Darum geht's:
- Die Osteuropa-Expertin Sabine Adler behauptete in der Sendung "Caren Miosga", dass Sahra Wagenknecht einen Telegram-Kanal auf Russisch betreibe.
- Wagenknecht widersprach am nächsten Tag auf X. Nutzer posteten Screenshots von einem russischsprachigen Telegram-Kanal über Wagenknecht.
- Der Einschätzung von Experten zufolge sind das Fan-Kanäle, die weder von Wagenknecht selbst noch von ihrer Partei betrieben würden.
Am 9. März sitzen CSU-Chef Markus Söder, Politikwissenschaftler Herfried Münkler und die Osteuropa-Expertin, ehemalige Moskau-Korrespondentin und Deutschlandradio-Journalistin Sabine Adler gemeinsam an einem Tisch. Sie sind zu Gast in der ARD-Talkshow "Caren Miosga", es geht um Deutschlands Verteidigungspolitik.
- Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier.
Die Runde ist sich einig: Putin ist bestens informiert über die Diskussionen, die in Deutschland geführt werden. Adler sagt, es gebe genügend Menschen, die Putin informieren, auch in Berlin. Zum Beispiel habe Sahra Wagenknecht einen eigenen Telegram Kanal, auf dem sie "auf Russisch ihre Nachrichten eins zu eins ans russische Volk, beziehungsweise an Herrn Putin richtet". Söder fragt nach: "In Russisch?", Adler antwortet: "In Russisch, ja."
Der einzige offizielle Telegram-Kanal von Wagenknecht ist deutschsprachig
Wagenknecht selbst widerspricht am Tag nach der Sendung auf X, vormals Twitter: "Was für ein Stuss!" schreibt sie und postet dazu den Videoausschnitt der Sendung mit Adlers Behauptung.
Der #Faktenfuchs hat sich auf die Suche nach einem solchen angeblichen russischsprachigen Telegram-Kanal von Wagenknecht oder ihrer Partei, dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), gemacht. Das Ergebnis: Es gibt nur einen offiziellen Telegram-Kanal von Sahra Wagenknecht, und zwar auf Deutsch.
Es existieren auch russischsprachige Kanäle zu Wagenknecht, die werden Experten zufolge aber höchstwahrscheinlich nicht von ihr oder dem BSW betrieben. Die Partei teilte auf #Faktenfuchs-Anfrage mit, dass ihr keine solchen russischsprachigen Kanäle bekannt sind. Die Partei betreibe seit Januar noch einen zweiten Kanal namens "Team Wagenknecht: Social-Media-Supporter", allerdings ebenfalls auf Deutsch.
Wagenknecht-Kanal ist über BSW-Webseite zu finden
Der offizielle, deutschsprachige Wagenknecht-Telegram-Kanal ist auch auf der Parteiwebsite des BSW verlinkt. Er heißt "Sahras offizieller Infokanal" und hat aktuell knapp über 21.500 Abonnenten. In der Kanalbeschreibung wendet Wagenknecht sich direkt und persönlich an die Nutzer: "Liebe Freundinnen und Freunde, herzlich willkommen auf meinem offiziellen Infokanal! Hier gibt es Aktuelles aus dem Bündnis Sahra Wagenknecht", heißt es da. Der Kanal postet fast täglich Beiträge, in den Wochen vor der Bundestagswahl sogar mehrmals täglich.
Unter Wagenknechts X-Post zu Sabine Adlers Aussage bei "Caren Miosga" stehen mittlerweile fast 800 Kommentare. Nutzer posten dort Screenshots von einem Telegram-Kanal, der Inhalte zu Wagenknecht auf Russisch teilt. Ein anderer Nutzer bezweifelt, dass Wagenknecht selbst dahintersteht.
Es gibt einen russischsprachigen Telegram-Kanal mit Inhalten zu Sahra Wagenknecht, doch alles deutet darauf hin, dass jemand anders ihn betreibt.
Sabine Adler nennt auf die #Faktenfuchs-Nachfrage, auf welchen Telegram-Kanal sie sich in ihrer Aussage bezog, einen Kanal mit dem Titel "Сара Вагенкнехт на русском". Übersetzt heißt das "Sahra Wagenknecht auf Russisch". Der Kanal existiert seit Oktober 2022, heute hat er knapp 3.000 Abonnenten. Geteilt werden dort vor allem russische Übersetzungen von Wagenknechts Social-Media-Beiträgen und ihren Reden.
Kanal auf Russisch existiert, ist aber höchstwahrscheinlich ein Fan-Kanal
Welche Verbindung zwischen einem Social-Media-Kanal mit Partei-Inhalten und der Partei selbst bestehe, sei schwierig festzustellen, sagt Richard Kuchta, Analyst beim Institute for Strategic Dialogue (ISD) Germany. Denn neben den offiziellen Social-Media-Kanälen von Parteien gebe es oft auch Fan-Kanäle, die im Namen einer Partei posten und nicht immer transparent machen, dass sie kein offizieller Kanal sind.
