Fast drei Jahre bestimmte die Corona-Pandemie das Leben in Deutschland. Nun soll sie vorbei sein, oder zumindest bald. "Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-CoV-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei", sagte Christian Drosten, Leiter der Virologie an der Berliner Universitätsklinik Charité, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Auch der Intensivmediziner Christian Karagiannidis, Mitglied im Corona-Expertenrat der Bundesregierung, geht davon aus, dass die Pandemie nach dem Winter vorbei ist. "Ich rechne damit, dass die Pandemie jetzt zunehmend ausläuft", sagte er im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Der Kampf gegen das Coronavirus scheint tatsächlich gewonnen. Die 7-Tagesinzidenz steigt in Deutschland zwar derzeit wieder an. Doch inzwischen könne man mit dem Virus viel besser umgehen, weil es viel weniger schwere Fälle von Covid-19 auf den Intensivstationen gebe, sagte die Virologin Ulrike Protzer von der Technischen Universität München in der Tagesschau: "Die Impfimmunität, die wir aufgebaut haben, gepaart mit den durchgemachten Infektionen, verleiht uns einfach inzwischen einen guten Schutz gegenüber schweren Erkrankungen." Die Pandemie ist also vorbei, oder zumindest fast. Vorbei heißt aber nicht: alles wie vorher.
Endemisch bedeutet nicht harmlos
Pandemie bedeutet: Ein für den Menschen neuer Krankheitserreger breitet sich rund um den Globus aus, infiziert viele Menschen und macht sie krank. Im Gegensatz zu einer Epidemie ist der Erreger bei einer Pandemie weltweit unterwegs, aber nicht unbedingt überall zur gleichen Zeit. Meistens sucht er einzelne Regionen mehrmals heim, es kommt also zu Wellen von Infektionen. Irgendwann ebben diese Wellen jedoch ab und die Pandemie ist vorbei. Das passiert allerdings nicht schlagartig zu einem bestimmten Zeitpunkt. Auch die Corona-Pandemie läuft langsam aus. Manche Experten sehen deren Ende bereits früher, wie dies etwa der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission Thomas Mertens im Oktober getan hat, oder etwas später, wie jetzt Christian Drosten und Christian Karagiannidis.
Nach einer Pandemie wird ein Krankheitserreger meist endemisch. Das heißt: Er ist in einer bestimmten Gegend dauerhaft vorhanden oder tritt dort regelmäßig auf. Im Gegensatz zur Pandemie breitet er sich aber nicht mehr unkontrolliert aus und die Zahl der Krankheitsfälle schießt nicht mehr explosionsartig in die Höhe.
Der Erreger kann zwar immer noch Infektionswellen auslösen und viele Menschen krank machen, wie es zum Beispiel bei einer schweren Grippewelle geschieht. Weniger gefährlich oder weniger ansteckend ist ein endemischer Krankheitserreger also nicht. Er verschwindet auch nicht einfach. Das gilt auch für das Coronavirus SARS-CoV-2, betonte der Vorstandsvorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, im Interview mit der radioWelt auf Bayern 2: "Dieses Virus wird uns nie mehr verlassen, wie die Grippe. Das werden wir noch Jahrhunderte in unserer Bevölkerung sehen."
Frank Ulrich Montgomery im radioWelt-Interview
Corona-Pandemie verläuft unterschiedlich auf der Welt
Für Deutschland mag die Corona-Pandemie vorbei sein. Das gilt aber nicht für den Rest der Welt, erklärte der Infektiologe Bernd Salzberger von der Universität Regensburg: "Die Pandemie ist natürlich etwas, was weltweit ist. Wenn das bei uns vorbei ist, heißt das nicht, dass es auf der ganzen Welt vorbei ist. Deshalb ist die Pandemie erst dann vorbei, wenn die WHO das sagt."
China etwa ist gerade noch mitten im Pandemiezustand. Dort wurde die Ausbreitung des Virus rigoros und zeitweise mit brachialen Maßnahmen eingedämmt. Deshalb waren in China die Infektionszahlen lange Zeit sehr niedrig. Covid-19 war dort so gut wie unsichtbar, daher sahen dort nur vergleichsweise wenige einen Grund, sich impfen zu lassen, insbesondere unter den Älteren. Das Virus breitet sich daher in der ungeschützten Bevölkerung gerade schnell aus und viele erkranken schwer. Die vermeintlich harmlosere Omikron-Variante zeigt dort, wie gefährlich sie in Wirklichkeit ist.
