Dieser Film liebt didaktische Vergleiche. Das beginnt schon im Vorspann. Von Michelangelos Sixtinischer Kapelle ist da die Rede. Einem absoluten Überkunstwerk. Und von einem Überkunstwerk will ja auch dieser Film erzählen: der legendären Kölner Klavier-Soloimprovisation von Keith Jarrett.
Im Fokus steht die Konzertveranstalterin Vera Brandes
Ehe man sich aber fragen kann, ob dieser Vergleich nicht doch ein bisschen schief ist, wird der schon wieder kassiert. Das Werk soll hier gar nicht im Fokus stehen. Dieser Film sei ein Film über das Gerüst, schließt der Vorspann seinen kleinen kunstgeschichtlichen Exkurs. Auf einem solchen Gerüst stand Michelangelo, als er seine Fresken gemalt hat. Und auch Jarrett stand auf einem, im übertragenen Sinn zumindest. Sein Gerüst war die Konzertveranstalterin Vera Brandes. Ohne sie hätte er sich in Köln nicht ans Klavier gesetzt. Und um sie dreht sich also dieser Film.
50 Jahre wurde das Köln Konzert im Januar alt. Wie es dazu kam, oder besser, wie es fast nicht dazu kam, diese Geschichte wurde zum Jubiläum leidlich oft erzählt: Jarrett hat einen Konzertflügel bestellt, in der Kölner Oper wartet aber ein kaputter Stutzflügel auf ihn, darauf kann er natürlich nicht spielen, will abreisen, dann bequatscht ihn Vera Brandes, sodass er sich am Ende doch noch an das Schrottinstrument setzt und – logisch – ein Jahrhundertalbum einspielt.
Regisseur Ido Fluk traut der eigenen Geschichte nicht
Nette Geschichte, aber trägt sie auch einen Spielfilm? Eher nicht. Erst will er nicht, dann tut er’s doch. So ist das halt manchmal. Dass eine tollkühne Mala Emde als Vera Brandes dazwischen wahnsinnig viel hin- und herrennt, kaschiert kaum, dass hier spannungsmäßig nicht übertrieben viel los ist. Und das scheint auch Regisseur Ido Fluk geahnt zu haben, der deshalb dem beinahe-Drama am Tag des Konzerts noch zwei weitere Kapitel vorangestellt hat.
Im ersten Teil geht es um die Vorgeschichte von Vera Brandes: Wie sie als 16-Jährige über Nacht zur Konzertveranstalterin wird. Wie sie sich durch Sex, Drugs und Jazz von ihrer ultrabürgerlichen Familie zu emanzipieren versucht. Und sich von ihrem Zahnarztpapa (mit herrlich verkniffenem Bluthochdruckgesicht: Ulrich Tukur) als Hure beschimpfen lassen muss.
Im zweiten Teil dann tuckert Jarrett (eisern genervt: John Magaro) im Auto von der Schweiz nach Köln. Anreise zum Konzert, eine schlaflose Nacht in einem klapprigen Renault. Produzent Manfred Eicher (zum Ankuscheln müde: Alexander Scheer) sitzt am Steuer, ein Jazzjournalist (zottelig-tapsig: Michael Chernus) auf der Rückbank. Das ist übrigens die Stelle, an der der Film am deutlichsten von den "wahren Begebenheiten" abweicht, von denen er erzählen möchte. Den Journalisten auf der Rückbank gab es nicht.
Jazz-Nachhilfe aus dem Off
Der Film braucht ihn aber, damit er Jarrett bierernste Fragen stellt, auf die der dann tiefsinnige Antworten geben kann. Journalist Michael ist der Anwalt des Publikums, das ja wohl nicht nur eine nette Geschichte erzählt bekommen, sondern auch ein bisschen was über Jazz lernen will, gell? Dankenswerterweise unterstreicht er deshalb auch gewissenhaft ("That’s very good"), wenn Jarrett oder Eicher etwas besonders Interessantes sagen. Und er durchbricht die vierte Wand, wenn ein bisschen mehr Jazz-Nachhilfe nötig ist.
Diese metafiktionalen Spielereien könnten ganz lustig sein, sind aber oft ein bisschen sehr gut gemeint. Was so erstaunlich an einer Improvisation ist, macht Michael etwa klar, indem er einer klassischen Pianistin den Bach vom Notenpult klaut. Ergebnis: Sie kann nicht mehr spielen. Wow. Kurz darauf nennt er dann Miles Davis den Michael Jordan des Jazz. Das schreit derart nach Hey-Kids-Didaktik, dass man ihn gerne für ein Praktikum im Schulfunk anmelden würde.
Jarrett hat die Musikrechte nicht rausgerückt
Das Hauptproblem ist aber ein anderes: Dieser Film redet zwar über Jazz. Aber er zeigt ihn nicht, zumindest so gut wie nicht. Jarrett selbst dürfte daran nicht ganz unschuldig gewesen sein. Weder wollte der sich nämlich an diesem Filmprojekt beteiligen, noch gab er die Rechte an seiner Musik frei. Kein Köln Concert also. Das ist – da kann man schwer drumrumreden – eine gewisse Hypothek für einen Film über das Köln Concert.
Stattdessen spielt hier der Schweizer Pianist und Theatermusiker Stefan Rusconi. Zwar ist dessen Musik für sich genommen interessant, aber dass das hier alles nur pseudo ist, dass das näher dran ist an Neoklassik, als an Jarretts pianistischem Super G, das hört man leider sofort. Da hilft auch nicht die entrückte Mine von Mala Emde im Publikum. Weder findet dieser Film also den richtigen Sound, noch wirklich interessante oder überraschende Bilder, um dem auf die Spur zu kommen, was das Köln Concert ausmacht. Das kann die Live-Aufnahme immer noch besser.
Im Audio: Vera Brandes über das legendäre "Köln Concert"
Vera Brandes (l.) und Mala Emde auf der diesjährigen Berlinale bei der Uraufführung von "Köln 75"
Dieser Artikel ist erstmals am 10.03.2025 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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