Wenn die US-amerikanischen Medienhypes bestimmten, wer einen Oscar gewinnt und wer nicht, dann könnte Sandra Hüller am Sonntagabend in Los Angeles mindestens einen der begehrten Filmpreise – ihren ersten – bekommen. Seit Wochen wird die aus Thüringen stammende 45-jährige Schauspielerin gefeiert und in den höchsten Tönen gelobt. Noch bevor sie als "Beste Hauptdarstellerin" für ihre Rolle in dem Gerichtsdrama "Anatomie eines Falls" für den Oscar nominiert wurde, titelte das Branchenblatt "Hollywood Reporter", mit Sandra Hüller als Schauspielerin des Jahres. Hüller schreibt schon mit ihrer Nominierung als "Beste Hauptdarstellerin" Geschichte: Zuletzt ist in den 1930er-Jahren eine Deutsche in dieser Kategorie nominiert worden.
- Zum Artikel: Und nichts als die Wahrheit - Anatomie eines Falls
Sandra Hüller, Ilker Çatak und Wim Wenders können auf Oscar hoffen
Noch ein zweiter Film mit Sandra Hüller darf auf den Oscar hoffen: "The Zone of Interest", das Auschwitz-Drama des britischen Regisseurs Jonathan Glazer ist in der Top-Kategorie "Bester Film" nominiert. Hüller spielt in dem verstörenden Film Hedwig Höß, die Ehefrau des KZ-Lagerkommandanten Rudolf Höß, die es sich mit ihren fünf Kindern direkt an der Mauer zum Todeslager in einem großen Haus mit Garten gutgehen lässt. "Man sieht den Pool, die Wasserrutsche, das Gewächshaus – was man nicht sieht, ist das, was auf der anderen Seite passiert", sagt Regisseur Glazer. Das Todeslager ist die ganze Zeit nur als eindringliche Tonspur präsent – als grauenerweckender Hintergrund zu dem gezeigten kinderreichen Familienidyll.
Sandra Hüller ist nicht die einzige Deutsche, die sich Hoffnung auf die begehrte Trophäe machen kann: Auch der in Berlin geborene Regisseur Ilker Çatak (40) ist mit seinem Gesellschaftsdrama "Das Lehrerzimmer" in der Sparte "Internationaler Film" für Deutschland im Rennen. Es geht um eine junge Lehrerin, die in einer Schule eine Serie von Diebstählen aufklärt und viel Einblick gibt in krasse Vorurteile auf deutschen Schulhöfen und gegenwärtige Debatten. Ilker Çatak steht allerdings in Konkurrenz mit Altmeister Wim Wenders (78), der mit seinem poetischen Film über einen Toilettenreiniger in Tokyo "Perfect Days" in der gleichen Kategorie für Japan ins Rennen geht.
"Oppenheimer", "Poor Things" und "Killers of the Flower Moon"
"Oppenheimer", das historische Epos über J. Robert Oppenheimer von Christopher Nolan gilt mit 13 Nominierungen als der haushohe Favorit schlechthin. Wenn dieser Film über den Vater der Atombombe auch nur zwölf dieser Oscars gewinnt, wird er zum größten Oscar-Abräumer aller Zeiten, noch vor "Titanic", der insgesamt elf Oscars bekam.
Auf den "Besten Film" und insgesamt elf Oscars hat auch das so verstörende wie amüsante feministisches Frankenstein-Märchen "Poor Things" des griechischen Regisseurs Giorgos Lanthimos Chancen. Hollywoodstar Emma Stone spielt darin buchstäblich eine Kindsfrau: eine Frau, der das Gehirn eines Babys eingesetzt wurde. Unter der Aufsicht eines Professors wächst sie heran und macht sich sukzessive, aber radikal frei von allen übergriffigen Männern. Das macht Emma Stone derart stupend, dass sie als "Beste Hauptdarstellerin" für den Oscar nominiert ist – und damit unter anderem in Konkurrenz zu Sandra Hüller tritt.
