Mehr als 200 Symptome in 10 Organsystemen: Das Post-Covid-/Long-Covid-Syndrom hat viele Gesichter, wird durch viele Faktoren bestimmt und schert sich nicht um Fachdisziplinen. Ärzte nennen das ein multifaktorielles Geschehen, das interdisziplinäre Arbeit erfordert. Auch für Mediziner sind die Spätfolgen einer Covid-19-Erkrankung eine Herausforderung. Noch gibt es in Deutschland keine gesicherten Strukturen zur Behandlung von Post-Covid-Patienten, sagt Dr. Monika Nothacker vom Institut für Medizinisches Wissensmanagement (AWMF-IMWi).
Das soll die neue Leitlinie (S-1) ändern, die am 18. August 2021 von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) vorgestellt wurde. Sie soll Ärzten die Arbeit erleichtern und fasst systematisch zusammen, was bisher über Post Covid bekannt ist. Erstellt hat den neuen Leitfaden ein Expertenteam (14 Fachgesellschaften, Expertengremien, Patientenverbände) um Professor Rembert Koczulla, Professor für Pneumologische Rehabilitation in Marburg.
"Wir haben versucht, dort eine sehr praktische Anleitungen zu geben, für Therapie und für Praxis. Und ja, Post/Long-Covid ist ja schon neues Krankheitsbild. Das heißt, hier ist nicht allzu viel Erfahrung vorhanden." Professor Rembert Koczulla, Professor für Pneumologische Rehabilitation, Marburg
Eine Richtschnur bei der Behandlung und ein systematisches Vorgehen sind wichtig, denn Post Covid/Long-Covid ist momentan behandelbar, aber nicht heilbar. Es besteht zudem das Risiko, dass die Erkrankung chronisch wird. Das ist nach Angaben von Professor Michael Pfeifer, Präsident der DGP, bei unter zehn Prozent der Betroffenen der Fall. Auch dauerhafte Organschäden können zurückbleiben. Es sind aber auch Spontanheilungen möglich.
Die wichtigsten Infos über Post Covid:
Covid-19 - Wer bekommt Post Covid/Long-Covid?
Von einem Long-Covid-Syndrom sprechen Ärzte, wenn Patienten vier bis zwölf Wochen nach einer Covid-19-Erkrankung immer noch krank sind oder neue Symptome entwickeln. Sind sie länger als 12 Wochen krank und die Beschwerden nicht mit anderen Diagnosen erklärbar, besteht ein Post-Covid-Syndrom. Im Schnitt entwickeln nach aktuellem Kenntnisstand zehn bis 15 Prozent der Covid-19-Erkrankten ein Post-Covid-Syndrom, unabhängig von Vorerkrankungen oder der Art des Krankheitsverlaufs (leicht, mittel oder schwer). Das heißt, dass etwa jeder zehnte Patient mit Covid-19-Infektion an Post Covid leidet.
Ähnliche körperliche oder psychosomatische Beschwerden und eine hohe psychosoziale Belastung können das Risiko erhöhen, am Post-Covid-Syndrom zu erkranken. Genaue Fallzahlen gibt es nicht, denn über die Spätfolgen einer Covid-19-Erkrankung ist noch viel zu wenig bekannt und die Abgrenzung zu anderen Erkrankungen äußerst schwierig. Das gilt besonders bei Kindern, die zwar meist nur leicht erkranken, aber in seltenen Fällen ein Post-Covid-Syndrom entwickeln können.
Welche Ursachen hat Post Covid?
Die genauen Ursachen, warum sich ein Post-Covid-Syndrom entwickelt, sind noch nicht bekannt. Ein Grund könnte sein, dass das Virus oder Virusbestandteile über Wochen und Monate im Körper bleiben. Ein weiterer Grund könnten andauernde strukturelle Gewebeschäden sein, die auch nach der Infektion noch vorhanden sind – inklusive: Zellschäden in den Wänden der Blutgefäße und gestörte Bildung kleinster Blutgefäße im Gewebe, erhöhte Blutgerinnung und Thrombosen, eine Aktivierung / Reaktion des Autoimmunsystems durch die Virusinfektion, keine zuverlässige Regelung des Blutdrucks mehr sowie mögliche Nebenwirkungen der Covid-19-Therapie (zum Beispiel Beatmung, intensivmedizinische Behandlung).
Post Covid/Long-Covid – was sind die häufigsten Symptome?
Als "sehr häufige Symptome" führt die neue S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID (Stand: 17.8.2021) auf: Fatigue (ein schwerwiegender Erschöpfungszustand), Kurzatmigkeit, Leistungs-/Aktivitätseinschränkungen, Kopfschmerzen sowie Riech- und Schmeckstörungen. Häufig treten auf: Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung, Schlafstörungen, Husten, depressive Verstimmung, Angstsymptomatik (z. B. bei Überleben eines schweren Verlaufs oder intensivmedizinischer Behandlung), kognitive Einschränkungen oder Haarausfall. Das Post-Covid-Syndrom kann Betroffene monatelang oder langfristig außer Gefecht setzen, zu starken Lebenseinschränkungen und Arbeitsunfähigkeit führen.
Impfdurchbrüche - Post Covid/Long-Covid kann auch Geimpfte treffen
Erkranken vollständig gegen Corona Geimpfte an Covid-19 spricht man von Impfdurchbrüchen. Noch weiß man wenig über die Hintergründe. "Aktuell gibt es keine verlässlichen Zahlen darüber, ob man sich nach der Impfung trotzdem noch infizieren kann", sagt Carsten Watzl, Professor für Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. Die kleine Zahl der Impfdurchbrüche verhindert Untersuchungen. Erste Anhaltspunkte für eine Reinfektion und die Entwicklung eines Long-Covid-Syndroms bei Geimpften gibt es aber:
"Es gibt erste Hinweise aus einzelnen Studien, dass auch bei Geimpften nach einer [Covid-19-] Erkrankung länger anhaltende Probleme auftreten können. Ob das wirklich das Gleiche ist wie Long-Covid bei den Leuten, die nicht geimpft sind, muss man noch sehen. Ob das häufiger oder weniger häufig abgeschwächt auftritt, das ist auch noch unklar. Im Moment kann man weder ausschließen, dass die Impfung auch Long-Covid verhindert, noch kann man sagen, dass man trotz Impfung genauso anfällig ist. Das heißt, hier ist sicherlich noch ein großer Forschungsbedarf. Was wir aktuell über die Impfungen wissen, ist, dass sie sicherlich die schweren Verläufe sehr gut verhindern können. Wir sehen aber auch durch die Delta-Variante und durch den etwas nachlassenden Immunschutz über die Zeit, dass sich auch Geimpfte anstecken können." Carsten Watzl, Professor für Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund
Was tun, wenn die Covid-19-Symptome nicht weggehen?
Der Leitfaden nennt als ersten Ansprechpartner für Patienten mit langfristigen Covid-19-Symptomen den Hausarzt oder die Hausärztin. Diese sollen bei der Behandlung von Patienten nach einem konkreten Stufenplan vorgehen – je nach Krankheitsverlauf und Symptomen. Der Leitfaden für Ärzte soll konsequent aktualisiert werden, wenn es neue Erkenntnisse gibt. Seit dem 8. Oktober 2021 gibt es auch eine Version des Leitfadens für Patienten, die Sie hier finden.
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