Es sollte eine Win-Win-Win-Situation für alle Parteien werden, als Josip Stanisic Ende August 2023 vom FC Bayern an Bayer Leverkusen ausgeliehen wurde. Knapp acht Monate später ist daraus eine Win-Win-Lose-Situation geworden. Verlierer des Geschäfts sind ganz eindeutig die Bayern, die am Sonntag auf der Couch dabei zuschauen mussten, wie Eigengewächs Stanisic voller Glückseligkeit mit Trainer Xabi Alonso die Deutsche Meisterschaft begoss.
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Stanisic: Vom Bankdrücker zum Feierbiest
Leverkusen statt München, Kölsch statt Weißbier und Party-Anführer statt Randnotiz - bei der vorgezogenen Meisterfeier am Sonntag machte sich einmal mehr deutlich, wie wohl sich Stanisic bei den Rheinländern fühlt. Der Partyzug kannte keine Bremse und machte auch vor der Pressekonferenz nicht Halt, bei der Stanisic seinen Trainer ein zweites Mal isotonisch zum Meistertrainer taufte.
Stanisic als Symbolfigur für die Bayern-Saison
Der Saisonverlauf des kroatischen Nationalspielers ist das perfekte Spiegelbild zum komplizierten Jahr des FC Bayern. Im Sommer 2023 sah Stanisic kaum Einsatzchancen beim FC Bayern angesichts von Benjamin Pavard und Noussair Mazraoui als Konkurrenten auf der Rechtsverteidiger-Position. Für die Abwehrzentrale war er ohnehin nicht vorgesehen. Und so gaben ihn die Münchener widerstandslos für ein Jahr nach Leverkusen ab.
Dass nur zehn Tage später Pavard zu Inter Mailand ging und sich Mazraoui sowie dessen Back-Up Bouna Sarr im Laufe der Hinrunde schwerer verletzten, sorgte bei FCB-Trainer Thomas Tuchel für Kopfzerbrechen. Es war nur eine von vielen Baustellen, die sich in der Defensive auftaten. Tuchels Wunsch nach einem defensiven Sechser platzte am Deadline Day in letzter Minute, auch die Innenverteidigung war auf Kante genäht.
Stanisic kämpft sich rein - FC Bayern hadert
Im ersten Saisondrittel pendelte Stanisic zwischen der Ersatzbank in der Bundesliga und der Startelf in Europa League und Pokal, auch weil Alonso seine erfolgreiche Startformation nur selten anpassen musste. Erst dann schlug Stanisic' Stunde: Durch die Abwesenheit von Odilon Kossounou und Edmond Tapsoba (Afrika-Cup) empfahl sich Stanisic nachhaltig als Stammspieler, entweder als Innenverteidiger in der Dreier- oder als Rechtsaußen in der Viererkette.
Währenddessen mehrten sich beim FC Bayern die ersten personellen Engpässe. Fast gebetsmühlenartig wiederholte Tuchel von diesem Zeitpunkt an, wie schwer es die wiederkehrenden Ausfälle machten, einen festen Mannschaftskern zu bilden. In der Innenverteidigung fehlten Matthijs de Ligt (Knie) und Dayot Upamecano (Muskelverletzung) mehrmals, Min-Jae Kim war vier Wochen beim Asien-Cup.
FC Bayern fällt Personalplanung auf die Füße
Gerade in dieser Zeit hätten Tuchel und Co. Stanisic mit seiner Flexibilität sehr gut gebrauchen können. So musste Leon Goretzka mehrmals hinten aushelfen, im Winter wurden die Löcher im Kader durch die Verpflichtungen von Eric Dier und Sacha Boey notdürftig gestopft. Letzterer erlebte ausgerechnet im vorentscheidenden Topspiel bei Bayer Leverkusen (0:3) einen rabenschwarzen Tag, während auf der anderen Seite Stanisic mit einer blitzsauberen Leistung und dem Treffer zum 1:0 gegen seinen eigentlichen Arbeitgeber glänzte. Boey fällt seitdem mit einem Muskelbündelriss aus - und Stanisic wurde Deutscher Meister.
Fragezeichen hinter Bayern-Zukunft: "Man weiß nie"
Nun soll der 24-Jährige im Sommer zum FC Bayern zurückkehren, Leverkusen besitzt laut Stanisic-Berater Dieter Hoeneß keine Kaufoption. "Natürlich ist die Situation so, dass ich zurück muss. Aber im Fußball weiß man nie. Das Geschäft ist sehr schnelllebig", deutete Stanisic vielsagend im Interview mit Sport1 im März an: "Den einen Tag bin ich da, am anderen bin ich wieder weg. Wir werden sehen." Der aufstrebende Abwehrspieler hat nach seiner starken Saison alle Trümpfe in der eigenen Hand und kann sich bei der EM mit Kroatien noch einmal ins internationale Schaufenster stellen.
Beim FC Bayern herrscht dagegen noch große Ungewissheit nach einer extrem turbulenten Saison, die möglicherweise erstmals seit zwölf Jahren ohne großen Titel zu Ende geht. Es fehlt ein neuer Trainer und das neue sportliche Führungsduo aus Max Eberl und Christoph Freund steht vor seiner ersten gemeinsamen Transferperiode. Wie das neue Bayern-Gerüst aussieht und welche Köpfe es tragen wird, kann erst seriös gesagt werden, wenn ein Nachfolger für Thomas Tuchel gefunden ist.
Kuriose Fußnote: Was Stanisic und Mbappé gemeinsam haben
Feststeht: Josip Stanisic hat sich bereits in die Geschichtsbücher der Bundesliga gespielt. Der gebürtige Münchner ist erst der zweite Spieler, der in zwei aufeinanderfolgenden Spielzeiten mit zwei unterschiedlichen Vereinen Deutscher Meister geworden ist. Der erste und bis dato einzige war der Wiener August Starek, der 1968 erst mit dem 1. FC Nürnberg jubelte, dann zum FC Bayern wechselte und dort die erste Meisterschale der Vereinsgeschichte einfuhr.
Dieses seltene Kunststück ist nicht allzu vielen Fußballern seit den 1990er-Jahren in Europas Top-Ligen gelungen. Unter den zwölf Spielern ist unter anderem Top-Stürmer Kylian Mbappé zu finden, der erst mit der AS Monaco und dann mit Paris Saint-Germain feierte. Weitere prominente Namen sind Éric Cantona (Leeds United/Man United) und der ehemalige Bayern-Profi Owen Hargreaves (Man United/Man City).
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