Ein Finger wischt über den Schriftzug "Hass" auf einem Handydisplay
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Die Hetze im Netz explodiert seit Corona.

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Plattformen für rechten Hass: Hetze auf Parler und BitChute

Die Hetze im Netz explodiert seit Corona. Und sie wird inzwischen auf Plattformen verbreitet, auf denen jeder seinem Hass freien Lauf lassen kann. Ermittler berichten, wie organisiert die Hetzer-Szene vorgeht. Auch zur AfD gibt es Verbindungen.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Berlin, Ende August. Rechte und Corona-Leugner stürmen zum Bundestag. Mittendrin ist Nikolai Nerling, ein großgewachsener blonder Mann. Mit einer Kamera filmt er das Geschehen. Er gibt sich als Journalist aus. In Wahrheit aber ist er offenbar Teil des Pulks: "Dieses Theater gefällt mir immer besser, das wir hier spielen. Herrlich, das hätte ich nicht gedacht", sagt Nerling in die Kamera eines anderen Bloggers und lacht.

Corona-Gegner und bekennender Rechtsradikaler

Schon Wochen zuvor umarmt er den Pressesprecher der Querdenker-Bewegung. Nerling ist mit dabei, wenn es gegen Corona geht. Er interviewt QAnon-Anhänger und "Stars" der Szene wie Attila Hildmann. Im Netz nennt sich Nerling "der Volkslehrer". Der Name ist Programm. Denn Nerling treibt nicht nur Corona um. Vor allem ist er ein bekennender Rechtsradikaler.

Eva Gruberova hat das selber erfahren müssen. An einem kalten Dezembertag treffen wir sie in der KZ-Gedenkstätte Dachau. Vor Corona hat sie Schülergruppen durch das Lager geführt. Doch es ist vor allem ein sehr persönlicher Ort. Ihr Großvater war hier eingesperrt. Als sie wieder einmal Schülern erklärt, wie die Nazis in dem Lager Menschen geschunden und ermordet haben, trifft sie auf Nerling, der das KZ als Kulisse für einen Videodreh nutzt.

Relativieren und Verharmlosen?

Gruberova erkennt ihn, verwickelt ihn in ein Gespräch. Bald geht es um Gruberovas Großvater. Im Interview mit dem BR-Politikmagazin Kontrovers erinnert sie sich: "Herr Nerling hat mir daraufhin gesagt: Hat er überlebt? Hat er ihnen erzählt, wie gut er es hier hatte? In dem Moment war ich wirklich fassungslos. Und ich glaube, das wollte er auch erreichen."

Menschen vorführen, Relativieren, Verharmlosen. Das ist offenbar die Methode. "Wir sprechen über einen ehemaligen Lehrer, also einen, der aus der Mitte der Gesellschaft kommt," sagt Gruberova. "Wenn man uninformiert ist und auf so einen trifft, der so ein Charisma hat, dann kann das auch verfangen. Das ist meine Angst. Er hat viele Follower die ihn bewundern."

BitChute - die neue Lieblingsplattform der Rechten

Nikolai Nerling postet seine Videos auf der Plattform BitChute, nachdem ihn Youtube gesperrt hat. Auf BitChute muss er das nicht befürchten. Die Plattform hat sich zu einer Lieblingsplattform der Rechten entwickelt, da so gut wie keine Inhalte gesperrt werden. Parler ist eine ähnliche Webseite. "Parler ist wie Twitter organisiert, also über Hashtags", sagt Simone Rafael von der Antonio Amadeo Stiftung. "Es ist sehr einfach in Kontakt zu treten, es ist sehr leicht ein Netzwerk aufzubauen. Und insofern Informationen oder auch Desinformationen zu verbreiten, Kampagnen zu starten oder auch zu Gewalt aufzurufen." Wie gut das funktioniert, hat der Sturm des US-Kapitols gezeigt. Parler wurden nun zumindest vorübergehend die Server gesperrt.

Auch AfD-Politiker auf Parler

Auch deutsche Politiker haben begonnen, sich auf Parler zu vernetzen. Zum Beispiel die AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann. Auf Parler folgt sie dem User, der ein verstörendes Video gegen die Corona-Maßnahmen gepostet hat. Man sieht ein Kind hinter Gittern, eine Krankenschwester, deren Gesicht zur Fratze verzogen ist. Gesundheitsminister Spahn wird in dem Video als Massenmörder und geisteskranker Psychopath bezeichnet. Kinder solle regelmäßig Blut abgenommen werden. Die Qanon-Verschwörung in zwei Minuten.

