Ein Jahr nach dem ersten Lockdown sind viele Schülerinnen und Schüler immer noch im Homeschooling. Wer einen Lernstoff nicht versteht, ist oft auf sich allein gestellt. Während die Politik noch am Planen ist, wie Kinder und Jugendliche besser schulisch begleitet werden können, packen Privatpersonen und Vereine längst unkompliziert an. Ein Beispiel: die kostenlose Plattform naklar.io, entwickelt von Münchner Studierenden.
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Das Ziel: Hilfe für alle
Allen Schülerinnen und Schülern durch die Pandemie helfen - egal, welche Schulart sie besuchen oder wie alt sie sind: Das ist das Ziel von Naklar.Io. Ein kostenloses Nachhilfe-Angebot von Studierenden. Die Plattform vernetzt bundesweit Studenten und Lehrer mit Schülern. Diese können jeweils 30 Minuten-Slots buchen, Datenschutz-konform. Die Nachhilfe erfolgt wahlweise über Audio oder Video. Aktuell hat die Plattform etwa 7.300 Nutzerinnen und Nutzer - Tendenz steigend. Auch verschiedene Kultusministerien haben bereits Kooperationen mit Naklar.Io begonnen.
Schüler fragen gezielt – Tutoren erklären genau
"Ich habe eine Frage zu den Oxidationszahlen, das Bestimmen funktioniert bei mir noch nicht so", spricht die 16-jährige Lucia in ihr Handy. Die Schülerin besucht die 10. Klasse eines bayerischen Gymnasiums. In Chemie fehlt ihr der Durchblick, ihre Eltern können hier nicht helfen - deswegen holt sie sich manchmal Hilfe: bei Naklar.Io.
Eine halbe Stunde lang beantwortet nun Chemie-Student Tobias aus Dresden geduldig ihre Fragen, rechnet konkret mit ihr Beispiele aus ihrem Unterricht durch. Das reicht ihr meist schon, um selbstständig ihre Hausaufgaben zu machen. Notfalls bucht sie noch einen weiteren Termin, immer über Audio. Ihr sei es ja nicht wichtig, wie der oder die Tutorin aussähe, meint sie. Und sie können auch noch über eine digitale Lerntafel kommunizieren. Die Plattform hat Lucia von ihrem Cousin empfohlen bekommen, sie nutzt sie für Chemie und Physik - und ist überzeugt: "Es bringt mir auf jeden Fall was."
Kostenlose, Datenschutz-konforme Hilfe für alle Schularten
Allen Schülern helfen, in der Schule dranbleiben, trotz Corona, das ist das Ziel der Münchner Gründer von Naklar.io. Die acht Informatik-Studenten der TU München haben die Plattform im ersten Lockdown entwickelt. Einer von ihnen ist Korbinian Stein: "Wir sind sehr stolz darauf, dass sich Schüler aus allen Schularten bei uns Hilfe holen, von der Grund- und Mittelschule bis zum Gymnasium."
Sie wollen mit ihrem Projekt ein Stück mehr Bildungsgerechtigkeit schaffen. Bei Grundschülern empfiehlt es sich, dass die Eltern anfangs mit dabei sind. Generell finden sich junge Menschen auch sehr gut allein zurecht auf digitalen Plattformen. Von Anfang an haben sie auf Datenschutz geachtet. Naklar.io sammelt so wenig Daten wie möglich, und zwar auf bayerischen Servern, das Rechenzentrum ist mit einem ISO-Sicherheitsstandard zertifiziert. Video-Telefonie geht über "BigBlueButton", das auch an vielen Schulen verwendet wird.
Und so funktioniert’s:
- Sich auf der Seite von Naklar.io registrieren, mit Vorname, E-Mail-Adresse.
- Bundesland, Schule, Schul-Typ, Jahrgangsstufe angeben
- Fach auswählen
- Termin angeben – oder direkt mit einem Tutor verbinden, der gerade online ist.
Übrigens: Für die Entwicklung haben die acht jungen Männer und Frauen nur ein Wochenende gebraucht. Anlass für das Projekt war für sie der Hackathon-Wettbewerb der Bundesregierung #wirvsvirus. Bislang arbeiten sie komplett ehrenamtlich. Student Korbinian Stein steckt aktuell seine ganze Arbeitswoche in das Projekt. Das Betreiben der Server finanzieren sie aus Spenden und über Honorare von Projekt-Partner wie z.B. dem sächsischen Kulturministerium, das innerhalb von naklar.io eine eigene Plattform für sächsische Schüler eingerichtet hat.
Ergänzung zu Lehrern und Eltern: Tutoren begleiten Schüler
"Oft reicht es, dem Kind über die Schulter zu schauen und bei einem bestimmten Problem zu helfen - dann fühlt es sich nicht alleingelassen." Nach Ansicht von Naklar.io-Mitgründer Korbinian Stein können Tutoren auf keinen Fall Lehrer oder Eltern ersetzen. Manchmal könnten sie aber als Außenstehende etwas mehr Leichtigkeit ins Lernen bringen.
Je spezifischer die Frage, umso zielgerichteter die Hilfe, meint Stein. Am besten können Tutoren helfen, wenn der Schüler bereits zu Beginn der Sitzung konkrete Fragen und konkrete Aufgaben aus dem Schulbuch vor sich liegen hat. Sonst müsste man alles erfragen, und das koste viel Zeit. Eine halbe Stunde sei schnell um.
Ehrenamtliche Tutoren: Lernen, wie Schüler denken
Tutor Tobias Partey aus Dresden hat viel Spaß dabei, jungen Menschen wie der 16-jährigen Lucia aus Bayern Chemie zu erklären. Der 22-jährige Dresdner macht bald sein Staatsexamen in den Fächern Chemie und Geografie. Etwa vier Stunden die Woche gibt er momentan über Naklar.io kostenlose Nachhilfe, alles ehrenamtlich.
Denn er profitiert als angehender Lehrer selbst davon: Er lernt, welche Methoden im digitalen Unterrichten funktionieren. Und er lernt, flexibel auf die verschiedenen Schülertypen einzugehen. "Das sind für mich wertvolle Erfahrungen, die ich dann auch später im Berufsleben einbringen kann", sagt Tobias Parthey.
Zukunft: Lokale Lern-Plattformen für Schulen und Kommunen
Naklar.io hat in Laufe der Pandemie schon viele Fans in Ministerien, Kommunen und Schulen gewonnen. So wird es von Kultusministerium Baden-Württemberg empfohlen, mit Sachsen gibt es ein eigenes Projekt für 5.000 Schüler, die auf einer eigenen Plattform innerhalb der großen Plattform gezielt von sächsischen Lehramtsstudenten begleitet werden.
Auch in Bayern sind Korbinian Stein und seine Mitstreiter gerade dabei, mit Bildungsträgern zu verhandeln. Sie haben noch viele Ideen: "Eine Schule könnte sich z.B. auch eine eigene, lokale Nachhilfen-Börse einrichten über unsere Plattform. Da könnten dann auch Schüler Schülern helfen." Denn sie sind ja am nächsten dran an ihren Mitschülern. Auch die 16-jährige Lucia kann sich gut vorstellen, selbst mal anderen zu helfen, zum Beispiel in ihrem Lieblingsfach Mathematik.
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