Seit 16. August 2021 empfiehlt die Stiko die Corona-Impfung für Kinder von 12 bis 17 Jahren, weil "nach gegenwärtigem Wissensstand die Vorteile der Impfung gegenüber dem Risiko von sehr seltenen Impfnebenwirkungen überwiegen". Die Stiko ist dazu verpflichtet, Entscheidungen auf Basis wissenschaftlicher Daten zu fällen, also evidenzbasiert zu arbeiten. Die Empfehlungen des Gremiums haben Auswirkungen auf die Kostenübernahme von Impfungen durch die Krankenkassen und die Haftung bei Impfzwischenfällen. Wird der Impfstoff für eine jüngere Altersgruppe zugelassen, wird auch die Stiko über eine Impf-Empfehlung beraten.
Die Stiko hatte bisher aufgrund der dünnen Datenlage mit einer Impf-Empfehlung für Kinder gezögert, weil bei Jüngeren eine Infektion mit SARS-CoV-2 häufig symptomlos und in der Regel milde verläuft. Bei jungen Männern zwischen 16 bis 19 Jahren ist zudem die sehr seltene Nebenwirkung der Herzmuskelentzündung aufgetreten. Dem entgegen steht, dass Kinder in seltenen Fällen auch schwer erkranken sowie ein Post Covid/Long -Covid-Symptom entwickeln können, also quälende Spätfolgen durch eine Covid-19-Infektion.
Schwere Entzündungsprozesse, die durch Covid-19 und andere Virus-Infektionen ausgelöst werden können (Kawasaki-Syndrom oder PIMS-Syndrom), sind bei Kindern bislang äußerst selten und der Zusammenhang ist auch noch nicht abschließend geklärt. All das hat sich auch auf die Impfempfehlung der Stiko für Kinder und Jugendliche ausgewirkt.
Wie lautet die Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko)?
Seit 7. Juni 2021 konnten sich Kinder und Jugendliche ab 12 Jahren bereits in Deutschland impfen lassen. Die Ständige Impfkommission (Stiko) empfiehlt den Impfstoff jedoch erst seit dem 16. August 2021 für alle Kinder ab zwölf Jahren, nicht wie anfangs nur für Kinder mit diesen Vorerkrankungen:
- Adipositas
- angeborene oder erworbene Immundefizienz oder relevante Immunsuppression,
- angeborene zyanotische Herzfehler
- schwere Herzinsuffizienz
- schwere pulmonale Hypertonie
- chronische Lungenerkrankungen mit einer anhaltenden Einschränkung der Lungenfunktion
- chronische Niereninsuffizienz
- chronische neurologische oder neuromuskuläre Erkrankungen
- maligne Tumorerkrankungen
- Trisomie 21
- syndromale Erkrankungen mit schwerer Beeinträchtigung
- ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus
All diese Gruppen haben in der Regel ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung. Die Stiko empfiehlt die Impfung zudem, wenn Kinder und Jugendliche in ihrem Umfeld erwachsene Kontaktpersonen haben, die selbst nicht geimpft werden können und die ein hohes Risiko für einen schweren Verlauf haben.
Kinder können sich theoretisch auch impfen lassen, wenn die Eltern nicht zustimmen und ein Arzt sie eingehend beraten hat. Was dabei rechtlich und je nach Alter zu beachten ist, finden Sie hier.
Info: Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat eine Checkliste für Eltern erstellt, die Eltern bei der Entscheidung für oder gegen die Impfung ihres Kindes helfen soll. Die Checkliste finden Sie hier (Pdf).
Welche Corona-Impfstoffe gibt es für Kinder?
Der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer ist am 31. Mai 2021 in der EU für Kinder ab zwölf Jahren zugelassen worden. Cominarty von Biontech/Pfizer war der erste Corona-Impfstoff in der EU, der für Kinder dieser Altersgruppe freigegeben wurde. Grundlage der Entscheidung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) und der EU-Kommission ist eine US-Studie, die am 27. Mai 2021 im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde.
In den USA laufen bereits seit Monaten Studien zur Wirksamkeit des Biontech/Pfizer-Impfstoffs bei noch jüngeren Kindern zwischen sechs Monaten und elf Jahren. Laut Biontech steht eine Beantragung der Impfstoff-Zulassung weltweit für die Altersgruppe von fünf bis elf Jahren kurz bevor. Die jungen Teilnehmer der US-Studie werden laut Biontech/Pfizer aus Sicherheitsgründen noch bis zu zwei Jahre nach der ersten Impfdosis beobachtet.
- Zum Artikel: Biontech-Impfstoff wirksam und sicher bei jüngeren Kindern
Ende Juli 2021 wurde ein zweiter Impfstoff, Spikevax des US-Unternehmens Moderna, in der EU für die Altersgruppe 12-17 zugelassen.
Wie laufen Impfstudien mit Kindern generell ab?
Die Zulassung eines Impfstoffs für Kinder kann erst beantragt werden, wenn es belastbare Daten gibt, die die Sicherheit und Wirksamkeit des Impfstoffs zeigen. Impfstoff-Studien werden erst bei Erwachsenen durchgeführt, dann bei Kindern und nach Altersklassen gestaffelt.
Generell gilt: Kinder sind keine "kleinen Erwachsenen". Impfstoffe müssen für ihre Organismen speziell getestet werden. Je nach Alter bekommen sie eine höhere oder niedrigere Impfstoff-Dosis als Erwachsene.
