Zwei Forschungsteams liefern sich momentan ein Kopf-an-Kopf-Rennen um die Vorreiterrolle bei der Entwicklung sogenannter künstlicher menschlicher Embryonen.
Am Donnerstag vergangener Woche veröffentlichte ein Team um den Stammzellforscher Jacob Hanna vom Weizmann-Institut in Israel einen entsprechenden Vorabbericht über seine bisherigen Ergebnisse. Die Entwicklungsbiologin Magdalena Zernicka-Goetz von der Universität Cambridge hatte bereits am Tag zuvor auf einem wissenschaftlichen Vortrag in Boston auf die neuen Resultate ihrer Forschungsarbeit aufmerksam gemacht. Am Freitag zog das Team um Zernicka-Goetz dann seinerseits mit einer entsprechenden Publikation nach.
Künstliche Embryonen: Durchbruch für die Wissenschaft
Mithilfe chemischer und gentechnischer Mittel manipulierten die Forschenden die Zellen so, dass sie sich zu bestimmten Strukturen organisierten. Diese ähnelten menschlichen Embryonen in den ersten 14 Tagen nach der Befruchtung. Allerdings können diese Zellansammlungen nicht in eine menschliche Gebärmutter eingepflanzt werden. Laut Malte Spielmann, Direktor des Instituts für Humangenetik vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, sei dies das erste Mal, dass Forschende auf diese Weise menschliche Embryonen erzeugt haben. "Daher halte ich es für einen Durchbruch oder zumindest sehr neu", sagt Spielmann.
Expertinnen und Experten betonen an dieser Stelle jedoch, dass die vorliegenden Ergebnisse bisher nicht seriös bewertet werden können. Noch gebe es keine Studie mit abschließend nachvollziehbaren Daten.
Forschung an menschlichen Embryonen baut auf Mäuse-Embryonen auf
Bereits im August des vergangenen Jahres hatten Zernicka-Goetz und ihr Team erfolgreich künstliche Mäuse-Embryonen im Labor aus Stammzellen gezüchtet, und zwar, ohne Eizellen, Sperma oder eine Gebärmutter zu verwenden. Die Embryonen entwickelten sich bis zum Alter von achteinhalb Tagen, erreichten die Gastrulationsphase und bildeten Gehirnregionen, Herz und Darm aus. Dabei arbeiteten die Forschenden auch eng mit der israelischen Forschungsgruppe um Jacob Hanna zusammen. Die aktuellen Ergebnisse stellen demnach die Weiterentwicklung der letztjährigen Resultate dar.
Forschung grundlegend für Erkenntnisse über Entwicklungsstörungen
Gleichwohl geht es bei einem sensiblen Thema wie dem der Reproduktionsbiologie selbstverständlich nicht nur um einen Wettlauf um die Veröffentlichung neuer Ergebnisse und damit um wissenschaftliches Prestige oder Patente für neue Forschungsmethoden. Vielmehr besteht ein grundlegendes Interesse daran, die Entstehung menschlichen Lebens besser zu verstehen. Medizinethiker Jochen Taupitz sieht die Forschung mit Embryonen als grundlegend, vor allem für neue Erkenntnisse über Entwicklungsstörungen, die beim geborenen Menschen zu bisher nicht behandelbaren Krankheiten führen können. "Die in den Preprints diskutierten Experimente sind ein kleiner Schritt, um den Zielen dieser Forschung ein wenig näher zu kommen", sagt Taupitz.
Menschen-Klone? Forschung wirft ethische Fragen auf
Die Erschaffung künstlicher Embryonen wirft ethische Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf den Status und den Schutz des entstehenden menschlichen Lebens. Die Forschenden bezeichnen die so entstandenen Embryone als "Modelle". Der Begriff suggeriert einerseits eine gewisse Distanz zu schutzwürdigem menschlichem Leben und legt andererseits nahe, es handele sich um eine Art Studienobjekt für weitere Forschung.
Das kritisieren Expertinnen und Experten wie Ingrid Metzler vom Institut für Wissenschafts- und Technikforschung der Universität Wien. Sie betont, es sei zu vorschnell, solche Arbeiten mit stammzellinduzierten Embryonenmodellen als ethische Alternative zur Forschung an Embryonen darzustellen. Michele Boiani vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin geht sogar noch weiter: "Meiner Einschätzung als Mausbiologe zufolge handelt es sich bei den inzwischen beschriebenen Entitäten sogar nicht mehr nur um Embryonen, sondern biologisch betrachtet letztlich um Klone", so Boiani. Der genaue ethische Status der synthetischen Embryonen ist derzeit noch nicht vollständig geklärt.
Experten fordern Überarbeitung des Embryonenschutzgesetzes
Auch die rechtliche Situation in Bezug auf die Nutzung von synthetischen Embryonen ist komplex. Es gibt die internationale 14-Tage-Regel, die besagt, dass menschliche Embryonen, die durch künstliche Befruchtung entstehen, nicht länger als 14 Tage im Labor kultiviert werden dürfen. Allerdings liegen schon länger Empfehlungen vor, diese Regelung zu lockern. In Deutschland ist die Nutzung von in Deutschland entstandenen Embryonen für Forschungszwecke durch das Embryonenschutzgesetz generell untersagt.
Nils Hoppe, Professor für Ethik und Recht in den Lebenswissenschaften und Direktor des Centre for Ethics and Law in the Life Sciences (CELLS) an der Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, sieht den gesetzlichen Rahmen in Deutschland in Bezug auf Embryonen schon länger als reformbedürftig an. Das Embryonenschutzgesetz halte schon seit Jahrzehnten nicht mehr mit der Wissenschaft Schritt. Hoppe sagt: "Es gehört vollständig ersetzt durch ein neues, zeitgemäßes Gesetz, das verantwortungsbewusste Forschung befördern und gesellschaftliche Grenzen flexibel ausflaggen kann."
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