Der Erdkern macht selten Schlagzeilen, aber vor einigen Wochen tat er es: Da war vielerorten zu lesen, er habe aufgehört, sich zu drehen. Dem ist glücklicherweise nicht so. Kurz darauf verkündeten Forschende, mithilfe seismischer Wellen einen innersten Erdkern gefunden zu haben: Im inneren Erdkern stecke der "wahre" Kern unserer Erde, nämlich eine Eisenkugel mit einem Durchmesser von 1300 Kilometern.
Das zeigt: Wir wissen gar nicht so viel über unseren Erdkern. Dabei verdanken wir ihm unser Leben: Er erzeugt das Erdmagnetfeld, das unseren Planeten vor den hochenergetischen Teilchen des Sonnenwinds abschirmt.
- Zur Infografik: "Wie ist unsere Erde im Inneren aufgebaut?"
Wie schaut es im Zentrum unserer Erde aus?
Wenn man sich unsere Erde als Kugel vorstellt, hat diese Kugel vier Schichten. Ganz außen befindet sich die Erdkruste. Sie ist mit bis zu rund dreißig Kilometern die dünnste Schicht. Darunter kommt der Erdmantel, der – vereinfacht gesagt – aus zähflüssigem Gestein besteht.
Dann folgt der Erdkern: Der flüssige, äußere Erdkern beginnt ab einer Tiefe von rund 2.900 Kilometern unter der Erdoberfläche und besteht hauptsächlich aus Eisen und Nickel. Auch der feste, innere Erdkern besteht aus Eisen und Nickel. Er beginnt in einer Tiefe von rund 5.150 Kilometern.
Am Übergang vom inneren zum äußeren Erdkern herrschen Temperaturen von rund 5.700 Grad Celsius. Das entspricht etwa der Oberflächentemperatur auf der Sonne. Der Druck ist dort rund 3,6-millionfach so hoch wie der Druck der Erdatmosphäre. Er sorgt dafür, dass das Material im inneren Erdkern nicht flüssig werden kann.
Wie schützt der Erdkern das Leben auf der Erde?
Der äußere Erdkern erzeugt das Erdmagnetfeld. Es erfreut uns nicht nur mit dem Phänomen der Polarlichter, die auf der Erde vor allem nahe des Nordpols oder des Südpols erscheinen. Es erfüllt für das Leben auf der Erde auch eine wichtige Funktion, denn es schirmt die Erde von den für Lebewesen schädlichen Teilchen des Sonnenwindes ab. Hätte unsere Erde kein Magnetfeld gehabt, hatten die hochenergetischen Teilchen des Sonnenwinds die Erdatmosphäre schon vor langer Zeit nach und nach zerstört.
Der äußere Erdkern besteht aus flüssigem Metall. Darin können elektrische Ströme entstehen, die ein Magnetfeld erzeugen. Forschende bezeichnen dies auch als den "Geodynamo". Er erzeugt das Erdmagnetfeld immer wieder neu und hält es aufrecht. Wie er das aber genau macht, ist im Detail noch lange nicht klar.
Monika Korte ist Geophysikerin am Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ und erklärt: "Es ist ein Zusammenspiel von verschiedenen Kräften. Wichtig ist vor allem, dass Konvektion stattfindet, die wahrscheinlich hauptsächlich durch die Abkühlung der Erde angetrieben wird. Durch die Konvektion im äußeren Erdkern steigt wärmeres Material auf und kühleres Material sinkt ab. Möglicherweise gibt es auch Anteile von chemischer Konvektion: Leichteres Material als Eisen und Nickel wird nicht mit in den festen inneren Erdkern eingebaut, steigt dann nach oben und treibt die Konvektion an." Auch die Erdrotation spielt beim Geodynamo eine wichtige Rolle.
Radiowissen-Audio: Der Aufbau unserer Erde - Kruste, Mantel und Kern
Wie lässt sich der Erdkern erforschen?
Das tiefste je von Menschen gebohrte Loch hat es mit zwölf Kilometern Tiefe noch nicht einmal durch die Erdkruste geschafft. Während vulkanische Aktivitäten manchmal Gesteine und Hinterlassenschaften aus dem Erdmantel an die Oberfläche befördern, ist das beim Erdkern nicht der Fall. Wie können wir also etwas über diese rätselhafte Welt tief im Inneren der Erde erfahren?