Auf BR-Anfrage, warum sie diesem User folgt, antwortet die AfD-Politikerin nicht direkt. Sie erklärt, dass sie alternative Kanäle studieren müsse, da im Wesentlichen nur dort kritische Stimmen zur Corona-Impfung zu finden seien. Auch Daniel Haseloff ist neu auf Parler angemeldet. Er ist Mitglied im Landesvorstand der AfD-Thüringen. Er folgt mit seinem Profil auch Martin Sellner, dem Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung.

Auf die Frage, warum er ihm folgt und ob er die von Sellner geposteten Ansichten teilt, antwortet er auf BR-Anfrage nicht. Dafür erklärt Haseloff, warum er sich auf Parler angemeldet hat: "Wenn Anbieter aus politischer Motivation heraus ganze Accounts löschen (gemeint ist Twitter und Facebook, Anm. d Red.), ist es die logische Folgerung, dass man sich auch nach alternativen Plattformen umsieht."

Verbindung zur rechten Blogger-Szene

Die Verbindungen mit der rechten Blogger-Szene gehen jedoch noch weiter. Das zeigt auch das Beispiel Nikolai Nerling. Ein Video aus dem Jahr 2018 zeigt, wie Nerling scheinbar zufällig den heutigen AfD-Chef Tino Chrupalla interviewt. Schaut man sich das Video jedoch genauer an, sieht man, wie Chrupalla bereits im Hintergrund wartet. So sieht es jedenfalls der Verfassungsschutz. Zwei Anfragen an Chrupalla, wie er die Sache sieht und wie das Video mit dem Rechtsradikalen zustande gekommen ist, lässt der AfD-Vorsitzende unbeantwortet.

Plattform Parler gehört zu US-Unternehmen

Hinter der verspiegelten Fassade eines mehrgeschossigen Bürokomplexes in der Münchner Innenstadt sitzt Georg Freutsmiedl. Er beschäftigt sich von Berufswegen mit Parler. Freutsmiedl ist leitender Ermittler bei der Bayerischen Zentralstellen zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus.

Auf seinem Bildschirm hat er einige Bilder geöffnet, die auf Parler kursieren, darunter ein Bild, auf dem riesige SS-Runen einen Drachen erstechen. Um den Hals des getöteten Drachen liegt eine Kette mit dem Juden-Stern. "Entscheidend für den Anfangsverdacht wäre für mich dieser Satz: 'Ersatzkommando der Waffen-SS'", sagt Freutsmiedl. Ob das Bild deshalb aber strafbar sei, sei nicht gewiss. Denn es gebe auch die Kunstfreiheit. Und wenn dieses Bild hauptsächlich der Kunst diene, könne es unter Umständen straffrei bleiben.

Es ist nur ein Beispiel für die Schwierigkeiten, die die Ermittler bei der Hetze im Netz haben. Hinzu kommt, dass Parler ein US-Unternehmen ist, und deshalb den dortigen Gesetzen unterliegt. Auch sei es mitunter unglaublich schwer, von den Anbietern Hinweise auf die Identität hinter den Usernamen zu bekommen.

Noch Meinungsäußerung oder schon strafbar?

Es gebe bei Rechtsextremisten ganz klar die Strategie, sich heranzutasten, sagt Freutsmiedl, der wieder auf das Bild mit dem Drachen blickt: "Was kann ich mir noch erlauben und was nicht? Da gibt es im Hintergrund auch Leute, die das vorab beurteilen. Da gibt es Sammlungen von Gerichtsentscheidungen in der Szene, was eventuell als Meinungsäußerung durchgegangen ist und was strafbar ist."

Durch Likes und Shares fühlt sich die Szene offenbar ermutigt. Auf Einladung der AfD bedrängen rechte Blogger Abgeordnete der Koalition. Und auch im Fall von Eva Gruberova und ihren Schülern wurden wohl Grenzen überschritten.

"Die Schüler haben mir erzählt, dass Nerling zu ihnen gesagt hätte: 'Sie sollen nicht glauben, was man Ihnen hier erzählt.'", berichtet Gruberova. Das ist Volksverhetzung, urteilt das Landgericht München und verurteilt Nerling zu einer Geldstrafe. Wird das Urteil rechtskräftig, wäre es eine teure Lektion in Sachen Geschichte für den selbsternannten Volkslehrer.

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