Wenn in Deutschland über den Islam debattiert wird, taucht oft Ahmad Mansour als Experte auf. Von einem britischen Online-Portal wurden nun Angaben in dessen Lebenslauf angezweifelt. Mansour selbst widerspricht und erwägt rechtliche Schritte dagegen. Auch Recherchen mehrerer Medien kommen zu dem Schluss, dass die Vorwürfe haltlos sind. Doch warum steht Mansour eigentlich stets im Fokus der Öffentlichkeit? Und weshalb gibt es offenbar nicht viel mehr Islam-Expertinnen und -Experten?
Seit 2011 gibt es Zentren für islamische Theologie an deutschen Universitäten. Mittlerweile unterrichten Lehrbeauftragte an sieben Standorten in Deutschland Fächer von Islamischer Ethik über Koran-Interpretation bis hin zu islamischem Recht. Ende 2022 waren rund 2.000 Studierende eingeschrieben.
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"Islamische Theologen müssen sich mehr einmischen"
Mehr öffentliche Stellungnahmen von dieser Seite wünscht sich Murat Kayman. Er ist Rechtsanwalt, Autor und kritischer Kommentator im Diskurs über muslimisches Leben in Deutschland. Kayman fordert von islamischen Theologinnen und Theologen sich mehr einzumischen – besonders nach Ereignissen wie zum Beispiel der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan.
Die Gründe dafür, warum Stimmen aus der islamischen Theologie noch fehlen, seien vielfältig, so Kayman: "Ich glaube, die islamische Theologie an deutschen Standorten ist noch ein zartes, junges Pflänzchen und hat vielleicht an der einen oder anderen Stelle die Sorge, Schaden zu nehmen, wenn man sich zu stark öffentlich positioniert." Eine junge Theologin oder ein Theologe gehe mit einem Schritt in die Öffentlichkeit also auch ein Risiko ein, sagt Kayman.
Dass vor allem diejenigen Akteure Gehör bekommen, die das Thema zuspitzen und skandalisieren, kritisiert Kai Hafez, Kommunikationswissenschaftler an der Uni Erfurt und Mitglied des Expertenkreises Muslimfeindlichkeit. Er beklagt "einen Überschuss an Präsenz an selbst gefertigten Medienexperten". Sarrazin sei der bekannteste von ihnen, die immer wieder als Kronzeugen in Debatten herhielten und eine massive mediale Präsenz hätten.
Dabei hätten sie, so Hafez, "im engeren Kontext der Wissenschaft kaum Anerkennung". Diese selbsternannten Experten würden lediglich "radikale und steile Thesen vorlegen, wie das ein wirklicher Wissenschaftler so nicht machen würde".
Probleme zu sehr im Blickpunkt der Islam-Diskussionen?
Mira Sievers dagegen sieht es positiver. Die Professorin für Islamische Theologie an der Humboldt Universität in Berlin blickt auf die Entwicklung der vergangenen zehn Jahren zurück und findet, "dass man kontinuierlich eine größere Beteiligung von Stimmen aus der islamischen Theologie sehen kann".
Dennoch drehe sich der Diskurs noch oft darum, ob der Islam ein Integrationshindernis sei oder nicht. Und so lange es um "eine Problemorientierung" in Gesprächen über den Islam ginge, sei "nichts zu gewinnen für eine Vertreterin der islamischen Theologie".
Dabei wäre eine Versachlichung der Debatte dringend notwendig, so Kai Hafez von der Uni Erfurt. "Weil das dem Rechtspopulismus und Extremismus das Wasser abgraben würde", sagt der Kommunikationswissenschaftler. Ein negatives Islambild, so Hafez, sei ein erheblicher Teil der rechten Agitation.
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