Gibt man in den gängigen App-Stores das Wort "Tinnitus" ein, werden einem über 30 verschiedene Apps angezeigt: mit entspannender Musik gegen Stress, Rauschen, um den Tinnitus zu überdecken, oder Informationen und Strategien, wie man besser mit dem Pfeifen im Ohr umgehen kann. Die neueste Erfindung: ein KI-Chatbot, der den Patienten durch gezielte Fragen und Ideen dazu anregen soll, seine Einstellung zum Tinnitus zu ändern und ihn nicht mehr als störend wahrzunehmen. Das große Versprechen all dieser Apps: Der Tinnitus soll erträglicher werden. Aber ob die Gesundheits-Apps dieses Versprechen halten können, ist alles andere als klar.
Keine klare Empfehlung für Tinnitus-Apps
Laut der Deutschen Tinnitus-Liga sind etwa drei Millionen Menschen in Deutschland von einem Tinnitus betroffen. Bei manchen verschwindet er nach einer Weile wieder von allein, bei anderen bleibt er für länger. Die Behandlung eines solchen chronischen Tinnitus läuft normalerweise über einen HNO-Arzt oder einen Psychotherapeuten. Während sich manche der Therapien – wie etwa die kognitive Verhaltenstherapie oder das Tinnituscounseling, bei dem man Informationen über den Tinnitus erhält – als wirksam herausgestellt haben, fehlt es anderen noch an klarer Evidenz. So etwa auch den Therapien mittels App. Zwar laufen auch diese bisweilen unter dem Schlagwort "Counseling" oder "kognitive Verhaltenstherapie", aber laut Birgit Mazurek, der Direktorin des Tinnituszentrums an der Charité in Berlin, muss das nichts heißen. Zum einen sei "nicht alles, was Verhaltenstherapie benannt ist, wirklich auch Verhaltenstherapie", zum anderen seien diese Apps nicht ausreichend erforscht. Entsprechend ist auch die Leitlinie zur Behandlung eines Tinnitus in diesem Bereich zurückhaltend.
Zwei Tinnitus-Apps sind Kassenleistungen
Trotzdem sind zwei der vielen Apps inzwischen Kassenleistungen geworden und werden regelmäßig von Ärzten verschrieben. "Wir haben eigentlich sehr, sehr gute Erfahrungen damit gemacht", berichtet Veronika Vielsmeier. Sie ist Oberärztin für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde an der Universitätsklinik in Regensburg und verschreibt ihren Patienten immer wieder diese beiden Apps. "Auch wenn wir bisher noch keine Studien dazu gemacht haben, ist der Eindruck schon, dass die Patienten das gut nutzen und da wirklich auch profitieren", berichtet sie von ihren Erfahrungen.
Mit Counseling und Verhaltenstherapie gegen den Tinnitus
Das Prinzip dieser beiden Apps ist einfach: Die eine App – eine App zum Tinnituscounseling – liefert Informationen zum Thema Tinnitus, soll die Patienten aufklären und ihnen durch Tipps im Alltag helfen. Die andere App – eine Art kognitive Verhaltenstherapie – liefert neben Informationen auch entspannende Geräusche und Meditationen zur Entspannung sowie Übungen und Strategien, die dem Patienten helfen sollen, seine Einstellung zum Tinnitus zu ändern: weg von einem negativen Bild, hin zur Akzeptanz. Das Problem: Apps können nie so individuell auf den Patienten eingehen wie Ärzte.
Verschlechterung des Tinnitus durch Fokussierung möglich
Gerade deshalb sollte man vorsichtig sein, erklärt Mazurek. Denn ein Tinnitus steht oft im Zusammenhang mit anderen Erkrankungen wie Schlafstörungen oder Depressionen. "Wenn eine Depression zum Beispiel sehr massiv ist", so Birgit Mazurek, "kann man so eine App vielleicht gar nicht so durchführen, macht es vielleicht auch falsch und kommt über die Depression dann in schlimmere Wasser sozusagen." Und nicht nur das: Es gibt auch Berichte, dass bei manchen Menschen der Tinnitus durch bestimmte Apps nicht besser, sondern im Gegenteil sogar schlechter geworden ist. Obwohl Veronika Vielsmeier solche Erfahrungen bei ihren Patienten nicht gemacht hat, hält sie es für möglich. Denn durch solche Therapien befasse sich der Patient automatisch mehr mit dem Tinnitus. Dieser gerate dann in den Vordergrund und könnte lauter werden, weil man sich so sehr auf ihn fokussiere.
Vor dem Einsatz einer Tinnitus-App immer zuerst zum Arzt
Um all diesen Gefahren vorzubeugen, ist es laut Veronika Vielsmeier und Birgit Mazurek wichtig, immer zuerst zum Arzt zu gehen, eine ordentliche Anamnese machen zu lassen, um andere Erkrankungen auszuschließen, und auch wenn der Arzt eine App verschreibt, regelmäßig zur Behandlung und Kontrolle zu gehen.
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