Auch Martin Scorseses dreistündiges Drama "Killers of the Flower Moon" ist für die Topkategorie "Bester Film" nominiert und noch für neun weitere Oscars: unter anderem für Lily Gladstone als "Beste Schauspielerin" - in Konkurrenz zu Stone und Hüller -, für die beste Regie und den "Besten Nebendarsteller" (Robert den Niro). Gladstone wäre die erste indigene Hauptdarstellerin mit einem Oscar. Es geht in dem Drama um die Entdeckung von Ölquellen im Oklahoma der 1920er-Jahre und die dann stattfindende systematische Ermordung von Native Americans.
Als "Bester Film" gehen neben diesen Top-Favoriten oft mit mehreren Chancen ins Rennen:
- "Barbie": Greta Gerwigs Satire mit Margot Robbie und Ryan Gosling
- "Maestro": Bradley Coopers Biopic über den Komponisten Leonard Bernstein
- "American Fiction": die Satire über einen afroamerikanischen Schriftsteller von Cord Jefferson
- "Anatomie eines Falls": Gerichtsdrama von Justine Triet mit Sandra Hüller
- "The Holdovers": Alexander Paynes Weihnachtsfilm mit Paul Giamatti
- "The Zone of Interest": Jonathan Glazers Auschwitz-Drama
- "Past Lives": Der Debütfilm der koreanischen Regisseurin Celine Song
Oscar-Gala mit Kontroversen
Vor allem "Barbie" ließ die Kino-Kassen klingeln. Der Film von Greta Gerwig war DER Blockbuster von 2023 und lässt "Oppenheimer", mit dem er als "Barbenheimer" den Marketing-Gag startete, bei weitem kommerziell hinter sich. Die Barbie-Fans sahen sich daher schon auf dem Oscar-Siegeszug, als die Nominierungen sie auf den harten Boden der Realität zurückholten: "Nur" acht Nominierungen – statt 13, wie Oppenheimer – und weder eine Nominierung Gerwigs für "Beste Regie" noch für Margot Robbie als "Beste Schauspielerin". Stattdessen wird Ryan Gosling in der Kategorie "Beste Nebenrolle" nominiert. Ein Shitstorm tobt tagelang, nicht nur in den Sozialen Medien. Ausgerechnet die Regisseurin und die Hauptdarstellerin einer feministischen Satire werden bei den Oscar-Nominierungen übergangen, während der Mann an Barbies Seite nominiert wird? Selbst Hillary Clinton meldete sich auf X zu Wort: "Greta & Margot, auch wenn es weh tut … - eure Fans lieben euch!"
Falls "Barbie" jetzt auch in den Kategorien "Bester Film" und "Bestes Drehbuch" keinen Oscar gewinnt, aber Ryan Gosling für den "Beste Nebendarsteller" und / oder den besten Originalsong – "I'm Just Ken", dann wird die Oscar-Gala vermutlich nicht ganz ohne Protestkundgebungen der Barbie-Fans über die Bühne gehen.
Durch die Gala führt der US-Komiker Jimmy Kimmel
Gastgeber ist in der Academy zum vierten Mal der US-Komiker Jimmy Kimmel. Al Pacino, Nicolas Cage, Michael Keaton, Jennifer Lawrence, Zendaya und andere Promis helfen dieses Jahr als "Presenter" beim Trophäen-Verteilen mit. Für musikalischen Glamour sorgt Billie Eilish, während Finneas O’Connell und Ryan Gosling ihre beiden nominierten "Barbie"-Songs vortragen: "What Was I Made For?" und die Power-Ballade: "I'm Just Ken".
Als 2017 "Toni Erdmann" als "Bester internationaler Film" nominiert war, sei sie während der Moderation der Gala wiederholt vor die Tür zum Rauchen gegangen, erzählte Sandra Hüller vor kurzem Jimmy Kimmel bei einem Late Night Talk. Dieses etwas unhöfliche Verhalten käme in Deutschland öfters vor. Wer damals denn moderiert habe, fragte Kimmel. Sandra überlegte: "Oh es war Kimmel selbst." Ob sie wirklich die Ruhe hat, rauszugehen, wo sie dieses Mal nicht nur einen Oscar gewinnen könnte – ihren ersten – sondern sogar zwei, das zeigt sich dann in der Oscarnacht, Sonntagabend in Los Angeles.
Mit Informationen von dpa
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