Studieren können ist keine Selbstverständlichkeit. Tobias Thiele ist der erste in seiner Familie, der das macht. Finanziell muss er sein Studium an der Universität Augsburg weitgehend aus eigener Kraft stemmen. Das Geld der Eltern reicht nicht, um den 24-Jährigen ausreichend zu unterstützen. "Meine Eltern können mir nur 100 Euro im Monat zur Miete zuschießen und mit dem Kindergeld Rechnungen bezahlen, mehr können sie leider nicht geben", sagt der Informatikingenieurstudent.
Fürs BAföG, also die Sozialleistung, die sich aus dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ergibt, verdienen die Eltern allerdings zu viel. Beide arbeiten im sozialen Bereich. Sie geben, was sie können: einen Mietzuschuss von 100 Euro, das Kindergeld, Versicherungen und Notgroschen.
Finanzielle Probleme durch gestiegene Zinsen
Eine vermeintliche Lösung hat Tobias Thiele vor vier Jahren mit einem Studienkredit bei der KfW-Bank gefunden. Anfänglich bekam er noch 600 Euro monatlich ausbezahlt. Doch nun landen jeden Monat nur noch 330 Euro auf seinem Konto. Der Grund: Sein Zinssatz ist gestiegen und die anfallenden Zinsen werden monatlich abgezogen. Für den Studenten ist dadurch eine große finanzielle Lücke entstanden.
Und nicht nur er ist betroffen. Die finanziellen Nöte treiben Studierende momentan zu den Kreditberatungsstellen der Studierendenwerke. Auch Tobias Thiele verspricht sich bei der Beratungsstelle in Augsburg Hilfe. Michael Noghero, der dort als Abteilungsleiter arbeitet, kennt die Sorgen vieler Studierenden, die sich das Studium kaum mehr leisten können. Den Grund macht er auch im mangelnden Informationsstand der Kreditnehmer aus.
Intransparentes Finanzprodukt
Mal schnell online einen Kredit abschließen, darin sehen die Berater das große Problem des KfW-Produktes: "Die Fehler lagen zum Teil bei den Studierenden, dass sie leichtgläubig hohe Kreditsummen abgeschlossen haben. Aber man muss auch sagen: Der KfW-Studienkredit ist auch sehr intransparent, weil er eben mit flexiblen Zinsen arbeitet", so der Berater.
Der Zinssatz wird zweimal jährlich angepasst. Statt 4,2 Prozent wie beim Abschluss zahlt Tobias heute 7,51 % effektiven Jahreszins. Zwischenzeitlich waren es sogar neun Prozent.
Tobias Thiele hat mit etwa 40.000 Euro Kosten für den Kredit gerechnet. Nach jetzigem Stand könnten es rund 60.000 Euro werden. Alternativen können die Berater kaum anbieten: in Einzelfällen Stipendien für ein bis zwei Semester oder einen Studienabschlusskredit. Der künftige Schuldenberg seines Sohns beunruhigt den Vater Rainer Thiele: "Wenn man schon denkt, wenn er fertig ist und guckt, mit wie viel Schulden er dann rausgeht, ist dann schon die Sorge, wie es denn dann erst einmal weitergeht. Kann er das selbst zurückzahlen oder müssen auch wir wieder einspringen."
Wenn das Geld nicht mehr reicht
Die unerwartete Teuerung bekommt auch die Soziologiestudentin Magdalena Lettenthaler aus München zu spüren. Sie finanziert mit dem Kredit unter anderem ihre Miete. Mit ihrem Freund teilt sie sich eine 50 Quadratmeter große Wohnung für 1.200 Euro warm.
BAföG kam für sie gar nicht in Frage. Im teuren München hätte ihr das niemals gereicht: "Man darf dann ja nur bis zur Minijobgrenze arbeiten und ich wusste einfach, dass mir das nicht ausreichen wird und ich währenddessen noch mehr arbeiten muss". Ihre Lösung: der KfW-Kredit. Während der Coronazeit war dieser zudem mit 0 % Zins besonders attraktiv. Der Bund hat die Zinsen übernommen.
Während der Pandemie war der Kredit für viele attraktiv
Mit der Finanzspritze des Bundes ab 2020 gab es für das Finanzprodukt einen Hype: Über 40.000 Studierende schlugen zu. Mit Wegfall der Förderung und steigenden Zinsen ließen die Studierenden zusehends die Finger davon.