Impfstoffstudien mit Kindern laufen dann im Prinzip so ab wie bei Erwachsenen, erklärt Bodo Plachter, Virologe an der Universität Mainz. Man fange mit einer geringen Dosis an, beobachte und gehe dann bei der nächsten Dosis weiter. In der Regel teile man in Altersgruppen auf, 2- bis 5-Jährige, 6- bis 8-Jährige. Ein Unterschied zu Studien mit Impfstoffen gegen andere Krankheiten sei bei Covid-Impfstoffen der, dass man bei Kindern nicht auf die Erkrankungen schaue, da die Kinder ja nicht krank würden. "Da schaut man, ob die Kinder Antikörper entwickeln, ob die reagieren auf den Impfstoff und wie stark sie reagieren", sagt Plachter.
Wie lief die US-Impfstoff-Studie an Kindern ab, die der EU-Zulassung zugrunde liegt?
Forscher um Robert Frenck vom Cincinnati Children's Hospital (US-Staat Ohio) werteten Daten von insgesamt 2.260 Kindern zwischen 12 und 15 Jahren aus. Die Kinder hatten für die Studie im Abstand von 21 Tagen zwei Dosen des Impfstoffes Biontech (1.131 Kinder) oder Placebo-Spritzen mit Kochsalzlösung (1.129 Kinder) erhalten. Die Teilnehmer notierten für jeweils sieben Tage nach den Injektionen, ob Impfreaktionen auftraten. Bis zu sechs Monate wurden zudem unerwünschte Wirkungen nach der zweiten Spritze erfasst. Ergebnis: In der Gruppe der mit Biontech geimpften Kinder trat kein Covid-19-Fall auf, aber 1,3 Prozent der Kinder zeigten schwere Impfreaktionen. In der etwa gleich großen Vergleichsgruppe mit ungeimpften Kindern erkrankten 16 Teilnehmer an Covid-19.
Den Forschern zufolge wirkt die zweifache Impfung damit zu 100 Prozent. Auch Labortests zeigten, dass die Impfung eine stabile Immunantwort erzeugte - sogar eine bessere als in der Gruppe der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 16 und 25 Jahren.
Erkranken auch Kinder an Post-Covid, den Spätfolgen einer Covid-19-Infektion?
Kinder erkranken meist eher leicht an Covid-19 oder sogar symptomlos. Trotzdem kam es im Verlauf der Pandemie auch bei Kindern schon zu schweren Krankheitsverläufen. Wie Erwachsene können sie auch bei symptomlosen, leichten oder schweren Covid-19-Infektionen ein Post-Covid-Syndrom (auch Long Covid genannt) entwickeln, wenn auch bisher deutlich seltener. Die wenigen Daten, die es bislang gibt, zeigen, dass sich vor allem Jugendliche und junge Erwachsene in Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin vorstellten. In Deutschland stieg die Zahl der an Post-Covid erkrankten Kinder erst ab der zweiten Pandemie-Welle. In Großbritannien und den USA waren schon früher mehr Kinder betroffen.
Jakob Armann von der Kinderklinik der TU Dresden sagte gegenüber dem Fachmagazin Nature: "Wenn 10 oder 15 Prozent der Kinder, unabhängig von der Schwere ihrer anfänglichen Erkrankung, langfristige Symptome haben, ist das ein Problem, dass untersucht werden muss." Nötig seien Kontrollgruppen bei Studien, um herauszufinden, was wirklich mit der Infektion zusammenhänge. Denn möglich sind auch andere Krankheitsursachen oder die Belastung durch die Pandemie. Erste Studienergebnisse der TU Dresden vom Mai 2021 deuten auf eine geringe einstellige Prozentzahl hin und damit auf weniger Fälle als befürchtet. Je nachdem, wie lange die Symptome anhalten - Monate, Jahre oder ein Leben lang - können aber auch wenige Fälle schwerwiegend sein.
Weil sowohl eine Covid-19-Infektion, als auch die wiederholten Lockdowns und die Pandemie generell bei Kindern gesundheitliche Spuren hinterlassen können, ist eine Unterscheidung zwischen Long Covid und Long Lockdown oft schwierig. Deshalb entstehen derzeit interdisziplinäre Netzwerke sowie Ambulanzen und Krankenhausabteilungen in Bayern. Die Spezialambulanz der Münchner Universitäten LMU und TUM soll im September öffnen, eine Krankenhausabteilung wird in Passau angesiedelt und vom Bezirk Niederbayern unterstützt. Diese wird Kinderklinik mit Kinder- und Jugendpsychiatrie, inklusive Psychosomatik, verbinden.
Meist erkrankten Kinder direkt nach einer Covid-19-Infektion an Post-Covid/Long Covid, das heißt mindestens eins der Symptome hielt auch vier Wochen nach einer Infektion noch an. Bei unklarer Diagnose spricht man bei Kindern nach etwa drei Monaten mit Symptomen von Post-Covid. Das sind Richtwerte, denn eine klare Definition von Post-Covid, den vielfältig auftretenden Symptomen und dem zeitlichen Verlauf der Erkrankung gibt es noch nicht. Wie Erwachsene leiden Kinder und Jugendliche bei Post-Covid an Chronischer Erschöpfung (Fatigue), Schlafstörungen, Husten, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen, Konzentrationsstörungen oder an einem anhaltenden Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns. Nur bei Kindern tritt das seltene PIMS-Syndrom auf (multiinflammatorisches Syndrom / MIS-C / Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome), bei dem nach einer Covid-19-Infektion chronische Entzündungen im ganzen Körper ausbrechen, die lebensgefährlich sein können.
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