Der frühere Wirecard-Vorstandschef Markus Braun sitzt auf der Anklagebank im Gerichtssaal.
Bildrechte: dpa-Bildfunk/Peter Kneffel

Der Anwalt von Markus Braun sieht den ehemaligen Wirecard-Chef als Opfer, nicht als Täter. Das strittige Drittpartner-Geschäft habe existiert.

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Wirecard-Prozess: Braun-Anwalt stellt Hunderte Beweisanträge

Seit sieben Monaten sitzt Markus Braun nun schon auf der Anklagebank im Landgericht München. Am Donnerstag stellte die Verteidigung des Ex-Chefs von Wirecard mehrere hundert Beweisanträge.

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Im Strafprozess gegen Markus Braun und zwei weitere ehemalige Wirecard-Manager geht es um den Vorwurf des Banden-Betrugs, der Bilanzfälschung und der Marktmanipulation. Von den 100 angesetzten Prozesstagen ist gut die Hälfte vorbei. Am Donnerstag stellte die Verteidigung des Ex-Chefs von Wirecard mehrere hundert Beweisanträge.

Braun-Verteidiger: Echte Aufklärung nicht gewollt

Eine echte Aufklärung habe bislang nicht stattgefunden, und sie sei auch nicht gewollt. So eröffnete Brauns Strafverteidiger Prof. Alfred Dierlamm seinen Vortrag, der seine eigenen Recherchen auf 180 Seiten zusammenfasst. Wiederholt hatte Dierlamm im bisherigen Prozessverlauf dargelegt, dass das Drittpartnergeschäft von Wirecard existiert habe. Dafür will er nun zahlreiche Belege, ausgewertete Emails, Dokumente und Unterlagen liefern.

Anwalt: Braun nicht in Machenschaften eingebunden

Dies soll seinen Mandanten Braun entlasten und dessen Position untermauern, er sei das Opfer und nicht der Täter gewesen. Die Staatsanwaltschaft und auch der Insolvenzverwalter waren bislang der Auffassung, das Drittpartnergeschäft habe es nie gegeben. Dierlamm will Konten bei der Wirecard-Bank aufgespürt haben, die die These von Asiengeschäften mit dreistelligen Millionenbeträgen untermauern sollen. Über Parallelstrukturen sei dieses Geld aber nicht bei Wirecard gelandet, sondern hinter Brauns Rücken abgeflossen.

Die Verschiebung der Geschäfte zu den Drittpartnern habe bei Wirecard zu einem massiven Ertragsschwund geführt. Dies hätten der flüchtige Vorstand Jan Marsalek und der mitangeklagte Oliver Bellenhaus möglichst lange vertuschen wollen; es gebe keine Hinweise, so Dierlamm, dass sein Mandant Braun in diese Machenschaften eingebunden war.

Warum die vielen Beweisanträge?

Der Prozess läuft jetzt seit sieben Monaten. Gut die Hälfte der 100 angesetzten Prozesstage ist vorbei. Bislang ist es nicht gut gelaufen für den früheren Chef und Großaktionär von Wirecard; just am Donnerstag wurde bekannt, dass Braun den Streit um seine Manager-Haftpflichtversicherung vor dem Landgericht Düsseldorf verloren hat. Da wird zunächst kein Geld fließen für seine Verteidiger.

Der Strafverteidiger von Braun hat nun hier in München sehr viele Beweisanträge gestellt, das heißt, das Gericht soll sich mit diesen neuen Beweisen befassen. Da geht es um sage und schreibe 500.000 E-Mails, um sehr viele Kontoauszüge; all das habe der Anwalt mit seinem Team recherchiert, sagt er. Es hätten sich auch Whistleblower bei ihm gemeldet. Das alles soll Braun entlasten. Der sagte ja vor ziemlich genau drei Jahren, kreidebleich und übernächtigt in einem Unternehmensvideo, er sei Opfer einer kriminellen Bande geworden. Genau diese These will sein Strafverteidiger Dierlamm mit seinen Beweisanträgen untermauern.

Warum ist das zentral für den weiteren Prozessverlauf?

Das ist deshalb zentral für den weiteren Prozessverlauf, weil Brauns Anwalt meint, belegen zu können, dass es das sogenannte Drittpartnergeschäft in Asien tatsächlich gegeben hat. Ganz anders die Position der Staatsanwaltschaft und auch des Insolvenzverwalters, die bislang argumentieren, dieses Geschäft, vor allem in Asien, habe es nie gegeben. Man habe keine Belege dafür finden können.

Dierlamm spricht in diesem Zusammenhang von einem "Narrativ" der Ermittler. Wenn man behaupte, es habe dieses Geschäft nie gegeben, dann habe es auch keine Veruntreuung von Geldern gegeben. Und genau diese Veruntreuung will Dierlamm belegen: Er und sein Team hätten Zahlungsflüsse und Kontoauszüge analysiert und ausgewertet. Diese Recherchen werden nun auf 180 Seiten offengelegt.

Zusammengefasst entsteht in diesem Text das Bild eines Netzwerkes, bei dem der flüchtige Vorstand Marsalek die Strippen zog; es ging zentral darum, Geld, das eigentlich Wirecard zustand, in Parallelstrukturen zu verschieben, also zu veruntreuen, und Wirecard damit zu schädigen. Dabei ging es immerhin um zwei-, manchmal sogar um dreistellige Millionenbeträge. Um nur ein Beispiel zu nennen: Da wurden Händler, die eigentlich Kunden von Wirecard waren, an andere angebliche Zahlungsabwickler vermittelt, und die Provisionen flossen an dieses Netzwerk. Braun sei in all diesen E-Mails nie aufgetaucht, nie auf "cc" gewesen, nie eingebunden gewesen in diese Machenschaften.

Was macht diesen Schritt so brisant?

Brisant ist das Ganze deshalb, weil damit letztlich der Staatsanwaltschaft, den Ermittlern und auch dem Gericht mangelnder Aufklärungswille unterstellt wird. Dierlamm sagte gleich zu Beginn, dass eine echte Aufklärung bislang noch nicht stattgefunden habe, und sie sei auch offensichtlich nicht gewollt. Auch dem Insolvenzverwalter wird letztlich zum Vorwurf gemacht, dass er nicht genau genug hingeschaut habe, sonst hätte er zentrale Konten einiger Drittpartner bei der Wirecard-Bank gefunden. Dierlamm betont, dass der von ihm dargelegte Sachverhalt ganz und gar nicht dem entspricht, was in der Anklageschrift steht.

Außerdem stellt sich jetzt massiv die Frage, wie glaubwürdig der einzige Kronzeuge der Staatsanwaltschaft, Oliver Bellenhaus, tatsächlich ist. Bellenhaus war nämlich früher der Statthalter von Wirecard in Dubai und sitzt ebenfalls mit auf der Anklagebank, er hat bislang bei wichtigen Punkten aber geschwiegen. Die Recherchen von Brauns Anwalt belasten nun auch Bellenhaus schwer als Profiteur der veruntreuten Gelder. Der Anwalt von Bellenhaus will nun, dass möglichst schnell der Insolvenzverwalter von Wirecard in den Zeugenstand gerufen wird. Der könnte die Darstellung von Dierlamm entkräften. Das Landgericht München hat heute keine offizielle Stellungnahme abgegeben.

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