Die Omikron-Variante ist deutlich ansteckender als die Varianten des Coronavirus, die vorher das Infektionsgeschehen in Deutschland bestimmt haben. Omikron führt aber auch seltener zu einem schweren Krankheitsverlauf. Covid-19 und die Folgen werden damit anderen Atemwegserkrankungen ähnlicher, auch der Grippe.
Gefährlichkeit von Covid-19 deutlich reduziert
Mitte März zeigten Zahlen der Nationalen Statistikbehörde ONS, dass in Großbritannien das Coronavirus für die Mehrheit der Bevölkerung weniger tödlich ist als die Virusgrippe. Nach einer Auswertung der Financial Times war in England zum ersten Mal während der Pandemie der Anteil tödlicher Krankheitsverläufe bei Coronavirus-Infizierten kleiner als bei der saisonalen Grippe. Diese verläuft bei etwa 0,04 Prozent der Erkrankten tödlich. Bei Covid-19 waren es 0,035 Prozent.
Großbritannien hat eine höhere Impfquote bei den Älteren und dort haben deutlich mehr bereits eine Coronavirus-Infektion hinter sich. Daher lassen sich die Zahlen nicht direkt auf Deutschland übertragen. Sie zeigen aber dennoch: Der bessere Immunschutz in der Bevölkerung und die Omikron-Variante haben die Gefährlichkeit von Covid-19 deutlich reduziert. "Alles zusammen hat dazu geführt, dass Covid-19-Erkrankungen weit weniger gefährlich sind als die echte Virus-Grippe", sagte Privatdozent Dr. Christoph Spinner, Pandemiebeauftragter am Universitätsklinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, gegenüber BR24.
"Stehen am Übergang zur Endemie"
"Seit Beginn des neuen Jahres hat sich die Situation der Pandemie aus meiner Sicht komplett verändert. SARS-CoV-2 war zuvor etwa zwanzigfach so tödlich wie die echte Virusgrippe." Anfangs habe die Mortalität in Deutschland um 4,5 Prozent gelegen, jetzt bei kaum mehr als etwa 0,1 Prozent. Die früher kursierende Coronavirus-Varianten hätten auch bei jüngeren Menschen oft schwere Verläufe verursacht. Inzwischen stehen wir jedoch am Übergang zur Endemie, urteilt Christoph Spinner.
Robert Koch-Institut: Deutlich weniger Einweisungen ins Krankenhaus
Auch das Robert Koch-Institut meldet im Wochenbericht vom 7. April 2022 einen Unterschied bei den Einweisungen ins Krankenhaus und der Belegung der Intensivstationen zwischen den Auswirkungen der Omikron-Welle und den vorangegangenen Wellen: "Bei Betrachtung der SARI-Inzidenz (SARI: schwere akute Atemwegsinfektion) insgesamt unabhängig vom Erreger, ist der Unterschied zu den ersten vier pandemischen Erkrankungswellen sogar noch deutlicher. Dafür werden in der fünften Welle deutlich mehr Menschen mit akuten Atemwegserkrankungen in der ambulanten Betreuung versorgt als zuvor."
Das individuelle Risiko einer Coronavirus-Infektion ist also für die meisten Menschen gesunken. Eine hohe Zahl von Infektionen hat aber trotzdem schwere Auswirkungen. Das zeigen die Zahlen aus England: In den ersten Monaten des Jahres 2022 starben dort 50 Prozent mehr Menschen an Atemwegserkrankungen als in Jahren mit einer durchschnittlichen Grippe-Saison.
Bessere Abwehr gegen Grippe durch mehr Kontakt mit dem Virus
In Deutschland sinken derzeit die Infektionszahlen und auch die Zahl der gemeldeten Covid-19-Todesfälle geht zurück. Ist Corona also bald das Gleiche wie die Grippe? Bedauerlicherweise nicht: Impfung und durchgemachte Infektionen schützen, am besten kombiniert, gut vor einem schweren Krankheitsverlauf. Der Schutz vor Ansteckung ist bei SARS-CoV-2 jedoch noch gering. Bei der Grippe ist das anders, erklärte Professor Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie der Charité in Berlin, im vorerst letzten Coronavirus-Update von NDR Info Ende März: "Bei der Influenza ist es einfach so, dass jeder sich im Laufe des Lebens x-mal infiziert. (…) Und jeder in der Bevölkerung, außer der Kinder natürlich – die noch nicht so viele Infektionen hinter sich haben – jeder hat so viele Infektionen hinter sich, dass dort eben an der Schleimhaut eine Immunität besteht."
Das Grippevirus breitet sich daher nur im Winter ein paar Wochen lang erfolgreich aus, da die meisten gegen eine Ansteckung immun sind. Das Coronavirus trifft hingegen weiterhin auf genug Menschen, die noch nicht eine Infektion geschützt sind – oder nicht mehr, weil die letzte Infektion oder Impfung schon einige Monate zurückliegt.
Im Herbst kann es wieder zu einer Corona-Welle kommen
Das bedeutet, auch im Herbst kann es wieder zu einer neuen Corona-Welle kommen. Viele Infektionen bedeuten dann auch viele schwere Krankheitsverläufe und Todesfälle, selbst wenn diese wie derzeit nur einen kleinen Anteil an allen Erkrankten ausmachen. Außerdem droht innerhalb kurzer Zeit eine große Zahl an Arbeitskräften krankheitsbedingt auszufallen – für ein paar Tage, bei Long Covid aber auch wochen- oder monatelang. Das könnte insbesondere für die Menschen, die in den Kliniken arbeiten, eine schwere Belastungsprobe werden. So wie es gegenwärtig Professor Stefan Kluge, Direktor Klinik für Intensivmedizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, auf Twitter zusammenfasst:
Am Universitätsklinikum rechts der Isar in München sei die Situation vergleichbar, bestätigt Christoph Spinner.
Eine kommende Corona-Welle wird aber vermutlich nicht so heftig ausfallen wie bisherige: Impfungen und Infektionen werden die Fähigkeit des Immunsystem steigern, das Coronavirus abzuwehren. Das gilt sowohl für das Individuum als auch für die gesamte Bevölkerung. Falls sich aber eine neue Virus-Variante ausbreitet, die ansteckender und/oder krankmachender ist als Omikron, könnte die Lage im kommende Herbst und Winter schwierig werden. Ob es dazu kommt, darüber lässt sich nur spekulieren.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!