Altpapier vom Restmüll zu trennen lohnt sich, denn die Mengen an Papier, Pappe und Karton werden immer mehr – vor allem seit dem Verbot von Plastiktragetaschen im Handel. Stattdessen kommen Papiertüten zum Einsatz, allerdings oft mit neuen Eigenschaften. Denn damit sie nicht schnell reißen, werden Zusatzstoffe beigemengt. Das Papier, das Plastikprodukte eigentlich umweltverträglich ersetzen soll, wird zu einem großen Problem im Recycling-Prozess.
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Was läuft falsch beim Papier-Recycling?
Bei der Firma Rohprog in München landet das Altpapier aus allen Blauen Tonnen der Stadt. Zeitungen, Kartons, Papiertüten, Kataloge. Allein in München sind das über 77.000 Tonnen im Jahr. "Die Bürger sortieren richtig. Sie werfen das Papier und die Pappe in die blaue Tonne, so wie es sich gehört", bestätigt Christian Güntner von der Rohprog GmbH. "Aber es sind Materialien dabei, die letztendlich die Papierindustrie gar nicht recyceln kann."
"Das sind zum Beispiel Bäckertüten. Das sind zum Beispiel Metzgertüten. Das sind auch manche Tragetaschen aus den Supermärkten. Wenn die in die Produktion bei der Papierfabrik gehen, werden die aus der Produktion ausgeschleust, weil sie sich nicht entsprechend schnell auflösen können." Konkret geht es um sogenanntes nassfestes Papier. Dafür werden bei der Herstellung den Papierfasern Stoffe beigemischt, die das Papier widerstandsfähiger machen gegen Flüssigkeiten oder Feuchtigkeit.
Doch wie verbreitet sind diese nassfesten Materialien? Die Autoren der BR-Redaktion mehr/wert gehen einkaufen. Fast überall, wo es früher Plastiktüten gab, bekommen sie heute Papier. Ein buntes Sammelsurium an Tüten bringen sie zu Professor Samuel Schabel vom Institut für Papierfabrikation und Mechanische Verfahrenstechnik der TU Darmstadt mit der Frage: Welche Tüten sind nassfest – und woran erkennt man sie?
Papier-Experte: "Man sieht es den Tüten nicht an"
"Das steht nicht drauf. Das kann ich auch optisch als Papier-Fachmann nicht erkennen. Das geht nur im Labor", erklärt Schabel. Um das Papier zu analysieren, wird es aufwändig zerschnitten und, wie in den Papierfabriken auch, für eine gewisse Zeit mit Wasser vermischt. Anschließend untersuchen die Wissenschaftler das Papier-Wassergemisch. Sogenannte nassfeste und andere, neuartige Papiere lösen sich dabei nicht vollständig auf. Doch warum gibt es solche Papierarten überhaupt?
Laut Schabel ist ihr Einsatz durchaus ein Trend. Um Ressourcen zu schonen wolle man ja weg von Kunststoff im Verpackungsbereich. "Und da werden jetzt immer mehr Produkte auf Papierbasis entwickelt, aber zum Beispiel bei der Verpackung auf Papierbasis brauche ich eine gewisse Funktionalität." So müsse das Produkt etwa wasserdicht sein oder eine Aroma-Barriere bieten. "Und das kann Papier von sich aus nicht. Da kommt dann eine Beschichtung drauf oder eine Imprägnierung, oder es kommen Zusatzstoffe ins Papier rein. Und es gibt eine Reihe von solchen additiven Funktionalisierungen, die dann im Recycling Probleme machen", ergänzt Schabel.
Nassfestes Papier: Nicht geeignet, um wieder Papier herzustellen
Und wirklich: Schon bei der zweiten Probe werden die Wissenschaftler fündig: Während sich das reine Papier im Wasser auflösen und ohne Probleme wieder zu neuem Papier verarbeiten lässt, schwimmen bei der Tüte einer Bäckerei größere weiße Flocken in der Flüssigkeit: nassfeste Materialien, wie Schabel erläutert: "Da sehen wir jetzt doch eine nennenswerte Menge an Rückständen von diesen weißen Fetzen. (…) Die lassen sich nicht zerlegen in die einzelnen Fasern, die sind sehr störend. Die würden nicht geeignet sein, um ein Papier zu machen."
