- Die Studien, die auf Twitter geteilt werden, sind veraltet. Sie stammen aus dem Zeitraum als noch die Delta-Variante dominierte.
- Was besser vor einer (Neu-)Infektion schützt, lässt sich erst nach dem Abflauen einer Welle sagen. Für Omikron deuten erste Studien darauf hin, dass insbesondere eine milde Omikron-Infektion keine robuste Immunantwort ausbildet.
- Die Risiken einer Infektion überwiegen die der Impfung bei weitem. Eine vollständige Impfserie inklusive Booster ist deshalb derzeit der sicherste Weg, sich vor einem schweren Covid-19-Verlauf zu schützen.
Am vergangenen Montag haben die Gesundheitsminister von Bund und Ländern die Entscheidung noch einmal diskutiert: Gerade Bayern wollte die Verkürzung des Genesenen-Status nicht hinnehmen. Das Robert Koch-Institut (RKI) hatte seine Richtlinien dazu Mitte Januar geändert. Doch der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek konnte sich nicht gegen seine Ressortkollegen durchsetzen. Wer sich jetzt mit Sars-CoV-2 infiziert oder kürzlich infiziert hat und nicht zusätzlich geimpft ist, gilt fortan nur noch bis drei Monate nach der Infektion als "genesen".
Verkürzung sorgt für empörte Reaktionen
In Mails an den BR24 #Faktenfuchs und auf Social Media sorgt die Entscheidung für empörte Reaktionen. So schreibt ein Leser, durch den jüngsten Beschluss des RKI seien "die Grundrechte der Genesenen erheblich eingeschränkt worden". Ihn interessiert, wie es sein könne, dass ein natürlicher Kontakt mit dem ganzen Virus einen schlechteren Immunschutz auslösen solle als der Kontakt mit nur einem Teil des Erregers - nämlich dem Spike-Protein, auf dem alle bisher in Deutschland zugelassenen Impfungen basieren.
Viele Twitter-User halten sich mit solchen Fragen erst gar nicht auf. Mit Bezug auf verschiedene Studien behaupten sie Dinge wie: "Natürliche Immunität ist besser als Impfung." Ein anderer beschwert sich, dass Genesene vier Monate nach der Infektion nun schlechter gestellt wären als zweifach Geimpfte. Und das, "obwohl Genesen [sic] besser ist als 2x geimpft und nur von 3x leicht übertroffen wird". Ein dritter User teilt zwei Studien aus Israel und den USA, die belegten, "dass Menschen, die nicht geimpft, aber genesen waren, besser gegen eine Neuansteckung geschützt waren als solche, die zwar geimpft, aber nicht genesen waren".
Doch stimmt das? Schützt eine natürliche Infektion wirklich besser vor einer erneuten Infektion als die Impfung? Der #Faktenfuchs hat mehrere Experten dazu befragt.
Die auf Twitter zitierten Studien sind veraltet
Richtig ist: Wie gut eine durchlaufene Infektion - ob mit der bis vor kurzem dominierenden Delta-Variante oder der jetzt dominanten Omikron-Variante - vor einer Re-Infektion schützt, lässt sich derzeit noch nicht sicher sagen.
Die Schlüsse, die viele der Twitter-User aus den zitierten Studien ziehen, sind nicht per se falsch. Aber die Studien bilden Erkenntnisse aus der Vergangenheit ab, die teilweise überholt sind. Denn sie alle beziehen sich auf Untersuchungszeiträume, in denen Omikron sich noch gar nicht verbreitet hatte. Und was die Twitter-User nicht schreiben, aber die Studienautoren stets erwähnen: Eine natürliche Infektion geht mit enormen Risiken einher, die niemand wissentlich in Kauf nehmen sollte.
Eine der zitierten Studien etwa hat untersucht, wie viele Menschen sich von Anfang August bis Ende September 2021 in Israel mit der Delta-Variante angesteckt haben. Die Autoren verglichen auch, wie viele der Infizierten zuvor geimpft oder genesen waren.
Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass der Immunschutz sowohl nach einer Impfung als auch nach einer Infektion mit der Zeit abnimmt - aber der Schutz durch eine Infektion höher ist als der Schutz durch zwei Impfdosen, wenn die letzte Impfdosis vergleichbar lange zurückliegt wie die Infektion. Eine einmalige Impfung nach einer durchgemachten Infektion hilft den Autoren zufolge den abnehmen Immunschutz wieder herzustellen.
Auch eine zweite Studie aus Israel, die den Zeitraum von Anfang Juni bis Mitte August 2021 untersucht hat, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. Auch hier verglichen die Autoren Geimpfte und Genesene.
Sie kommen zu dem Ergebnis, dass eine natürliche Infektion im Vergleich zu einer zweifachen Impfung "einen länger anhaltenden und stärkeren Schutz vor einer Infektion, einem symptomatischen Verlauf und Hospitalisierung bietet". Menschen, die geimpft und genesen waren, seien besonders gut geschützt vor einer Re-Infektion mit der Delta-Variante.
Aus diesen Studien die Gewissheit abzuleiten, dass Geimpfte weniger gut vor der Omikron-Variante geschützt wären als Genesene, wie viele der Twitter-User es tun, ist dennoch falsch: Denn beide Studien - die im übrigen bisher nicht "peer-reviewed" sind (also nicht von Experten begutachtet wurden) - wurden in einem Zeitraum durchgeführt, in dem in Israel noch die Delta-Variante dominierte. Darüber, wie gut die Impfung beziehungsweise eine Infektion mit einer früheren Variante vor einer Ansteckung mit Omikron schützt, sagen sie also nichts aus.
Ob Genesene oder Geimpfte besser geschützt sind, hängt von der Variante ab
Reinhold Förster, Immunologe an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), sagt deshalb: Im Grunde müsse mit jeder Mutation des Coronavirus neu bewertet werden, was besser vor einer (erneuten) Infektion schützt: die verfügbaren Impfungen oder eine vorherige Infektion. Erst nachdem eine Variante von der nächsten verdrängt wird, könne man anhand der großen Anzahl an verfügbaren Daten sehen, wie viele der Infizierten vorher bereits geimpft oder genesen waren. Schon in der Vergangenheit habe sich dieses Verhältnis teilweise verkehrt.
Solange zum Beispiel noch der Wildtypus und die Alpha-Variante vorherrschten,
"war es ganz klar so, dass die zweifachen Impfungen besser geschützt haben vor einer Infektion als eine durchgemachte Infektion. Nach der Delta-Welle war es so, dass man den besten Schutz hatte, wenn man sich mit Delta infiziert hatte - und vielleicht dazu noch geimpft war. Wie das jetzt mit Omikron ist, das wissen wir im Sommer." (Reinhold Förster, Immunologe)
Dieses sich wechselnde Verhältnis konnten Forscher aus den USA für Kalifornien und New York im Zeitraum Mai bis November 2021 nachweisen. Sie schreiben in einem Bericht für das US-amerikanische Center of Disease Control and Prevention (CDC):
"Bevor Delta im Juni zur dominierenden Variante wurde, steckten sich mehr Menschen an, die zuvor eine Infektion durchgemacht hatten, als Menschen, die geimpft waren. Ab Anfang Oktober waren die Fallzahlen unter Genesenen niedriger als unter Geimpften." (CDC-Bericht)
Doch was wissen wir darüber, wie es jetzt aussieht? Dafür muss man zwei mögliche Fälle unterscheiden:
- Das Risiko, dass sich ein Delta-Genesener mit Omikron re-infiziert.
- Das Risiko, dass sich ein Omikron-Genesener direkt noch einmal mit Omikron infiziert.
Wie gut schützt eine Delta-Infektion vor Omikron?