Kuchta ist Experte für die Verbreitung politischer Inhalte auf Social-Media-Plattformen wie Telegram und forscht unter anderem zu prorussischen Informationskampagnen. Er hat für den #Faktenfuchs Daten zum Telegram-Kanal "Сара Вагенкнехт на русском" (Sahra Wagenknecht auf Russisch) ausgewertet. Seine Einschätzung: Der Kanal sehe nicht so aus, als würde Wagenknecht oder ihre Partei ihn betreiben. Auch Julia Smirnova, Senior Researcherin am Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS), kommt zu diesem Schluss. Die beiden Experten machen ihre Einschätzung an verschiedenen Punkten fest.
Was sind Hinweise darauf, dass es sich um einen Fan-Kanal handelt?
Kanalbeschreibung
Ein Indiz dafür, dass es sich nicht um einen von Wagenknecht selbst betriebenen Kanal handelt, sondern um einen Fan-Kanal, findet sich laut Kuchta vom ISD schon in der Kanalbeschreibung. Auf Russisch steht dort: "Ein Kanal für übersetzte Artikel von Sahra, über sie und von ihr. Für alle Fans und Interessierte an deutscher Politik." Anders als in Wagenknechts offiziellem deutschen Telegram-Kanal wird hier also weder aus ihrer Perspektive geschrieben, noch werden die Nutzer direkt angesprochen.
Kein koordiniertes Post-Verhalten
Charakteristisch für einen selbst betriebenen fremdsprachigen Kanal – oder einen, der sich als solcher ausgibt – wäre es laut Kuchta, wenn der Rhythmus der Posts auf den des offiziellen deutschsprachigen Wagenknecht-Accounts abgestimmt wäre. Doch: "Es gibt keinen Beweis für so ein koordiniertes Verhalten. Wenn wir uns die Zeiten anschauen, wann etwas auf dem offiziellen Kanal von Sahra Wagenknecht veröffentlicht wurde und wann auf diesem Kanal, dann sind die sehr weit voneinander entfernt", sagt Kuchta. Es würden zudem nicht nur Wagenknechts Telegram-Posts übersetzt, sondern auch Beiträge aus anderen Telegram-Kanälen geteilt.
Geringe Aktivität
Hinzu kommt: Im russischsprachigen Kanal werde nur unregelmäßig gepostet, und nicht alle Beiträge aus Wagenknechts deutschem Kanal würden übersetzt. Besonders in der intensivsten Phase des Wahlkampfs zur Bundestagswahl sei sehr wenig über das BSW und Wagenknecht gepostet worden, sagt Julia Smirnova von CeMAS. Das spreche nicht dafür, dass der Kanal von der Partei betrieben werde. Würde Wagenknecht selbst hinter dem Account stehen, wäre es laut Kuchta in ihrem Sinne, dort mehr zu posten, um ihre Nachrichten so weit wie möglich zu verbreiten.
Kritischer Beitrag über Wagenknecht
Einen Beitrag im Kanal fanden Smirnova und Kuchta besonders auffällig. Die meisten Posts dort befürworten Wagenknecht und ihre Politik, doch nach der Bundestagswahl gab es einen Beitrag, der Wagenknecht kritisiert. Darin heißt es, Wagenknecht sei selbst für das Scheitern des BSW bei der Bundestagswahl verantwortlich, da sie sich von ihrer prorussischen Position abgewandt habe und aufgehört habe, sich für den Frieden einzusetzen. Smirnova und Kuchta sind sich einig: Würden Wagenknecht oder ihre Partei hinter dem Kanal stehen, wäre es nicht in ihrem Interesse, solche kritischen Stimmen nach der Wahlniederlage zu teilen.
Nach der Bundestagswahl gab es im besagten Telegram-Kanal einen Beitrag, der Wagenknecht kritisiert.
All diese Hinweise sind für die beiden Experten von ISD und CeMAS eindeutig. Hundertprozentig ausschließen, dass Wagenknecht oder das BSW selbst hinter dem Kanal steckt, können allerdings beide nicht. Für Nutzer, die Russisch sprechen, werde aus der Kanalbeschreibung und den Beiträgen, die geteilt werden, jedoch klar, dass es sich um einen Fan-Kanal handele, sagt Kuchta vom ISD. Der Kanal versuche also nicht absichtlich, sich als offizieller Wagenknecht-Account auszugeben und Nutzer zu täuschen.
Wer könnte hinter dem Kanal stecken?
Smirnova ist sich sicher, dass es keine Bots sind, die den Kanal bespielen: "Es sind auf jeden Fall Menschen, die diese Meldungen erst ausgesucht, dann übersetzt und dann im Kanal gepostet haben." Würde es sich um einen vollautomatisierten Kanal handeln, wären klare Muster im Stil, den verwendeten Quellen oder dem Format der Posts zu erkennen, sagt Smirnova. Sie und Kuchta gehen davon aus, dass der Kanal von einem Wagenknecht-Fan in Russland betrieben wird.
