Ob am Münchner Gärtnerplatz, im Englischen Garten oder an der Isar: Überall sitzen derzeit – zumeist junge – Leute mit einer Flasche Bier in der Hand und genießen das milde Frühlingswetter. Klar, hat ja sonst gerade alles zu.
Mit einem Bier in der Hand in der Großstadt rumzuhängen, ist aber trotzdem so neu nicht. Auch wenn sich etwas verändert hat.
"Ein gemütliches Gefühl"
Freitagnachmittag in München, es ist kurz nach 17 Uhr. Vor dem bekannten Kiosk an der Reichenbachbrücke wird die Schlange immer länger. Noch schnell ein kühles Bier kaufen, dann geht’s zu Fuß oder mit dem Radl runter an die Isar.
Georg Irgmaier sitzt schon am Ufer. Jetzt sucht er nur noch einen Öffner für sein Augustiner. "Das ist das wohlverdiente Freitag-Feierabend-Gefühl. Dass man sich irgendwo trifft und eine halbe Bier aufmacht, an die Isar geht vielleicht, oder ein schönes Platzerl sucht. Das ist einfach was Feines, ein gemütliches Gefühl", sagt der 30-Jährige.
Ein gemütliches Gefühl, nicht erst seit der Pandemie. Georg Irgmaier weiß das Wegbier – oder die "Weghoibe", wie er sagt – schon seit jeher zu schätzen. Denn wenn man auf dem Weg in die Kneipe oder ins Fußballstadion sich zur Einstimmung schon mal eine Halbe aufmacht, das gehöre einfach dazu, so der Münchner.
Das Wegbier im Wandel der Zeit
Das Wegbier ist mittlerweile für viele Leute Teil des "bayerischen Lebensgefühls". Doch das war nicht immer so, sagt Ursula Eymold, Sammlungsleiterin für Stadtkultur am Münchner Stadtmuseum.
Die Bierexpertin hat unter anderem schon einmal eine Ausstellung über die Bedeutung des Biers für die Stadt kuratiert und weiß, dass das Bier in München zwar schon lange eine große Rolle spielt – doch wie, wann und vor allem von wem es getrunken wird, das hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert.
"Wenn man jetzt einen größeren Schritt zurückgeht, muss man sagen, dass Bier auf offener Straße zu trinken, nicht besonders angesehen war. Das war ein Thema, dass vor allem auch für Frauen vollkommen unvorstellbar gewesen wäre." Ursula Eymold, Bierexpertin
Verändertes Trinkverhalten bei Frauen
Noch in den 1950er-Jahren wurde man also als "Gammler" oder "Sandler" angesehen, wenn man sich mit einer Flasche Bier in der Hand im öffentlichen Raum aufhielt.
Erst seit den 70er-Jahren gebe es überhaupt das Phänomen, dass private Feiern auf die Straße gelegt werden, weiß die Bierexpertin. "Natürlich waren da dann auch Frauen dabei – die tranken damals aber noch eher Champagner, Sekt oder Wein".
Ursula Eymold hat in den letzten Jahrzehnten auch festgestellt, dass das Bier vor allem bei Frauen immer größeren Anklang findet: "Die Trinkgewohnheiten von Frauen haben sich ja auch geändert, weil viel mehr Frauen Bier trinken als das früher üblich war."
Süße Biersorten und Imagewandel des Oktoberfestes
Dass Bier mittlerweile bei Frauen genauso beliebt ist wie bei Männern, kann auch damit zu tun haben, dass die hellen Biersorten, die gerade in München angesagt sind – also beispielsweise Tegernseer oder Augustiner – eher süß sind.
Doch zurück zum Wegbier: Wann ist es "normal" oder sogar "gemütlich" geworden, mit einem Bier in der Hand durch die Stadt zu laufen?
Laut Bierexpertin Ursula Eymold hat sich das Ansehen des Wegbiers vor rund zwanzig Jahren geändert. Das könnte auch mit dem Imagewandel des Oktoberfestes zu tun haben: "Es gibt ja auch einen ganz großen Wandel beim Oktoberfest: Dass wir mit dem Vorglühen ein Phänomen haben, dass schon vor Öffnung der Festzelte die Menschen mit einem Bier in der Hand oder auch härterem Alkohol anstehen."
Eymold glaubt, dass es deshalb auch gebräuchlicher geworden sei, mit einer Flasche im öffentlichen Nahverkehr (mittlerweile verboten) unterwegs zu sein. "Ich vermute, dass das zusammenhängt und daraus kann man eben schon die Zeit ableiten, so um die Jahrtausendwende würde ich sagen."
Isar-Kiosk: Biersorten aus aller Welt bis fünf Uhr morgens
Heute gehört die Bierflasche halt einfach zum Münchner Stadtbild. Eine Entwicklung, von der Gundolf Straub gut leben kann. Seit rund 20 Jahren führt er mit seiner Frau den Kiosk "Isarwahn".
"Es ist schon was anderes, ob ich jetzt am Hauptbahnhof stehe oder am Stachus und die Bierflasche in der Hand habe – das macht keinen guten Eindruck. Aber wenn ich heute von einer Wanderung komme und mir hier ein Bier kaufe zum Mitnehmen, da muss ich sagen, das ist kein Anstoß", sagt der Kioskbetreiber.
Auch andere haben sich auf die große Nachfrage nach Wegbier eingestellt: Der Kiosk an der Reichenbachbrücke hat nicht nur bis um 5 Uhr morgens geöffnet, er hat sich in den letzten Jahren zu einem regelrechten Bier-Eldorado entwickelt und führt unzählige Biersorten aus der ganzen Welt. Erst vor wenigen Wochen hat Giesinger Bräu einen Stehausschank am Viktualienmarkt eröffnet.
"Ein Symbol für Freiheit"
In München gehört das Wegbier mittlerweile zum Lebensgefühl. Für Georg Irgmaier ist es aber noch mehr: ein Symbol für Freiheit.
"Man kennt es ja auch aus anderen Ländern anders, dass man es vielleicht sogar auch gar nicht darf, sich in der Öffentlichkeit ein Bier aufzumachen. Da merkt man wieder, was das für ein schönes Freiheitsgefühl ist bei uns, wenn man draußen miteinander eine Halbe trinken darf und das kein Problem ist." Georg Irgmaier
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