Letzteres ist der Fall, von dem das RKI in seiner Begründung für den verkürzten Genesenen-Status ausgeht. In der Begründung heißt es, dass die
"bisherige wissenschaftliche Evidenz darauf hindeutet, dass Ungeimpfte nach einer durchgemachten Infektion mit der Deltavariante oder einer früheren Virusvariante einen im Vergleich zur Reinfektion mit der Deltavariante herabgesetzten und zeitlich noch stärker begrenzten Schutz vor einer SARS-CoV-2-Infektion mit der Omikronvariante haben." (Fachliche Vorgaben des RKI für COVID-19-Genesenennachweise, RKI)
Anders gesagt: Viele deutet darauf hin, dass wer sich erst kürzlich mit der Deltavariante infiziert hat, sich nun noch einmal mit Omikron anstecken kann.
Als Beleg zitiert das RKI Studien aus England, die zu dem Ergebnis kommen, dass eine durchgemachte Infektion mit einer früheren Variante (meist Delta) deutlich weniger vor einer Neu-Infektion mit Omikron schützt als dies bei früheren Varianten der Fall war: je nach Studie nur noch zu 40 bis 60 Prozent. Zum Vergleich: Als die Delta-Variante zirkulierte, bot eine vorausgegangene Infektion noch einen Schutz von etwa 90 Prozent.
Was das RKI allerdings auch schreibt: Es geht bei dieser Einschätzung vor allem um die Wahrscheinlichkeit, sich noch einmal mit Omikron zu infizieren. Es geht weniger um die Frage, wie wahrscheinlich es ist, schwer an dem Virus zu erkranken. Denn vor Hospitalisierung und Tod scheint eine vorherige Infektion - ähnlich wie die Impfungen - auch bei Omikron noch gut zu schützen.
Omikron: besonders ansteckend, aber weniger gefährlich?
Dass das so ist, hängt auch mit einer Besonderheit der Omikron-Variante zusammen, wie der Immunologe Förster betont: Diese sei nämlich besonders gut darin, Zellen in den oberen Atemwegen (Nase, Mund, Rachen) zu befallen. Sie tut sich dagegen schwerer als frühere Varianten, tiefer in die Lunge einzudringen. Diese Besonderheit könne ein Grund dafür sein, warum die Inzidenzen seit Omikron durch die Decke schießen, aber weniger Menschen schwer erkranken.
Um Ansteckungen zu vermeiden, ist es deshalb wichtig, dass Menschen sich bald nach einer durchlaufenen Infektion - und nach der Grundimmunisierung - noch einmal impfen lassen. Denn die Antikörper nehmen auch nach einer vollständigen Impfung relativ schnell wieder ab. Der Booster sorgt dafür, dass noch einmal neue Antikörper produziert werden. Und je mehr Antikörper vorhanden sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie den Erreger neutralisieren können - die Person sich also gar nicht erst infiziert.
Wie hoch ist das Risiko, sich nach einer Omikron-Infektion noch einmal mit Omikron anzustecken?
Seit Omikron zu Beginn des Jahres zur dominierenden Variante geworden ist, dürfte jedoch auch noch ein zweiter Fall immer häufiger auftreten: nämlich der, dass Omikron-Genesene noch einmal der Omikron-Variante ausgesetzt sind. Wie wahrscheinlich es ist, sich nach einer durchgemachten Omikron-Infektion direkt noch einmal mit Omikron zu infizieren, dazu gibt es derzeit noch keine verlässlichen Daten. Das schreibt das RKI und das bestätigt auch der Immunologe Reinhold Förster.
Erst vor wenigen Tagen ist in den USA allerdings eine erste Preprint-Studie erschienen, die unter anderem Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf Twitter geteilt hat.
Die Autoren haben untersucht, wie gut Geimpfte, Geboosterte und Menschen mit Durchbruchsinfektionen in der Lage waren, Omikron-Antigene zu neutralisieren, also unschädlich zu machen. Das Ergebnis: Grundimmunisierte (zweifach Geimpfte), die danach noch eine Omikron-Durchbruchinfektion durchmachten, hatten mehr als fünf Mal so viele Antikörper wie Menschen, die nur zweimal geimpft waren. Aber sie hatten nur ein Drittel so viele Antikörper wie Menschen, die sich hatten boostern lassen. Anders gesagt: Der Schutz vor einer Re-Infektion, der durch die Infektion entsteht, scheint deutlich weniger verlässlich zu sein als der Schutz, den eine Booster-Impfung bietet.
