Am heutigen Mittwoch bei der Ministerpräsidentenrunde mit der Bundeskanzlerin entscheidet es sich wohl: Werden die Spiele der ersten und zweiten Bundesliga diese Saison weitergehen? Die Nachrichtenagentur Reuters meldete bereits am Dienstag, dass sich Bund und Länder auf Geisterspiele im deutschen Profifußball ab Mitte Mai verständigt hätten.
Damit wären die Spiele des Profifußballs die ersten Sportveranstaltungen, die seit den Einschränkungen der Coronakrise wieder erlaubt sind. Diese Entscheidung steht dem entgegen, was Virologen wie Jonas Schmidt-Chanasit rieten: „Spaßveranstaltungen müssen ganz zum Schluss kommen“, sagte er im März im NDR. Vorher sollten seiner Ansicht nach andere Lockerungen in Kraft treten, die „wirklich relevant“ seien, wie die Öffnung von Kindergärten.
Zahlen zu Jobs im Fußball teilweise falsch verwendet
Am Fußball hängen neben dem Spaß aber auch Einnahmen für die Clubs und Arbeitsplätze. Bei der Frage, ob die Saison im Profifußball weitergehen soll oder nicht, wird vor allem von Verbandsseite/ von den Vereinen betont, wie wichtig der Profifußball für die Wirtschaft sei - und wie schädlich das Aus für die Clubs. Auf wirtschaftliche Unterstützung ist der Fußball bereits angewiesen: Der Bayerische Fußballverband, der größte der 21 Landesverbände im DFB, hat beispielsweise Anfang Mai seine festangestellten Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt.
Doch bei den konkreten Angaben dazu, wie groß die Bedeutung des Fußballs für Arbeitswelt und Wirtschaft ist, kursierten in den letzten Wochen unterschiedliche Zahlen. Teilweise wurden sie in einen falschen Zusammenhang gestellt oder sind ungenau.
Im Fußballmagazin „Kicker“ hieß es: „Profifußball ist nicht nur ‘Spaß’, sondern ein Wirtschaftszweig, der laut DFB-Boss Fritz Keller 250.000 Vollzeitkräfte in Lohn und Brot setzt“.
250.000 Vollzeitarbeitskräfte: Stimmt das?
Dieses Zitat bezieht sich auf eine Aussage von DFB-Präsident Fritz Keller bei einer Pressekonferenz am 18.03.2020. Dort sprach Keller von „über 250.000 hauptamtlichen Mitarbeitern“. An anderer Stelle in der Konferenz wird klarer, dass damit mehr als nur der Profifußball gemeint ist. Keller sagte: „Wichtig ist, dass wir die Struktur von 25.000 Vereinen und sieben Millionen Mitgliedern erhalten, von der Kreisliga über die Regionalliga und Landesverbände bis hin zur Bundesliga. Immerhin arbeiten hier auch 250.000 Vollzeitkräfte.“
Mehrere Medien titelten danach, der DFB sorge sich um 250.000 Mitarbeiter (u.a. hier oder hier). Doch der Schluss, es handele sich dabei nur um Mitarbeiter im Umfeld der Profiligen, stimmt nicht. Auch sind damit laut dem DFB nicht nur diejenigen gemeint, die direkt bei den 25.000 Vereinen beschäftigt sind.
Neben bei den Clubs angestellten Personen sind auch andere Jobs rund um das Fußballgeschehen eingerechnet, wie Mitarbeiter in der Gastronomie oder im Sicherheitsbereich. Nicht inkludiert seien jedoch die Ehrenamtlichen, so der DFB.
Steffen Augsberg vom Deutschen Ethikrat nannte die aktuelle Debatte über die Bundesliga im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung ein “Beispiel für geschicktes Lobbying”. “Selbst wenn man alle Jobs mit einbezieht, die an der Branche hängen, hat der Fußball doch eine überschaubare wirtschaftliche Bedeutung”, so Augsberg, der als Mitglied im Ethikrat auch die Bundesregierung berät.
Wie viele Menschen arbeiten wirklich für die Vereine im Profifußball?
Wie viele Arbeitnehmer würden nun von einer Fortsetzung des Spielbetriebs der ersten beiden Profiligen der Herren profitieren? Die Deutsche Fußball Liga (DFL), zuständig für erste und zweite Bundesliga, schreibt in ihrem aktuellen Geschäftsbericht, dass 21.483 Menschen in der Saison 2018/19 eine Arbeitsstelle direkt im deutschen Profifußball hatten. Das heißt: Sie waren direkt bei einem der Clubs oder deren Tochterunternehmen angestellt.
Die 21.483 Angestellten der Clubs setzen sich folgendermaßen zusammen: 15.656 Menschen arbeiten direkt für die Vereine und Kapitalgesellschaften. 5.827 für Tochterunternehmen. Vollzeit sind nach Angaben der DFL 7.065 Personen angestellt. Die Übrigen 14.418 Personen waren Auszubildende, Teilzeitangestellte oder Aushilfen
Mehr indirekt Beschäftigte als bei den Clubs direkt
Daneben findet sich noch eine weitere Zahl im DFL-Bericht für die Saison 2018/19. 56.081 Personen seien in der Saison 2018/ 19 „direkt oder indirekt rund um die Bundesliga und 2. Bundesliga beschäftigt“ gewesen. Zu den „indirekt“ im deutschen Lizenzfußball Beschäftigten zählen neben den Mitarbeitern der Vereine selbst auch die von Sicherheits- und Wachdiensten (Saison 2018/19: 14.360 Menschen) auch Catering-Firmen (13.683 Personen) und Sanitätsdienste (1.845).