Doch bei Magdalena Lettenthaler war es zu spät: Nach Wegfall der Förderung und bei gleichzeitig steigenden Zinsen schrumpfte auch ihr Auszahlungsbetrag extrem. Der Kredit wird für sie, wie auch für andere Studierende zum Existenzproblem. Die Kommentare in Bewertungsportalen zeigen die Not. Dort heißt es etwa: "Lieber mehr arbeiten und einen schlechteren Abschluss haben als bis zum Hals verschuldet ins Berufsleben starten."
Neben dem Studium arbeiten für den Kredit
Magdalena Lettenthaler muss jetzt 20 Stunden wöchentlich arbeiten, um ihr Studium zu finanzieren. Eigentlich wollte sie nach dem Bachelor noch den Masterstudiengang dranhängen. Doch dieser Traum droht zu platzen: "Ich glaube nicht, dass ich jetzt noch mein Masterstudium machen kann. Ich würde es auf keinen Fall weiter mit dem Kredit machen, weil mir die Summe jetzt einfach zu hoch wird, selbst wenn es nur ein Jahr wäre."
Auch der Informatikstudent Tobias Thiele muss jetzt mehr neben seinem Studium arbeiten. Das klappt für ihn zum Glück ganz gut. Er konnte direkt an der Uni beim Institut für Software & Systems Engineering als Hilfswissenschaftler im Robotik-Labor anfangen. Mit anderen Studenten tüftelt er dort rund 65 Stunden im Monat an wichtigen KI-Lösungen für die Zukunft. "Ohne Job könnte ich nicht weiterstudieren, das würde aktuell nicht gehen", so der Student.
Schuldenfalle Studienkredit
Das Problem: Wegen der hohen Kosten studieren einige nur noch bis zum Bachelor. In seinem Bereich bekommen Studierende auch mit niedrigerem oder sogar ohne Abschluss leicht einen Job in der Wirtschaft oder Industrie. Ein großer Verlust allerdings für die deutsche Wissenschaft: Ihr fehlt dadurch der qualifizierte Nachwuchs. Tobias will sich durchbeißen, obwohl auch er kurz davor war, hinzuschmeißen: "Dann war ich aber so nah an meinem Bachelor-Abschluss dran, dass ich gesagt habe, ich mache sicherlich meinen Abschluss noch fertig und habe dann die Option – studiere ich weiter und verschulde mich weiter oder gehe ich dann direkt schon weiter zum Arbeiten mit meinem abgeschlossenen Studium, um den Kredit loswerden zu können?“
Bei Mutter Katrin Thiele mischt sich zur Sorge auch Enttäuschung: "Also wenn Familien wie wir kein BAföG bekommen, dann finde ich das schon traurig, weil wir sind wirklich in der unteren Gehaltsstufe."
Nachbesserungen beim BAföG
Beim BAföG scheitern viele an dem Verwaltungsaufwand und wie Tobias Thiele am Elterneinkommen. Die BAföG-Novelle, die zum nächsten Wintersemester kommen soll, will laut Gesetzentwurf an manchen Punkten nachbessern.
So soll es etwa eine Studienstarthilfe von 1.000 Euro für junge Menschen aus Familien geben, die Sozialhilfe beziehen. Studenten soll ein Flexibilitätssemester über die Regelstudienzeit hinaus zugestanden werden. Die Freibeträge der Eltern sollen um fünf Prozent angehoben und der Freibetrag der Studierenden bis zur neuen Minijob-Grenze erhöht werden. Zudem soll das Verfahren vereinfacht werden.
Schwachstellen im System
Magdalena Lettenthaler und ihren Freunden gehen die vorgesehenen Änderungen der BAföG-Novelle nicht weit genug. Gerade in einer teuren Stadt wie München gibt es kaum Studierende, die nicht auch für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Selin Türkoğlu von der Studierendenvertretung München fordert neben geringeren Bürokratiehürden "ein elternunabhängiges BAföG", ihr Kollege Raffaele Gelo findet, der Mietzuschuss sollte höher als 250 Euro sein. Denn dieser gehe an der Realität in München vorbei: "Reale Mieten sind wesentlich höher und generell nur 936 Euro als absoluten Höchstsatz sind einfach nicht genug Geld."
Magdalena Lettenthaler hätte niemals gedacht, dass ihre Studienzeit so arbeitsintensiv wird: "Ich hätte mir vorgestellt, dass ich viel mehr Freizeit habe, aber das ging leider auch nicht, weil ich musste ja relativ viel nebenbei arbeiten und dann war das auch nicht mehr so wirklich möglich." Bald hat sie es geschafft. Gerade schreibt die Soziologiestudentin noch an ihrer Bachelorarbeit. Im Herbst will sie fertig sein. Dann hofft sie, einen gut bezahlten Job zu finden, um den Kredit zurückzahlen zu können.
Dieser Artikel ist erstmals am 5.5.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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