"Die Daten, die ich gefunden habe, deuten zwar darauf hin, dass dieser Kanal aus Russland betrieben wird. Aber natürlich kann man das auch relativ leicht umgehen. Entweder mit einer russischen Telefonnummer oder auch mit VPN", sagt Kuchta. VPN steht für "Virtual Private Network", damit "leiht" sich ein Nutzer eine andere IP-Adresse, zum Beispiel aus einem anderen Land.
Smirnova hat den Eindruck, den Betreibern des russischen Telegram-Kanals sei die Verbreitung von kremlfreundlichen Inhalten wichtiger als die Politik von Wagenknecht. "Sie nutzen prorussische Positionen von BSW und von Sahra Wagenknecht, um prorussische Positionen insgesamt zu verbreiten", sagt sie. So greife der Kanal fast nur BSW-Themen mit Bezug zu Russland auf: Zum Beispiel die Kritik an militärischer Hilfe für die Ukraine, die Forderung, US-Truppen sollen Deutschland verlassen, oder den Boykott BSW-Abgeordneter von Wolodymyr Selenskyjs Auftritt im Bundestag.
Da der Kanal manchmal Nachrichten von anderen prorussischen Telegram-Kanälen namens "Node of Time", "CSRC Agency" oder "Kanzlerdaddy" teilt, scheinen die Betreiber Teil einer Bubble aus prorussischen Kanälen zu sein, sagt Smirnova. Deren Zielgruppe: russischsprachige Leser in Deutschland oder Menschen in Russland, die sich sehr speziell für deutsche Politik interessieren.
Wen erreicht der Kanal?
Das internationale Interesse an deutscher Politik auf Telegram sei groß, sagt Kuchta, nicht nur in Russland. Vor allem in Bezug auf internationale Politik, denn als wichtiges Land in der EU hätten deutsche Entscheidungen großen Einfluss, zum Beispiel auf den Krieg in der Ukraine. Deshalb gebe es auch größere russische Telegram Kanäle mit Fokus auf deutsche Politik, zum Beispiel der schon erwähnte "Папочка канцлера" (Kanzlerdaddy) mit fast 80.000 Abonnenten.
Die Daten, die Kuchta ausgewertet hat, deuten darauf hin, dass der russische Kanal über Wagenknecht nicht nur ein russischsprachiges Publikum in Deutschland und Russland erreicht. In den letzten 30 Tagen wurde der Kanal zwar hauptsächlich in russischsprachigen Kanälen aus Russland, aber auch aus Italien, Frankreich und Brasilien erwähnt.
Privater Telegram-Kanal nicht mehr auffindbar
In einer weiterführenden #Faktenfuchs-Recherche fiel auch ein privater Telegram-Kanal auf, ebenfalls mit Wagenknechts Namen auf Russisch im Titel. Dieser ist mit über 14.500 Abonnenten deutlich größer als der öffentliche Kanal. Der Beitrittslink zum privaten Kanal ist allerdings abgelaufen, auf Telegram ist er nicht mehr auffindbar.
Doch der Kanal scheint weiterhin zu existieren: Über die Website TGStat, einem Katalog für Telegram-Inhalte, lässt sich eine Vorschau des Kanalverlaufs einsehen. Hier werden allgemeine Nachrichten und Werbeanzeigen auf Russisch geteilt. Treffer zu Wagenknecht oder dem BSW gibt es nur vereinzelt, zuletzt aus dem Oktober 2024.
Für Kuchta klares Zeichen, dass auch der private Kanal nicht von Wagenknecht oder ihrer Partei betrieben wird, die Inhalte wären seiner Meinung nach sonst identisch oder zumindest ähnlich zu denen ihres offiziellen Kanals. Dass der private Kanal nicht mehr auffindbar ist, liegt laut Kuchta wahrscheinlich an veränderten Privatsphäre-Einstellungen.
Fazit
Sahra Wagenknecht betreibt sehr wahrscheinlich keine russischsprachigen Kanäle zu ihrer Person auf Telegram. Zwar existieren Kanäle auf Russisch über Wagenknecht, sie bestreitet jedoch, selbst dahinterzustehen und auch Experten gehen davon aus, dass es sich um Fan-Kanäle handelt, die nicht von Wagenknecht oder ihrer Partei betrieben werden. Indizien dafür sind die Kanalbeschreibung, das unkoordinierte und unregelmäßige Post-Verhalten sowie ein kritischer Post zur Wahlniederlage des BSW.
Über dieses Thema berichtet: "Caren Miosga", Das Erste, 09.03.2025, 21.45 Uhr.
Quellen
Interview mit Julia Smirnova, CeMAS
Interview mit Richard Kuchta, ISD
Sendung "Caren Miosga" vom 09.03.2025
BSW-Website mit Hinweis auf offiziellen Telegram-Kanal
Telemetrio-Daten zum Telegram-Kanal "Папочка канцлера" ("Kanzlerdaddy")
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!