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Experten sehen geringe Gefahr durch Corona-Varianten
Mit der großen Zahl der Infizierten in China wächst auch die Wahrscheinlichkeit, dass dort eine neue, gefährliche Variante des Coronavirus entstehen könnte. Diese Möglichkeit besteht, sagte der Frankfurter Virologe Martin Stürmer in der Tagesschau. Er hält sie aber nicht für bedrohlich: "Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Variante auch klinisch relevanter sein dürfte, ist relativ gering." Die Virologin Ulrike Protzer erklärt, warum: "Dieses Virus hat sich einfach schon sehr weit fortentwickelt. Es hat sich schon sehr weit angepasst. Es ist superinfektiös geworden." Ein Virus habe aber nur eine begrenzte Kapazität, sich zu verändern. Daher ist es möglich, aber unwahrscheinlich, dass das Coronavirus noch ansteckender wird. Mutationen, die zu schwereren Krankheitsverläufen führen, sind ebenfalls möglich, aber ebenfalls unwahrscheinlich, denn sie bringen dem Virus keinen Nutzen, sich schneller auszubreiten.
Auch Weltärztebund-Chef Montgomery sieht die theoretische Gefahr, dass eine gefährliche Variante entstehen kann. Aber selbst wenn es so käme, "trifft auch diese gefährliche Variante auf eine wesentlich immunkompetentere Bevölkerung, als das vor drei Jahren der Fall war." Wir sollten seiner Ansicht nach daher auf so einen Fall vorbereitet sein, aber deswegen nicht in Angststarre verfallen. Dazu zähle, weiterhin für genügend Impfschutz in der Bevölkerung zu sorgen: "Wenn wir jetzt weitere, andere Varianten des Virus bekommen – gar nicht so gefährliche, aber andere Varianten – so erhalten wir die Immunität der Bevölkerung am besten durch Impfen."
Das gilt besonders für ältere Menschen und alle, die Vorerkrankungen oder anderen Risikofaktoren haben: Bei ihnen schlägt das Immunsystem auf die Impfung nicht so gut an. Daher brauchen sie voraussichtlich auch in Zukunft immer wieder eine Auffrischungsimpfung, um gegen Covid-19 geschützt zu sein.
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Montgomery: Freiwillig weiter Masken in Arztpraxen
Darüber hinaus plädiert Montgomery dafür, an manchen Orten eine Maske zu tragen, zum Beispiel in Arztpraxen. Dort könne man auf Menschen treffen, die ein geschwächtes Immunsystem haben, zum Beispiel wegen Krebs oder anderer Erkrankungen. "Hier halte ich es weiterhin für sinnvoll, Masken zu tragen. Auch in engen, schlecht belüfteten Innenräumen, zum Beispiel in der U-Bahn oder S-Bahn im Berufsverkehr." Insgesamt habe sich die Lage entspannt, aber: "Entspannung heißt ja nicht, dass man alle Vorsicht fahren lassen darf. Man muss schon noch ein kleines bisschen auf sich und seine Umwelt achten."
Auch STIKO-Chef Mertens betont, dass der Schutz vor Infektionen weiterhin etwas bringt, auch nach dem Ende der Corona-Pandemie: "Maßnahmen zur Vermeidung von Infektionen (z.B. Impfungen, Maskentragen, etc.) können auch bei endemischen Infektionswellen und natürlich bei Epidemien sehr sinnvoll und wichtig sein, um einzelne Menschen, ein Gesundheitssystem und gegebenenfalls auch ein Sozialsystem zu schützen." Es könne aber nicht sein, "eine einzig für SARS-CoV-2 ausgerufene Pandemie 'nicht für beendet zu halten', weil derzeit auch andere Infektionserreger große medizinische Probleme verursachen." Es sei aber denkbar, Empfehlungen für Infektionsschutzmaßnahmen auch nach Ende einer Pandemie im Hinblick auf andere Erreger weiterzugeben.
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