Der Teenie-Star 2021 in Moskau
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Rapper Danilo "Danya" Milokin

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"Sie zerstören die Armee": Umgang mit Rapper empört Russland

Der 21-jährige Influencer, Musiker und Schauspieler Danilo "Danya" Milokin bringt Putins Ultranationalisten zum Schäumen: Er ging ins Ausland, kehrte kurzzeitig zurück - und reiste überstürzt ab. Fördert der Kreml unfreiwillig die "Gegenkultur"?

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Kaum war der russische Teenie-Superstar und Rapper Danilo "Danja" Milokin nach längerem Auslandsaufenthalt wieder in Moskau eingetroffen, hatte Ultrapatriotin Katerina Misulina nichts Besseres zu tun, als an das russische Verteidigungsministerium zu appellieren, den millionenschweren Medienhelden, der auch als Werbefigur gefragt ist, einzuberufen: "Dieser Schritt wird zu seiner patriotischen Erziehung beitragen; der junge Mann wird dann in der Lage sein, mit den Waffen in der Hand seine Loyalität und Hingabe an unser Vaterland zu beweisen." Kaum war diese Meldung raus, stürzte Milokin zum Flughafen, um mitten in der Nacht zurück nach Dubai zu reisen, sogar mit einem Economy-Ticket, wie russische Medien betonten. Das wurde allgemein als Indiz dafür genommen, dass der Musiker von der Aussicht, für die Front rekrutiert zu werden, nicht gerade begeistert war.

"Einheit der Zivilgesellschaft" gefeiert

Jetzt tobt in Russland eine Debatte darüber, wie sinnvoll es ist, den Wehrdienst als "Strafe" für missliebige Emigranten einzusetzen. Milokin war von Putins Ultranationalisten dafür attackiert worden, dass er angeblich die Nationalhymne der Ukraine gesungen habe. Tatsächlich stört die Rechtsextremen aber wohl eher dessen androgynes Aussehen und dessen Lebensstil zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten und russischen Gala-Auftritten. Dass Milokin dem aktuellen "Barbie"-Kult in rosa Klamotten huldigte, löste bei russischen Nationalisten Schnappatmung aus. Katerina Misulina jedenfalls zeigte sich überaus zufrieden, dass sie den TikTok-Influencer mit ihrer Aktion schnell wieder aus dem Land "vertrieben" hatte: "Um 23:18 Uhr überquerte er die Grenzkontrolle am Flughafen Wnukowo. Das ist das Ergebnis der Konsolidierung und Einheit der Zivilgesellschaft, von der unser Präsident spricht. Vielen Dank für Ihre Unterstützung, wir arbeiten daran."

"Militärdienst darf keine Strafe sein"

Der kremlnahe Politologe Sergej Markow regte sich darüber auf, dass der Sänger bei seiner Rückkehr nach Russland gesagt hatte, er wolle seinem Heimatland "eine zweite Chance" geben. Wörtlich war der jugendliche Eisrevue-Darsteller ("Ice Age") mit den Sätzen zitiert worden: "Ich bin im Eifer des Gefechts gegangen; es war dumm, alle Bindungen abzubrechen. Mit zunehmendem Alter wird man toleranter und erkennt, dass Länder wie Menschen eine zweite Chance verdienen. Ich räume diese Chance gern ein, deshalb bin ich hier." Das begeisterte zwar die Teenie-Fans, sorgte bei Rechten allerdings für Wutanfälle.

Verschärft wurde die Auseinandersetzung dadurch, dass Putin bei einem Auftritt im Fernen Osten behauptet hatte, kein russischer Kulturschaffender sei wegen einer kritischen Haltung gegenüber der Regierung unter Druck. Die übereilte Abreise von Milokin schien das Gegenteil zu beweisen. Kriegsblogger und Politologen wetterten, der Militärdienst dürfe nicht als "Strafe oder Erziehungsmethode" missverstanden werden: "Das ist das Wichtigste an dieser Geschichte. Es sollte nichts Persönliches sein. Wenn jemand eingezogen werden soll, muss es so sein. Wenn es Gründe dafür gibt, das hinaus zu zögern, sollten öffentliche Äußerungen dem nicht entgegenstehen", so Polit-Blogger Andrej Gusij. Durch den Vorfall sei die russische Jugend "negativ" beeinflusst: "Manchmal sind unsere eigenen Leute schädlicher als andere."

