Manches klingt zutiefst romantisch, es gibt aber auch Spottgesänge, die einem Heinrich Heine gut zu Gesicht gestanden hätten. Das lyrische Werk des Karl Marx hat bisher ein weitgehend unbeachtetes Dasein in der große Marx-Engels-Gesamtausgabe gefristet, bis aus Anlass des 200. Geburtstags die Band „Die Grenzgänger“ die Gedichte des Philosophen gesichtet und eine Auswahl vertont hat.
"Den Verhältnissen ihre Melodie vorspielen"
Michael Zachcial, Sänger und Gitarrist des Bremer Quartetts, war schon in den theoretischen Schriften von Karl Marx dessen oft bildhafte Sprache aufgefallen.
Versteinerten Verhältnissen ihre eigenen Melodie vorspielen und sie dadurch zum Tanzen bringen, das ist ja schon Poesie, eigentlich. Und dann bin ich beim Stöbern im Internet auf eine Seite gekommen, wo stand, dass unter dem Titel „Wilde Lieder“ die allererste Veröffentlichung von Karl Marx überhaupt war – und da standen zwei Gedichte – eins auch mit dem „Spielmann“, was wir jetzt auch auf dem Album haben und irgendwann kam ich dann drauf, dass er Hunderte von Texten geschrieben hat und hab mir dann eine nicht mehr im Handel erhältliche Ausgabe der Marx-Engels-Werke besorgen können, wo diese Gedichte alle drin standen. Der Rest ist dann Fleißarbeit gewesen. - Michael Zachcial
Wirklich gut singbar
Die Fleißarbeit bestand darin, zunächst eine für eine heutiges Publikum relevante Auswahl zu treffen und dann Melodien und Arrangements zu entwickeln. Dieser Teil des Arbeitsprozesses war der interessanteste, erzählt Michael Zachcial, denn:
Erst dadurch, dass wir sie mit Musik in Verbindung gebracht haben, merkte man eigentlich, was in diesen Texten drin steckt. So rein vom Lesen und vom Sprechen war das gar nicht so nachvollziehbar. Erst als wir anfingen, wirklich zu spielen, entdeckte man halt auch, dass sie wirklich gut singbar waren. Das hat dann auch sehr viel Spaß gemacht. - Michael Zachcial
Marx satirisch als Rap
Manche Sachen waren ganz leicht, also zum Beispiel der Spielmann, da war relativ schnell klar, dass das ein Blues sein musste. Dann gibt’s ja die Geschichte, wo Marx sich lustig macht über den Dozenten, der die Goethe-Texte von der Kanzel richtig „abkanzelt“, weil Goethe nicht genug religiöse Erbauungsliteratur in seinen Texten hat. Und da kam uns recht schnell die Idee, dass das vielleicht ein Rap sein könnte, weil uns das ein bisschen an Poetry-Slam-Thematik heutiger Tage erinnerte.
Liedermacher Marx und Biermann
Eigentlich sind „Die Grenzgänger“ eher im Folk zuhause, aber für ihre „wilden Lieder des jungen Marx“ erweitern Cellistin Anette Rettich, Akkordeonspieler Felix Kroll, Gitarrist Frederic Drobnjak und Sänger und Gitarrist Michael Zachcial ihr Repertoire in Richtung HipHop, Chanson und Blues. Und sie stellen Karl Marx ganz nach oben aufs Liedermacher-Podest – zusammen mit Größen wie Wolf Biermann, Franz-Josef Degenhardt oder Konstantin Wecker. Was Michael Zachcial im Interview als Anspruch formuliert, das ist ihm und seiner Band also vollauf gelungen:
Da liegen 200 Jahre zwischen den Texten und dem heutigen Publikum, den heutigen Hörgewohnheiten und das ist natürlich auch unsere Aufgabe als Musiker dann zu versuchen, eine Brücke zu bauen, dass man eben den Texten dann gar nicht mehr so anhört, dass sie 200 Jahre alt sind – und wenn uns das gelingt, freuen wir uns. - Michael Zachcial