Allein in Deutschland landen mindestens zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr im Müll – etwa die Hälfte davon in Privathaushalten. Lebensmittelverschwendung zu reduzieren, hat sich auch die neue Bundesregierung zum Ziel gesetzt. Doch aktuell stehen auch juristische Hürden im Weg.
Jesuitenpater "containert" für den guten Zweck
Der Jesuitenpater Jörg Alt in Nürnberg wollte die enorme Lebensmittelverschwendung in Deutschland nicht länger tatenlos mitansehen und hat deshalb kurz vor Weihnachten eine Aktion gestartet: Aus verschlossenen Abfallcontainern von Supermärkten holte er Lebensmittel und verschenkte sie öffentlichkeitswirksam an Passanten. Kurz darauf erhielt er eine Vorladung der Kriminalpolizei. Der Vorwurf: besonders schwerer Fall des Diebstahls.
- Zum Artikel: Bis die Polizei kommt: Pater aus Nürnberg rettet Lebensmittel
Containern strafbar in Deutschland
Denn das sogenannte "Containern", also Lebensmittel aus einem Supermarktmülleimer zu entnehmen, ist hierzulande strafbar. Doch Alt fordert ein Umdenken des Gesetzgebers. "Nicht jedes Gesetz ist Recht, ist richtig. Und wenn Recht und das Richtige auseinanderklaffen, muss man dafür eintreten, dass das korrigiert wird", sagt er.
Wieviel Essen wird in Deutschland weggeworfen?
Darüber gibt es bis heute nur Schätzungen. Die Umweltorganisation WWF (World Wide Fund For Nature) nennt die Zahl von 18 Millionen Tonnen, pro Jahr. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geht von zwölf Millionen Tonnen aus. Eine Zahl, die schon seit Jahren kommuniziert wird. Sie stammt aus einer Studie von 2015. Neuere Zahlen gibt es nicht.
Lösungsansatz: Kostenlose Foodsharing-Boxen
Doch warum landen Lebensmittel überhaupt im Müll? Könnte man die Ware nicht einfach verschenken? Im Amper-Einkaufszentrum (AEZ) im oberbayerischen Fürstenfeldbruck stellt ein Händler Lebensmittel, die das Mindesthaltbarkeitsdatum fast erreicht haben, in eine Foodsharing-Box. Die Kunden können sie dann kostenlos mitnehmen. Allerdings darf aus rechtlichen Gründen in die Box keine Ware, bei der das Mindesthaltbarkeitsdatum bereits überschritten ist. "Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist ja ein Datum, das der Hersteller angibt, weil er bis zu diesem Datum haftet für das Produkt. Solange muss ein Artikel oder ein Produkt mindestens halten", erklärt Andreas Hordt vom AEZ Fürstenfeldbruck-Buchenau. "Darüber hinaus haftet der Hersteller nicht mehr, sondern wir würden dann die Haftung übernehmen. Und das macht natürlich keiner." Ein Grund, warum Essen in der Tonne landet statt auf dem Teller, ist also die Haftungsfrage.
Große Nachfrage bei den Tafeln
Bei der Dachauer Tafel ist wegen der stark gestiegenen Lebensmittelpreise der Andrang derzeit besonders groß. Die Leiterin Edda Drittenpreis kann es nicht fassen, dass trotz des gestiegenen Bedarfs Supermärkte Lebensmittel einfach wegwerfen – nur aufgrund eines abgelaufenen Mindesthaltbarkeitsdatums. "Kaffee, Konservendosen: Warum brauche ich da ein Mindesthaltbarkeitsdatum? Verstehe ich nicht", sagt sie. Wenn kein Mindesthaltbarkeitsdatum aufgedruckt wäre, würde wesentlich weniger weggeschmissen, ist Drittenpreis überzeugt. "Da müsste jetzt mal was passieren. Da müsste der Staat mal eingreifen."
"Die letzte Bundesregierung hat ja vorgegeben, 2030 die Lebensmittelüberschüsse zu halbieren. Das halten wir für ein gutes Vorgehen. Aber das darf auch jetzt nicht nur im Reden oder in Appellen steckenbleiben." Jochen Brühl, Vorsitzender Tafel Deutschland
Neue Regierung - weniger Lebensmittelverschwendung?
Solange sich die Gesetzeslage nicht ändert, werden auch weiterhin Lebensmittel massenhaft im Müll landen. In ihrem Koalitionsvertrag hat die neue Bundesregierung den Kampf gegen die Lebensmittelverschwendung festgeschrieben. Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) kündigte an, rechtliche und steuerliche Rahmenbedingungen für Lebensmittel-Spenden zu lockern. "Gerade im Handel geht es um die Erleichterung von Spenden, damit nicht mehr so viel weggeworfen wird", sagte Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Dafür sind haftungs- und steuerrechtliche Fragen zu klären: Die Angst vor zivilrechtlichen Klagen ist für viele Unternehmen ein Hemmschuh. Und es könnte helfen, wenn die Umsatzsteuer bei Lebensmittelspenden auch dann wegfällt, wenn die Ware beispielsweise falsch etikettiert ist."
Aus dem Bundesjustizministerium heißt es bislang aber nur: "Die Meinungsbildung innerhalb der Bundesregierung zu der Frage, ob hinsichtlich der unentgeltlichen Weitergabe von Lebensmitteln mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, ist noch nicht abgeschlossen."
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