Dazu dient einerseits die Seismologie. Bei Erdbeben durchlaufen seismische Wellen unsere Erde. Dabei können sie gebrochen, abgelenkt oder reflektiert werden. Sie breiten sich je nach Material unterschiedlich schnell in Erdkruste, Erdmantel oder Erdkern aus. P-Wellen schwingen in Ausbreitungsrichtung und können sich prinzipiell überall im Erdinneren ausbreiten, S-Wellen hingegen schwingen quer zur Ausbreitungsrichtung und können keine Flüssigkeiten durchdringen – wie zum Beispiel den flüssigen, äußeren Erdkern. Mithilfe der P-Wellen gelang der dänischen Geowissenschaftlerin Inge Lehmann im Jahr 1936 beispielsweise der Nachweis, dass der innere Erdkern fest und nicht flüssig ist.
"Als zweite Möglichkeit gibt es das Magnetfeld. Man versucht, aus dem gemessenen Magnetfeld und aus den Änderungen des Magnetfelds Rückschlüsse darüber zu ziehen, was im Geodynamo vor sich geht", sagt Monika Korte.
Während man heutzutage das Erdmagnetfeld direkt messen kann, bietet sich für die Vergangenheit eine indirekte Methode an: magnetisiertes Gestein, das auf das Vorhandensein eines Erdmagnetfelds hindeutet. "Es gibt magnetisierte Gesteine, die rund 3,5 Milliarden Jahre alt sind", sagt Monika Korte. Das ist beachtlich, wenn man bedenkt, dass unsere Erde rund 4,6 Milliarden Jahre alt sind. Anhand von derartigen Steinen versuchen Forschende, das Magnetfeld der Erde zu verschiedenen Zeiten in ihrer Entwicklung zu rekonstruieren.
Gibt es einen innersten inneren Erdkern?
Nach bisheriger Zählweise hat das Innere unserer vier Ebenen: Kruste, Mantel, äußerer Kern, innerer Kern. Laut einer kürzlich im Fachmagazin "Nature Communications" erschienenen Studie könnte künftig eine weitere Ebene dazukommen: nämlich der "wahre" Kern der Erde. Zwei australische Geowissenschaftler wollen ihn bei der Auswertung seismischer Wellen von Erdbeben entdeckt haben. Die Herausforderung für sie bestand dabei unter anderem darin, erst einmal die passenden Daten zu erheben: Sie brauchten ein relativ starkes Erdbeben auf einer Seite der Erde und Seismographen auf genau der anderen Seite der Erde. Schließlich mussten die Erdbebenwellen mitten durch die Erde hindurch, um auch den Kern der Erde zu treffen.
Die Analyse der Daten zeigte: Die Laufzeiten der P-Wellen im Zentrum der Erde unterscheiden sich von den Laufzeiten im restlichen inneren Kern. Aus Modellen schließen die Forscher, dass es demnach einen innersten inneren Erdkern mit einem Radius von rund 650 Kilometern gibt. Auch bei ihm würde es sich – wie beim inneren Erdkern – um eine feste Metallkugel handeln. Doch inwiefern unterscheiden sich diese beiden Schichten? Vielleicht in einer unterschiedlichen Struktur der Materie in den Kernen: Die Forscher vermuten, dass dies auf eine Veränderung im Wachstum des inneren Erdkerns hindeutet.
Wie alt ist der Erdkern?
Der innere Erdkern wächst, da die Erde langsam abkühlt: Der flüssige, äußere Kern verfestigt sich Stück für Stück an der Grenze zum inneren, festen Kern. Wie schnell dieser Prozess abläuft, ist nicht genau bekannt. Manche Schätzungen gehen von etwa einem Millimeter pro Jahr aus. "Es gibt auch Theorien, dass der innere Kern möglicherweise an einer Seite stärker wächst und an der anderen Seite auch immer wieder etwas abschmilzt und sich so ganz leicht verschiebt", sagt die Geophysikerin Monika Korte. Die Interpretation der Ergebnisse aus seismischen Untersuchungen ist nicht immer ganz einfach, denn ein Modell des Erdinneren kann kaum alles richtig voraussagen.
