Emma Stone spielt eine Frau mit dem Gehirn eines Säuglings – so lässt sich die Handlung dieses Films in einem Satz zusammenfassen. Das famose Kinoexperiment "Poor Things" von Yorgos Lanthimos erzählt von Bella Baxter, um die 30 Jahre alt, die auf merkwürdige Art und Weise eine zweite Chance bekommt, ihr Leben zu gestalten.
Schwanger und unglücklich in ihrem ersten Leben springt sie Ende des 19. Jahrhunderts von einer Londoner Brücke in die Themse, ertrinkt, aber ein irrer Arzt (gespielt von Willem Dafoe) pflanzt ihr das noch lebende Gehirn der ungeborenen Tochter ein. Der durch Elektrizität reanimierte tote Körper und das junge Organ verbinden sich wundersam zu einer neuen Identität.
Eine erwachsene Frau mit dem Gehirn eines Säuglings
Emma Stone übersetzt das Aufwachsen der wiedergeborenen Bella Baxter in die Bewegungen, die Physis, die Sprache und die wachsenden Bedürfnisse einer bizarren Zwitterfigur, einer wilden Kindfrau. Anfangs tatsächlich wie ein Kleinkind, unsicher und wackelig, läuft Bella durch das Haus in London, in dem sie mit ihrem Erschaffer, den sie 'God' nennt, lebt.
Zuerst eher ein Geschöpf als ein Mensch. Befremdlich und beunruhigend. Den ersten Gehversuchen folgen die Abenteuer der Selbstbestimmung (Ich bin ich!), eines neuen Körpergefühls samt Sexualität – und schließlich des Zerreißens der vermeintlichen Beziehung zwischen Eltern und Kind. Bella geht mit dem schmierigen Anwalt und Weiberhelden Duncan Wedderburn (gespielt von Mark Ruffalo) fortan auf eine Reise quer durch Europa und die Welt des Geistes.
Verzerrte Bilder aus der Sicht der Hauptfigur auf die Welt
Gemeinsam mit seinem Kameramann Robbie Ryan und den Szenenbildnern Shona Heath und James Price schafft Yorgos Lanthimos phantasmagorische, also traumhafte und gespenstische Schauplätze – Kulissenorte von überbordender Künstlichkeit, die an die Zeit des Symbolismus und des Jugendstils erinnern. In ihnen tummeln sich seltsame Mischwesen (etwa eine Ziege mit dem Kopf einer Gans), und sind futuristische Luftschiffe, Dampf-Kutschen, denen künstliche Pferde vorgespannt sind, und märchenhafte Schwebebahnen unterwegs.
Viele Szenen wurden mit extremen Weitwinkelobjektiven oder einer noch extremer verzerrenden Fischaugenoptik aufgenommen, was die absonderliche Coming-of-Age-Geschichte visuell auf ein Level hebt, wie man es noch nicht gesehen hat. Yorgos Lanthimos ließ für alle Schauplätze, ob nun Lissabon, ein Kreuzfahrtschiff oder Paris, im Studio Sets bauen, in die noch Himmel und Wolken hineingemalt wurden: "Wir wollten eine Welt schaffen, die der Wahrnehmung von Bella entspricht. Wir haben alles gebaut, auch die Sets für die Außenaufnahmen. So hatten wir die Kontrolle über das Licht und die Hintergründe. Das machte es uns leichter, dem Film insgesamt diese Anmutung von groteskem Nicht-Realismus zu verpassen."
Bella Baxter – eine Frau setzt sich durch
Bella Baxter ist ein faszinierendes Geschöpf. Wissbegierig und ohne Furcht lernt sie das Leben kennen. Erst mit ihrem Körper und dann mehr und mehr mit ihrem Geist erobert sie die Welt – als eine anarchistisch agierende Frau, die sich ihren Platz in einer patriarchal bestimmten Gesellschaft sichert. Neben der begeisternden stilistischen Umsetzung prägt vor allem Emma Stone mit ihrer unbändigen Lust am Ungelenken den Film.
Zunehmend wird klar, dass nicht sie das titelgebende 'Poor thing' ist, sondern vielmehr alle Menschen, die als "Poor Things" in Konventionen und ohne Mitgefühl für andere leben. Da wird der Film dann zur gesellschaftlichen Utopie für eine Welt, die sich Bella am Ende auf ihre ganz eigene Art frisch zusammensetzt: divers, bunt, sinnhaft und in einem stimmigen Verhältnis von Gemeinschaft und individueller Freiheit.
Emma Stone möchte sich in Zukunft, so sagt es die inzwischen 35-Jährige selbst, nur noch auf Rollen einlassen, die sie in jeglicher Hinsicht herausfordern – so, wie die von ihr grandios gespielte Bella.
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