"Ich habe dumme Leute satt. Ich habe sie einfach satt. Ich kann das nicht mehr ertragen", seufzte Hollywood-Schauspielerin Whoopi Goldberg kürzlich. Anlass für ihr Entsetzen: "Es gibt echte Probleme, die Millionen von Amerikanern betreffen, um nur die Schwangerschaftsrechte, den Rassismus, die Gesundheitskosten, die Einkommensunterschiede und die Waffengewalt zu nennen, aber Fox News redet den Leuten zur Hauptsendezeit ein, sie sollten sich Sorgen machen über eine Verschwörungstheorie um Taylor Swift." Manche Menschen seien offenbar von den "seltsamsten Dingen" geängstigt, so Goldberg und lobte die Popsängerin: "Sie bringt Leute dazu, rauszugehen und zu wählen, möglicherweise einschließlich aller Arten von Leuten, von denen Sie lieber nicht möchten, dass sie wählen."
Tatsächlich hatte der Donald-Trump-Fan und Fox-Moderator Jesse Watters in seiner Sendung vom 10. Januar gegen die vom TIME-Magazin kürzlich zur "Frau des Jahres" ausgerufene Taylor Swift gewettert: "Haben Sie sich jemals gefragt, warum sie dermaßen allgegenwärtig ist? Nun, vor vier Jahren machte die Abteilung des Pentagons für psychologische Kriegsführung Taylor Swift zu einem ihrer Aktivposten am Rande einer NATO-Tagung. In welcher Hinsicht? Es ging um die Bekämpfung von Fehlinformationen im Netz."
Zwar hat Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh diese Verschwörungstheorie bereits zurückgewiesen ("Wir werden sie hinter uns lassen") und gewitzelt, das Verteidigungsministerium brauche so schnell wie möglich mehr Geld ("as Swift-ly as possible"), um "Out Of The Woods" (aus dem Wald) zu kommen (so der Titel eines Taylor-Swift-Songs), doch dieses Wortspiel beendete die Debatte keineswegs.
Anekdoten um Elvis und Michael Jackson
Seine aus der Luft gegriffene Behauptung sei vielmehr "wirklich" wahr, so Watters, der zwar anfügte, dafür lägen keine Beweise vor, gleichwohl gebe es Anlass "sich zu wundern". Im Übrigen sei das gar nichts Neues, dass die US-Behörden Künstler für politische Zwecke einsetzten: So seien schon Louis Armstrong und Nina Simone für die CIA unterwegs gewesen: "In den Siebzigern heuerte [Präsident] Nixon Elvis für den Krieg gegen Drogen an. Er nannte ihn sogar einen verdeckten Ermittler. Michael Jackson engagierte sich im Auftrag von Ronald Reagan gegen den Alkoholmissbrauch von Teenagern, speziell am Steuer."
Nachdem er sein Publikum auf diese Weise mit zweifelhaften Anekdoten vorbereitet hatte, schimpfte Watters, Hunderttausende von Taylor Swift-Fans hätten sich "plötzlich in die Wählerlisten eingetragen". Er frage sich, ob das Weiße Haus dahinter stecke. Ein vermeintlicher Experte durfte daraufhin prompt in einem "Interview" davor warnen, dass der Popstar wegen seiner vielen Fans ein politischer Machtfaktor sei.
"Alles was sie wollen, ist eine schnelle Abtreibung"
Seitdem brodeln die Gerüchte und ereifern sich vor allem rechtskonservative Blogger, obwohl ein Pressesprecher von Taylor Swift darauf verwiesen hatte, ihr Engagement zur Erhöhung der Wahlbeteiligung sei "in keiner Weise" vom Pentagon inspiriert. Das Misstrauen auf der Rechten wird wohl noch zunehmen, seit der griechische EU-Politiker und Vize-Kommissionspräsident Margaritis Schinas bekundete, niemand könne junge Leute besser mobilisieren als die Popsängerin, zumal sie auf Instagram rund 280 Millionen Follower habe: "Deshalb hoffe ich, dass sie dasselbe für junge Europäer macht", postete Schinas, schließlich trete Taylor Swift am 9. Mai, dem Europa-Tag, in Paris auf. Dort könne sie einen Aufruf zur Wahl am 9. Juni starten.
Im Dunstkreis von QAnon-Gläubigen und anderen rechtsextremen Sektierern wird Taylor Swift als "satanische Hexe" geschmäht, die auf ihren Konzerten "mit schwarzen Messen" unheilvollen Einfluss habe. Der Abtreibungsgegner und rechtsradikale Kommentator Charlie Kirk hatte sich bereits im vergangenen November aufgeregt, Taylor Swift werde inzwischen wie "Mutter Maria" behandelt, obwohl sie keine sei: "Alles, was die Swifties wollen, ist eine schnelle Abtreibung ('swift abortion')." Die politische Rechte solle sich besser darauf vorbereiten, dass die Sängerin "Millionen und Millionen" junger Wählerinnen an die Urnen treibe.
"Einige Affinität zur queeren Identität"
Womöglich droht der Taylor-Swift-Hype in ganz neue Dimensionen vorzustoßen, rechts wie links. Die "New York Times"-Kolumnistin Anna Marks hatte am 3. Januar geschrieben: "Ob sie sich dessen bewusst ist oder nicht, Frau Swift signalisiert der queeren Gemeinde – so wie wir es ausdrücken – dass sie einige Affinität zur queeren Identität hat." Im einigermaßen rätselhaften Text geht es dann allerdings um eine lesbische Countrysängerin, die davon träumt, dass sich jemand ganz Großes outet, der etwas zu verlieren habe, denn die queere Gemeinschaft brauche ihre Helden.
Autorin Anna Marks schreibt dazu: "Was, wenn schon jemand versucht hat, zumindest einmal, die Kultur dadurch zu verändern, dass er solch ein Held wird? Was, wenn unsere Kultur dafür nicht bereit war, weil sie immer noch ihr Verhältnis zur Homophobie klären muss? Was, wenn der Name dieser Heldin Taylor Alison Swift war?" Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass die Sängerin ihren Song "ME!" an einem 26. April veröffentlicht habe, dem Tag lesbischer Sichtbarkeit.
Im Video zum Song tanze sie auf einer Art Gay Pride-Parade, lasse sich mit Regenbogenfarben überschütten und weise den Heiratsantrag eines Mannes zurück. So oder so habe Swift die Popkultur dermaßen dominiert, dass diese "Transformationen" auch die amerikanische Alltagskultur veränderten. Sie habe etwa davon gesungen, dass jede Empörung über queere Sichtbarkeit eine "Verschwendung von Zeit und Energie" sei.
Egal, was von der politischen Instrumentalisierung Taylor Swifts zu halten ist: Ihre Bedeutung ist kaum zu überschätzen. So macht sie mit ihren Songs derzeit 1,7 Prozent des gesamten US-Musikmarkts aus, wie ein Fachportal meldete. Außerdem produzierte sie den erfolgreichsten Konzertfilm aller Zeiten mit einem Umsatz jenseits von 250 Millionen US-Dollar. Swapnil Rai, Professor für Medienfragen an der University of Michigan, behauptete gegenüber US-Medien, der ganze Hype um Taylor Swift habe in der Tat viel mit ihrem Geschlecht zu tun. Es sei vergleichsweise "einfacher", weiblichen Superstars abwegige Fake News anzudichten.
Dieser Artikel ist erstmals am 15.01.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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