"Fanatische Freak-Propagandisten"

Ein weiterer Blogger zeigte sich frustriert, die russische Jugend werde jetzt den Eindruck haben, dass die "alte Generation" ihnen ihre moralischen Maßstäbe aufzwingen wolle: "Als Reaktion darauf werden sie sich immer weiter von allgemein akzeptierten Normen und Kulturinhalten entfernen und ihre eigene Gegenkultur aufbauen. So stellt sich heraus, dass den 'traditionellen Werten' der größte Schaden von ihren eifrigsten Anhängern zugefügt wird." Noch deutlicher hieß es in einem Blog mit gut 100.000 Abonnenten: "Fanatische Freak-Propagandisten verwandeln die Armee in einen gefängnisähnlichen Bestrafungsapparat. Wenn Sie sich an etwas (an was eigentlich?) schuldig gemacht haben, wandern Sie zur Armee. Das heißt, sie ist wie ein Arbeitslager. Alle diese Leute zerstören unsere eigene Armee, und dabei wird letztendlich das Land vernichtet."

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"Prosecute the Police": Rapper Milokin bei einem Auftritt

Im russischen Parlament fürchteten besonnene Abgeordnete, die Drohkulisse, die Katerina Milusina gegenüber dem Teenie-Star aufgebaut habe, könne "tausende von ausgewanderten Russen, darunter IT-Spezialisten, Wissenschaftler und Geschäftsleute" davon abhalten, je wieder in ihr Heimatland zurückzukehren: "Ich bin sicher, dass 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit dem Land einen viel größeren Nutzen bringen werden als Versuche, im Internet eine Privatrache durchzusetzen", so Parlamentarier Wladislaw Dawankow. Andere gaben zu bedenken, dass "Danja" Milokin bei der Jugend sicher mehr Einfluss habe als die ultranationalistische Telegramm-Bloggerin. Der amerikanische Senator McCarthy habe mit seiner Gesinnungsschnüffelei einst ein schlimmes Ende genommen, war zu lesen.

"Kampf eines schmutzigen alten Mannes"

Der populäre Blogger Andrej Medwedew (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen russischen Ex-Präsidenten) bezeichnete den Sänger zwar als "unangenehmen Charakter", die Debatte über ihn sei allerdings noch "unangenehmer": "Die Armee ist keine Form der Bestrafung und keine Institution zur Umerziehung schwieriger, verwöhnter Teenager. Solche Aussagen – so scheint mir, auch wenn ich mich irren könnte – schmälern die Rolle der Armee, schmälern die Leistung unserer Soldaten, die an der Front kämpfen. Wurden sie etwa auch zur Umerziehung dorthin geschickt? Oder wie?" Die Wiederausreise von Milokin als "Sieg der Zivilgesellschaft" zu feiern, sei "vollends absurd". Er zitierte einen Aphorismus des russischen Historikers Wassili Ossipowitsch Kljutschewski (1841 - 1911): "Der Kampf der russischen Autokratie mit der russischen Intelligenz ist der Kampf eines schmutzigen alten Mannes mit seinen Macken, die er zu nähren, aber nicht zu zügeln verstand."

Militärblogger Roman Saponkow reagierte mit dem Bonmot: "Für gute Menschen ist die Armee wie eine Mutter, für schlechte Menschen wie eine Schwiegermutter." Er beschimpfte den Influencer als "Parasit", er sei zwar kein "Verbrecher", weil er gegen kein russisches Gesetz verstoßen habe, aber sicherlich ein "Arschloch für die patriotische Öffentlichkeit". In Russland, wo er Millionen verdient habe, werde er nicht mehr gebraucht, insofern sei es "notwendig", ihn ins Ausland zu vertreiben: "Jemanden zu zwingen, für unsere Propaganda zu arbeiten, führt in eine völlige Sackgasse. Dann wird es nur viel Geschrei geben, sagt man."

"Russisches Recht auf den Hund gekommen"

Blogger Jewgeni Fedorow schloss sich diesem Urteil leicht abgemildert an: "Der Abgang von Menschen, die Gegner des Vaterlandes sind, stärkt das Vaterland. Das ist ein normaler und natürlicher Prozess der Heilung der Nation. Eine andere Sache ist, dass er als Bürger das Recht hatte, hierher zu kommen, zu leben und zu arbeiten, damit gibt es auch keine Probleme." Es gibt allerdings auch Russen, die sich beunruhigt zeigen: "Seine [Milokins] Geschichte wirft eine Reihe ernster Fragen auf, die indirekt zeigen, dass das russische Recht längst auf den Hund gekommen ist. Woher hat Misulina Fotos der Personalakte des Bloggers im Militärregistrierungs- und Einberufungsamt und Informationen über seine Flugverbindungen? Seit wann können Propagandisten dem Verteidigungsministerium vorschreiben, wen es in die Armee einziehen soll und wen nicht? Seit wann ist Mobbing in Russland nicht nur akzeptabel, sondern wird von den Behörden auch gefördert?"

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