Alles beginnt mit einer E-Mail im privaten Postfach. Eine "Victoria" schreibt. Sie fragt, ob unsere Reporterin eines ihrer Produkte testen will. Für eine Bewertung auf Amazon gäbe es das Produkt auch kostenlos. Dass "Victoria" einer Journalistin schreibt, weiß sie natürlich nicht - noch nicht.
Unsere Kontrovers-Reporterin lässt sich darauf ein. Sie will wissen, ob es wirklich so einfach funktioniert. Und weil es zeigen würde, dass in Zeiten des Lockdowns, in denen der Online-Handel boomt wie nie, Anbieter perfide um das Vertrauen der Kunden kämpfen.
Die Rezension spielt bei der Kaufentscheidung eine Rolle
Die meisten Menschen in Deutschland scrollen durch Kundenbewertungen, bevor sie online ein Produkt kaufen. Was dort steht, spielt oft eine entscheidende Rolle, ob jemand ein Produkt kauft oder nicht.
Der Deal "Gratisprodukt gegen Bewertung" wäre deswegen besonders dreist. Oder können solche Bewertungen auch aufrichtig sein?
Fake-Bewertungs-Industrie in sozialen Netzwerken
Unsere Reporterin stößt bei ihrer Recherche auf unzählige solcher Deals - in WhatsApp-, Telegram- und Facebook-Gruppen mit teilweise bis zu 15.000 Mitgliedern. Das System ähnelt einem Bewertungsmarkt. Kaum angemeldet, wird sie mit Angeboten bombardiert. Einer schickt einen Katalog mit tausenden Produkten. "Schau, was du haben möchtest", schreibt er.
Die Masche ist immer gleich: Erst das Produkt kaufen mit dem eigenen Amazon-Account, dann eine Bewertung schreiben und am Ende soll es das Geld zurückgeben.
Ist das wirklich so einfach? Und wie ehrlich darf die Bewertung sein? Unsere Reporterin kauft ein. Und bekommt bald diverse Pakete zugeschickt. Mit dabei ist eine Halskrause, die ziemlich unbequem ist: Nicht weiterzuempfehlen.
Kundenrezension: Wie ehrlich darf sie sein?
Auf die Nachfrage beim Anbieter: "Gibt es das Produkt trotzdem kostenlos, auch wenn es keine fünf Sterne dafür gibt?" kommt die Antwort dieses Anbieters prompt: "It must be a five star." Keine fünf Sterne, kein Geld zurück.
Halskrause also erstmal zurückgestellt. Bei den anderen Produkten gibt sie aber fünf Sterne, unter anderem für eine Schwimmbrille: Getestet in der Badewanne. Die Brille ist nichts Besonderes, aber hat ihren Zweck erfüllt.
Jetzt heißt es: Warten auf Amazon. Die Bewertungen werden geprüft - immerhin verbietet die Plattform in ihren Community-Richtlinien das Rezensieren gegen Vergütungen. Explizit: Bewertungen gegen kostenfreie oder reduzierte Produkte. Wird das Unternehmen misstrauisch, wenn ein Account plötzlich anfängt, Fünf-Sterne-Bewertungen für diverse Produkte abzugeben? Es dauert ein paar Tage.
Amazon: "Ziehen Tausende weltweit zur Rechenschaft"
Wir fragen währenddessen bei Amazon nach. Was macht der Onlineversandhändler gegen manipulierte Bewertungen? Ein Sprecher antwortet schriftlich: "Unsere Teams arbeiten mit Sozialen Medien, Instant Messaging- und Online-Zahlungsdiensten zusammen, damit sie Maßnahmen gegen diejenigen ergreifen können, die diesen Missbrauch in Gruppen und Chats außerhalb unserer Stores etablieren. Wir haben weltweit tausende von ihnen verklagt, (…) und wir werden sie weiterhin zur Rechenschaft ziehen."
Außerdem setze Amazon "leistungsstarke Programme des maschinellen Lernens und erfahrene Prüfteams ein, um wöchentlich mehr als zehn Millionen Bewertungen zu analysieren". Die Bewertungen unserer Reporterin sind mittlerweile alle online. Die Maßnahmen, von denen der Onlineversandhändler schreibt, waren in ihren Rezensionen nicht erfolgreich.
Wenige Tage drauf ist das Geld für das Produkt zurück auf dem Konto. Wir schreiben eine Mail an Anbieterin "Victoria", mit der alles begann und outen uns als Journalisten. Doch von ihr und allen anderen dubiosen Anbietern hören wir daraufhin nichts mehr.
Fake-Bewertungen mit Online-Tools erkennen
Die Verbraucherzentrale Bayern stellt neben Amazon auch auf den meisten anderen Online-Portalen manipulierte Bewertungen fest.
"Das ist absolut inakzeptabel. Es ist schwer gegen diese Fake-Bewerter vorzugehen. Sie sitzen teilweise im Ausland. Sie sind dort nicht erreichbar oder die Durchsetzung ist äußerst schwierig. Es ist notwendig, dass man darüber spricht und aufklärt." Tatjana Halm, Verbraucherzentrale Bayern
Strengere Gesetze sind zwar geplant, doch bislang bleibt Verbrauchern nichts anderes übrig, als Bewertungen selbstkritisch zu hinterfragen. Online-Tools wie "ReviewMeta" können hilfreich sein, um Fake-Bewertungen zu erkennen. Sie schätzen die Glaubwürdigkeit von Kundenrezensionen auf Amazon ein.
Unsere Reporterin hat ihre Bewertungen wieder gelöscht. Die Halskrause ging zurück, die anderen Produkte an soziale Einrichtungen.
"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!