wie konnte sich eine ganze Generation derart verführen lassen?" Otfried Preußler hat zu Lebzeiten kundgetan, dass "Krabat" auch die Verarbeitung seiner eigenen jugendlichen Verstrickung in den Nationalsozialismus gewesen sei. Zur Geschichte gehört freilich auch, dass Preußler noch im Jahr 2000 gemeinsam mit dem höchst umstrittenen Historiker Ernst Nolte den Adenauer-Preis der CDU-nahen Deutschland-Stiftung im Herkulessaal der Münchner Residenz entgegennahm – und sich feixend zusammen mit Nolte fotografieren ließ: Preußler hielt Noltes Briefwechsel mit François Furet, "Feindliche Nähe. Kommunismus und Faschismus im 20. Jahrhundert" in Händen, Nolte wiederum Preußlers "Räuber Hotzenplotz".
Für Thomas von Steinaecker eine "vertane Chance"
Thomas von Steinaecker war Anfang Februar erst zusammen mit dem Preußler-Biographen Tilman Spreckelsen zu Gast am Gymnasium in Pullach, um über Preußler und den Umgang mit dessen Vergangenheit zu diskutieren: differenziert und unaufgeregt. Die Auseinandersetzung mit allen Facetten von Preußlers Leben und Werk bietet seiner Meinung nach "exemplarisch Gelegenheit, sich mit einem Menschen mit all seinen Fehlern und Qualitäten auseinanderzusetzen".
Gegenüber BR24 hält er die nun beschlossene Streichung Otfried Preußlers aus dem Schulnamen für falsch. "Die Umbenennung des Gymnasiums Pullach ist für mich persönlich eine vertane Chance", sagt von Steinaecker, und weiter: "Preußlers Biografie zeigt beispiellos anschaulich, wie man als Jugendlicher durch Ideologien verführt werden kann und sich daran ein Leben lang abarbeitet. Was wäre das für eine Steilvorlage für jeden Geschichts- oder Deutschlehrer an einem Preußler-Gymnasium gewesen, sich regelmäßig mit dem Namensgeber der Schule und seinen Schwächen und Stärken auseinanderzusetzen - gerade heute!"
Dieser Artikel ist erstmals am 22. Februar. 2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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