Das Material des Erdkerns sollte so alt sein wie der Rest der Erde auch: In den Anfangszeiten des Sonnensystems und der Entstehung der Erde sanken massereiche Elemente wie Nickel und Eisen, aber auch schwere, radioaktive Elemente, die durch ihren allmählichen Zerfall zusätzlich Wärme freisetzen, gen Zentrum der Erde.
Aber wann hat der innere Erdkern damit angefangen, fest zu werden? Neuere Forschungsergebnisse deuten auf einen eher jungen, festen Erdkern hin: Eine im Jahr 2019 erschienene Studie geht gar von nur 565 Millionen Jahren aus. Der feste Erdkern könnte aber auch über eine Milliarde Jahre alt sein, was für geologische Maßstäbe immer noch ziemlich jung ist.
"Meiner Meinung nach ist die Frage, wie alt der Erdkern wirklich ist, eine der großen und wichtigsten Fragen", sagt Monika Korte. Denn der innere Erdkern spielt wahrscheinlich auch bei der Erzeugung und Aufrechterhaltung des Geodynamos eine Rolle. Wenn aus paläomagnetischen Daten bekannt ist, dass die Erde bereits vor rund 3,5 Milliarden Jahren über ein Erdmagnetfeld verfügte, aber andererseits der innere Erdkern so viel jünger ist, stellt sich die Frage, wie die Erde in der fernen Vergangenheit überhaupt zu ihrem Magnetfeld kam.
Was hat der Erdkern mit den Umpolungen des Erdmagnetfeldes zu tun?
Im Laufe der Erdgeschichte gab es immer wieder eine komplette Polumkehrung. Dabei änderte sich die Polarität des Erdmagnetfelds. Das bedeutet: Eine Kompassnadel hätte dann gen Süden gezeigt und nicht wie derzeit gen Norden. Manchmal liest man in diesem Zusammenhang auch von einem "Polsprung", aber Monika Korte findet diesen Begriff unpassend: "Sprung klingt nach etwas Plötzlichem, Sprunghaften. Das ist es aber nicht. Auf menschlichen Zeitskalen ist eine Polumkehr ein langsamer Vorgang. Nach allem, was wir heute wissen, dauert sie mindestens einige hundert Jahre, wahrscheinlich sogar eher in der Größenordnung von tausend Jahren."
Bei einer Umpolung wird das Erdmagnetfeld über diesen Zeitraum immer schwächer, bevor es sich schließlich umkehrt. "Je schwächer es ist, umso leichter neigt es auch dazu, sich umzukehren", sagt Monika Korte. Allerdings folgt das Erdmagnetfeld dabei keinem festen Muster: Während der durchschnittliche zeitliche Abstand für Umpolungen in den letzten 160 Millionen Jahren etwa 500.000 Jahre beträgt, gibt es auch immer wieder Phasen langer Stabilität, in denen das Erdmagnetfeld Millionen von Jahre lang so bleibt, wie es ist.
Welche Prozesse im Erdkern ablaufen, die zu der Umpolung führen, ist nicht geklärt. Modelle und Simulationen des Erdkerns können das beobachtete Muster an Umpolungen nämlich nicht reproduzieren: "In manchen Simulationen ist das Erdmagnetfeld so stabil, dass gar keine Polumkehrungen stattfindet. In anderen Simulationen hingegen kehrt sich die Polarität sehr viel häufiger um, als wir es von der Erde tatsächlich kennen", sagt Monika Korte. Die letzte Polumkehrung fand übrigens vor rund 780.000 Jahren statt.
Wie geht es dem Erdkern und unserem Erdmagnetfeld derzeit?
Nach allen Erkenntnissen, die derzeit zur Verfügung stehen, steht eine Umpolung des Erdmagnetfelds nicht bevor. Zwar wird das Erdmagnetfeld seit Beginn der menschlichen Messungen etwas schwächer. "Aber unser heutiges Erdmagnetfeld scheint im Vergleich zum erdgeschichtlichen Durchschnitt überdurchschnittlich stark zu sein", sagt Monika Korte.
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