Der Musiker posiert vor einem Bücherregal für ein Foto, neben ihm eine Langflöte und eine Schale mit blauen Trauben
Bildrechte: Tayfun Guttstadt

Musiker mit akademischem Hintergrund: Tayfun Guttstadt

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Trap meets orientalische Lyrik: Debütalbum von Tayfun Guttstadt

Was haben uralte orientalische Gedichtzeilen und vom Hip-Hop inspirierte Trapmusik miteinander zu tun? Nichts, oder? Der Musiker Tayfun Guttstadt aus Hamburg behauptet das Gegenteil. Und tritt in seinem Debütalbum "Tarâpzâde" jetzt den Beweis an.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Es kann einen innerlich zerreißen, dieses Dilemma: einerseits die eigene Begrenztheit zu empfinden, die Grenzen des eigenen Effekts auf die Welt spüren zu müssen – aber andererseits nicht schweigen zu wollen angesichts von Gefühlen der Trauer oder Ungerechtigkeit.

Der Dichter Fuzúli, der vor 500 Jahren im heutigen Irak gelebt hat, bringt dieses Dilemma in nur wenigen Gedichtzeilen auf den Punkt. Tayfun Guttstadt zitiert sie in einem seiner Songs. "Spreche ich es aus," so könnte man diese Zeilen übersetzen, "spreche ich es aus, so hat es keine Wirkung. Doch schweige ich, so gibt mein Herz keine Ruh." Und dann darf der Bass knallen, bei Tayfun Guttstadt.

Synthese als Stil-Prinzip

In diesem Stück, "Tesir" heißt es, wird ganz besonders deutlich, wie ernst es der Musiker meint mit dem Aufeinanderprallen von Musik- und Gedicht-Traditionen aus dem Orient, die vor Hunderten von Jahren ihren Ursprung haben, und den tiefen Bässen und verschleppten Rhythmen der Hiphop-Spielart Trap.

Und so ist der Titel von Tayfun Guttstadts Debütalbum mehr als nur ein Fantasiewort. "Tarâpzâde" enthält die Essenz seines musikalischen Schaffens: "Das klingt sehr klassisch osmanisch. Gleichzeitig ist da 'Trap' drin, die Musikrichtung. 'Tarab', also Entzückung im Arabischen. Und 'sade' bedeutet 'getroffen von, beeinflusst von', das ist ein Wort persischen Ursprungs."

Musiker mit akademischen Hintergrund

Die Ursprünge von Tayfun Guttstadt liegen in Hamburg, dort ist er geboren. Deutsch-türkische Eltern, Berührungspunkte mit der Türkei und osmanischer Kultur vorerst nur punktuell im Urlaub.

Dann aber, nach dem Abitur, verbringt Guttstadt ein Jahr in der Türkei und im Iran, aus dem Gefühl heraus, sich zu sehr von dieser Kultur entfernt zu haben. Und als er beginnt, die Ney spielen zu lernen, eine Längsflöte, da ahnt er noch nicht, in welche unbekannte Kulturwelten er dadurch würde vordringen können. "Weil es nicht das war, was ich bisher kannte, vor allem türkische Volksmusik und vielleicht auch Pop, sondern eine ganz andere Tradition der Klassik und des Hofes und der religiösen Würdenträger. Das hat mich natürlich sehr geprägt."

Geprägt in mehr als nur einer Hinsicht. Guttstadt erzählt im BR24-Gespräch, er sei durch diese Musik in Kreise gekommen, die eher traditionelle Künste vertreten, Kaligraphie, Rezitation, Gedichte: "So bin ich auch den Texten und Gedichten näher gekommen, die ich auf diesem Album verwende."

Erfolg jenseits der deutsch-türkischen Community

"Musiker mit akademischen Hintergrund": Diese Bezeichnung gefällt Tayfun Guttstadt, dem studierten Islam- und Kulturwissenschaftler inzwischen sehr gut. Es ist dann auch ein sehr bewusstes Schauen und Überlegen, was er da so macht, warum er welchen Text auswählt.

Ein alevitisches Gedicht steckt in dem Song "Cevrimiz". "Unser Umfeld, unsere Kreise" bedeutet das Wort übersetzt. Wenn man sich mal für einen moralischen oder einen spirituellen Weg entschieden habe, sagt Guttstadt mit Blick auf dieses Gedicht, solle man nicht unterschätzen, wie viel es einem abverlangen könne, diesem Weg treu zu bleiben.

Das Interesse an Guttstadts Mischung aus Trap und klassischen Texten und Melodien geht inzwischen weit über die deutsch-türkische Community hinaus: "Bei meinen Spotify-Daten kann ich ja sehen, dass das auf der ganzen Welt gehört wird. Auch in Kanada und Japan. In Südamerika, in verschiedenen Teilen der Welt."

Neues Selbstbewusstsein

Vielleicht, so erzählt Guttstadt weiter, spreche seine Musik Menschen an, die sich fühlen wie er selbst, die "mit ihren Beinen in verschiedenen Welten stehen und manchmal das Gefühl bekommen, das passt alles nicht zusammen."

Das Album solle insofern auch ein neues Selbstbewusstsein ausdrücken. Die Botschaft: Wenn man sich die Mühe macht, das alles wertzuschätzen, dann passt es durchaus zusammen.

Das Debütalbum von Tayfun Guttstadt trägt nicht nur einen Fantasienamen als Albumtitel, es erinnert uns auch daran, wie fantastisch es wäre, wenn wir, die wir fast alle mehrere Traditionen und Kulturen in uns tragen, dieses Potential schätzen und nutzen würden, erst recht in der gegenwärtigen Welt, in der alles immer nur noch eindeutig sein soll.

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