Für Verbraucher ist dabei nicht zu erkennen, ob Papiertüten ins Altpapier gehören oder nicht. So stand etwa auf der untersuchten Tüte, sie gehöre ins Altpapier. Häufig jedoch steht gar nichts auf den Produkten bezüglich der Entsorgung.
Nassfestes Papier: Problem für Recyclingunternehmen
Für Recyclingunternehmer Christian Güntner wird das zunehmend zum Problem. Denn die Papierfabriken können mit diesen schlecht recycelbaren, nassfesten Papieren nichts anfangen. "Für mich heißt das, das ich sie eigentlich raussortieren muss, aber damit Probleme habe, weil ich sie gar nicht raussortieren kann", erklärt Güntner.
"Es gibt keine Sortiermaschinen, die auf nassfest analysieren, so dass man das feststellten könnte, was nassfest ist." Und das trotz modernster Ausstattung: "Wir können Karton analysieren, wir können die Farbe eines Papiers analysieren und so weiter. Wir können aber nicht nassfest oder nicht nassfest unterscheiden."
Teure Entsorgung falscher Inhaltsstoffe
Somit gehen die problematischen Papiere am Ende doch in die Papierfabriken, zum Beispiel zu Essity im niederösterreichischen Pernitz. Rund 160.000 Tonnen Altpapier werden dort pro Jahr verarbeitet unter anderem für die Herstellung eines bekannten Recycling-Toilettenpapiers. In einer riesigen Maschine, dem Pulper, wird das angelieferte Altpapier aufgelöst – doch eben nur die Stoffe, die sich schnell auflösen lassen. Der Rest, zum Beispiel nassfestes Papier, muss aussortiert und teuer entsorgt werden. 12.000 Tonnen pro Jahr.
"Wenn diese Inhaltsstoffe, die nicht Papier sind, mehr werden, dann würden wir mehr bezahlen. Das hat ja auch Gewicht. Und am Ende des Tages werden dann die Kosten für Altpapier höher", sagt Essity-Werkleiter Andreas Greiner. Und damit steigen letztendlich auch die Preise für die Verbraucher. Doch das ist längst nicht alles. Die neuen nicht recyclebaren Papiere stören auch den Wertstoffkreislauf.
Umweltexperten: Mülltrennung wird komplizierter
Davor warnen Experten vom Umweltbundesamt. Denn was jahrzehntelang funktioniert hat, gerät nun in Gefahr – zu Lasten der Umwelt. "Es gibt da Ökobilanzen, wenn Sie Altpapier recyceln, verbrauchen Sie 80 Prozent weniger Wasser, 70 Prozent weniger Energie und 15 Prozent weniger CO2 Emissionen entstehen da, wenn Sie das aus recycelten Papier machen im Vergleich zu Frischfaser", erläutert Almut Reichart vom Umweltbundesamt. Umso wichtiger also, möglichst viel Altpapier im Kreislauf zu halten. Dazu gehört auch, dass die nicht recycelbaren nassfesten Papiere nicht in der Blauen Tonne landen.
"Die Mülltrennung ist ein großes Problem", sagt Katharina Istel vom Naturschutzbund Deutschland. "Durch diese neuartige Verpackung wird es natürlich noch komplizierter. Und wenn nicht auf der Verpackung wirklich draufsteht, in welche Tonne, die Verpackung zum Beispiel gehört, dann wird es auch in Zukunft noch mehr Probleme geben, weil viele Verpackungen halt falsch entsorgt werden."
Eine Kennzeichnungspflicht für schwer recycelbare, nassfeste Papiere fordert der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung. Denn der Endverbraucher müsse ein Hilfsmittel haben, wohin die jeweilige Verpackung je nach Recyclingfähigkeit entsorgt werden könne.
Warum gibt es keine Kennzeichnung?
Das Bundesumweltministerium verweist auf Nachfrage auf die EU. In einer europaweiten Verpackungsverordnung soll das in Zukunft geregelt werden. Auch will man festlegen, dass bei der Entwicklung neuer Tüten und Verpackungen gleich die Recyclingfähigkeit berücksichtigt werden muss. Doch ob das so kommt und wann, ist offen. Und so haben Recycling-Unternehmer Christian Güntner und seine Kollegen auch weiterhin große Probleme – mit Papier, das sich nicht recyceln lässt und den Wertstoffkreislauf stört.
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