Auch wenn junge Menschen ohne Vorerkrankungen im Idealfall glimpflich durch eine Corona-Infektion kommen, kann es auch bei ihnen einen schweren Verlauf mit Todesfolge geben. Oder Langzeitfolgen. Deshalb sind sogenannte “Human-Challenge-Trials” stark umstritten. Dabei werden wissentlich Menschen infiziert, um mehr über die Auswirkungen und Verbreitungswege einer Krankheit zu erfahren. Bisher gab es solche Programme zur Entwicklung von Grippe- und Malaria-Impfstoffen. Allerdings wurde den Probanden vorher ein potentieller Wirkstoff gespritzt.
90 Freiwillige zwischen 18 und 30 Jahren
Anders funktioniert die Studie, die am 6. März im Royal Free Hospital in London gestartet wurde: Bis zu 90 Freiwillige zwischen 18 und 30 Jahren werden dabei mit dem Coronavirus infiziert. Das ist weltweit die erste Studie dieser Art. Die Probanden wurden vorher nicht geimpft. Ziel ist es, das Virus besser zu verstehen und die Entwicklung von Impfstoffen und Behandlungen gegen Covid-19 zu verbessern und zu beschleunigen, teilte das britische Gesundheitsministerium mit.
Reaktion des Immunsystems auf Virus
Die Probanden bekommen zunächst die geringst mögliche Dosis an Viren, die benötigt wird, um eine Infektion auszulösen. Dann werden sie in einer “sicheren und kontrollierten” Umgebung rund um die Uhr von Medizinern und Wissenschaftlern überwacht - über 14 Tage. Dabei wird unter anderem beobachtet, wie das Immunsystem auf das Virus reagiert und wie die Infizierten Viruspartikel in ihre Umgebung abgeben. Die Freiwilligen bekommen Viren in die Nase getropft. Es handelt sich dabei um die “Wildvariante” des Coronavirus, die im Frühjahr 2020 vorherrschte und nicht um die ansteckendere britische Variante B.1.1.7. Als Aufwandsentschädigung sollen die Probanden laut der britischen BBC etwa 4.500 Pfund, also ca. 5.250 Euro, bekommen. Das beinhaltet auch Folge-Tests und -Untersuchungen.
Gezielt Wirksamkeit von Impfstoffen überprüfen
In Folgestudien ist geplant, auch zukünftige Impfstoffe an Probanden zu testen. Erst würden sie den potentiellen Impfstoff bekommen und dann gezielt dem Virus ausgesetzt werden. Das hätte den Vorteil, dass effizient untersucht werden kann, wie gut ein Impfstoff wirkt. Bisher wird das in groß angelegten klinischen Studien erforscht, bei denen zehntausende Menschen einen Impfstoff bekommen. Dann wird abgewartet, ob sich weniger Personen aus der Gruppe der Geimpften auf natürlichem Weg mit dem Virus infizieren als in der Kontrollgruppe, die nur ein Placebo bekommen haben - also einen “Impfstoff” ohne Wirkung.
- Sind Placebo-Studien ethisch noch vertretbar?
Keine Human-Challenge-Trials in Deutschland
In Deutschland sind solche Human-Challenge-Trials laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) eher unwahrscheinlich:
“Wir halten es für unethisch, Menschen vorsätzlich mit Coronaviren zu infizieren, wenn man die Krankheit nicht sofort heilen kann, falls sie ausbricht. Und für Covid-19 kann man das nicht garantieren.” Han Steutel, vfa-Präsident
Ethische und methodische Bedenken
Aber auch methodische Bedenken gibt es, denn solche Tests werden bei jungen und gesunden Probanden durchgeführt. Die Erkenntnisse sind damit nicht automatisch auf ältere oder chronisch kranke Personen übertragbar. Diese sind aber am meisten gefährdet. Zusätzlich kann nicht immer davon ausgegangen werden, dass eine künstlich herbeigeführte Infektion in Viruslast und Infektionsweg genau dem natürlichen Weg einer Ansteckung entspricht. Die Folgen einer Infektion von SARS-CoV-2 sind unvorhersehbar. Daher sind solche Studien dem Medizinethiker Joerg Hasford der LMU München zufolge ethisch nicht vertretbar.
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