Offen lässt die DFL, wie viele davon tatsächlich in Vollzeit arbeiten. Wer nur ein paar Stunden alle zwei Wochen im Stadion Würstchen brät, dürfte eher als Minijobber tätig sein, sodass deren Zahl für eine korrekte Berechnungsgrundlage erheblich sinkt. Darauf weist das Münchner ifo-Institut hin. Laut dem Institut wäre es die einzig korrekte Berechnungsgrundlage, die Stellen in Vollzeitstellen umzurechnen.
Wie sich Geisterspiele auf die Jobs in den Bereichen Security, Gastronomie und Reinigung auswirken würden, ist unklar. Die Nachfrage nach deren Leistungen dürfte aber kaum steigen, wenn keine Fans im Stadion sind, die Bratwürste kaufen, kontrolliert werden müssen oder die Toiletten benutzen.
Wie groß ist die Bedeutung vom Profifußball für die Arbeitswelt?
Manche argumentieren nun, dass der Profifußball auch für Menschen außerhalb der Vereine und des Stadionbetriebs “unmittelbar” Jobs sichert. Sie berufen sich dabei zum Beispiel auf die Studie “Wachstumsmotor Bundesliga” von McKinsey, die die ökonomische Bedeutung des professionellen Fußballs in Deutschland untersucht. Dort heißt es, 150.000 Menschen in Deutschland würden vom Fußball leben. 110.000 rechnerische Vollzeitstellen seien vom Fußball abhängig, die sich auf mehr als 165.000 Personen verteilen.
Die Studie ist von 2015 und bezieht sich auf die Saison 2013/14. Laut McKinsey und DFL wurde die Studie nicht beauftragt, sondern auf eigene Initiative des Unternehmensberaters erstellt und finanziert. In der Studie findet sich der Hinweis, dass die “Recherchen durch die DFL unterstützt” wurden.
Als beteiligte Gruppen im professionellen Fußball zählen die Urheber der Studie auch Bereiche wie Infrastruktur und Bau, Gastronomie, Hotels und Transport und auch Polizei, Feuerwehr sowie Stadtreinigung. Bei den Jobs, die durch Zahlungen und Beschäftigung wirtschaftlich vom Profifußball abhängen, werden neben den Mitarbeitern der DFL, der Clubs und der Nationalmannschaft auch Wettanbieter, Lizenznehmer wie Ausrüster, Sponsoren und Medien sowie Hotel, Gastronomie und Transportunternehmen genannt.
Wie genau die Urheber die Zahl der 110.000 vom Profifußball abhängigen Vollzeitbeschäftigten berechnet haben, geht aus der Studie nicht hervor. Von drei Bereichen ist die Rede: Neben den direkten Effekten (Umsatz, Wertschöpfung und Beschäftigung direkt bei den Clubs und der DFL) und den indirekten Effekten zum Beispiel bei den Lizenznehmern, Hotels oder Gastronomen, nennen die Urheber auch die Wirkung auf die Beschäftigung durch den “induzierten Effekt”. Der wird beschrieben als Umsatz und “Beschäftigung außerhalb des Profifußballs, die durch den Konsum der Beschäftigten des Systems entstehen (beispielsweise Autokauf oder Restaurantbesuch eines Clubmitarbeiters)”.
Laut Münchner ifo-Institut muss man generell bei induzierten Effekten aber vorsichtig sein. Diese ließen sich bis ins Unendliche ausweiten. Wer konsumiert, fördert zwar einen konkreten Wirtschaftsbereich und das kann Arbeitsplätze sichern. Daraus zu schließen, dass viele Arbeitsplätze konkret durch den Konsum von Vereinsmitarbeitern gesichert werden, wäre aber zu weit hergeholt. Auf die aktuelle Coronakrise bezogen: Zwar mag ein Beschäftigter in Kurzarbeit weniger konsumieren. Ob dies den Arbeitsplatz in einem Autohaus gefährdet, ist aber sehr fraglich.
Fazit
Bei der Frage, wie bedeutend der Profifußball für die deutsche Arbeitswelt ist, sind viele Zahlen in Umlauf, die teilweise aus dem Zusammenhang gerissen werden oder deren Daten nicht klar nachvollziehbar sind.
Es stimmt beispielsweise nicht, dass 250.000 Jobs vom Profifußball abhängen, was in Bezug auf ein Zitat des DFB-Präsidenten behauptet wurde. Das Münchner ifo-Institut hält außerdem Berechnungen für fraglich, wo sogenannte “induzierte Effekte” berücksichtigt wurden - zum Beispiel, welche Auswirkungen es auf Jobs in anderen Branchen hat, wenn ein Vereinsmitarbeiter sich ein neues Auto kauft.
Am häufigsten verwendet wird die Zahl der 56.081 Beschäftigten der DFL, bezogen auf die Saison 2018/19. Sie setzt sich zusammen aus den gut 21.000 Menschen, die bei den Clubs beschäftigt sind und den indirekt Beschäftigten wie Mitarbeitern von Sicherheits- sowie Putzdiensten und Cateringfirmen. Allerdings ist nicht klar, wie viele davon Vollzeitstellen sind. Laut dem ifo-Institut wäre es für eine korrekte Berechnungsgrundlage nötig, die Stellen in Vollzeitstellen umzurechnen.