Der Immunologe Reinhold Förster weist daraufhin, dass auch diese Studie bisher nicht peer-reviewed ist und die Gesamtzahl der untersuchten Omikron-Infektionen mit 14 sehr klein ist. Die Erkenntnisse seien also bisher nicht belastbar. Er hält die Tendenz der Studie aber dennoch für realistisch. Denn die Qualität des Immunschutzes, der nach einer Infektion entsteht, hängt auch damit zusammen, wie schwer die Infektion verlaufen ist:
“Das Omikron-Virus wird bei Immunisierten relativ schnell abgefangen, in erster Linie im oberen Respirationstrakt. Das heißt, es dringt nicht tief genug ein, um profunde Immunantworten zu produzieren.” (Reinhold Förster, Immunologe)
Gerade weil Omikron es meist nicht schaffe, die tieferen Lungenschichten zu befallen, sei zu erwarten, dass die Immunantwort weniger stark ausfalle. Denn eines habe sich im Verlauf der Pandemie immer wieder gezeigt: Je schwerer jemand erkrankt, desto bessere Antworten bildet sein Immunsystem aus.
Es könnte also sein, dass gerade die vielen vergleichsweise milden Omikron-Verläufe dazu führen, dass die Immunität schnell wieder abnimmt - und der Genesene sich erneut infiziert. Sei es mit derselben Variante oder einer zukünftigen Neuen.
Update 09.02.2022: Auch ein weiterer Preprint aus Österreich kommt zu einer ähnlichen Einschätzung. Die Forscher haben untersucht, wie gut Omikron-Genesene in der Lage waren, die Omikron- und andere Virus-Varianten zu neutralisieren, also unschädlich zu machen. Sie verglichen diese Ergebnisse mit denen von Ungeimpften und Geimpften, von denen sich einige zuvor bereits mit einer anderen Variante des Coronavirus infiziert hatten.
Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, ordnet das Ergebnis auf Twitter so ein:
Das Immunsystem sollte mindestens dreimal mit dem Erreger in Kontakt kommen
Vieles ist also noch unklar. Zumindest eines scheint derzeit aber relativ sicher: Der Immunschutz hält besonders lange an, wenn Menschen eine sogenannte "Hybrid-Immunität" aufbauen, also geimpft und genesen sind. Darauf deuten die beiden weiter oben zitierten Studien aus Israel hin und das bestätigt auch der Immunologe Reinhold Förster.
Generell ist es wichtig, dass das Immunsystem mehrfach mit dem Erreger - oder Teilen davon (wie dem Spikeprotein bei der Impfung) - konfrontiert ist, sagt die Münchner Virologin Ulrike Protzer: Nach drei Kontakten baut sich eine solide Immunantwort auf. Zu diesem Ergebnis kommt sie in einer Studie, die sie zusammen mit anderen Wissenschaftlern kürzlich im Fachmagazin Nature veröffentlicht hat: Ob die Immunität dabei durch die Impfung oder eine natürliche Infektion hergestellt wird, sei dabei im Grunde egal.
Der Grund ist, dass das Immunsystem Zeit braucht, um eine wirklich gute Immunantwort auszubilden. Auch Antikörper würden mit der Zeit noch einmal "nachreifen", erklärt der Immunologe Förster gegenüber dem #Faktenfuchs, und besser darin werden, einen spezifischen Erreger zu binden.
Die Risiken einer Infektion nicht in Kauf nehmen
Sicher ist außerdem: Es ist nie ratsam, eine Infektion ungeimpft in Kauf zu nehmen. Denn die Risiken einer natürlichen Infektion überwiegen die der Impfung bei weitem, insbesondere bei älteren Menschen und Risikogruppen. Eine vollständige Impfserie inklusive Booster-Impfung schützt auch noch seit der Ausbreitung der Omikron-Variante sehr zuverlässig vor einem schweren Covid-19-Verlauf und den möglichen Spätfolgen einer Infektion (Post bzw. Long Covid).
Fazit: Auf Twitter behaupten User mit Bezug auf Studien aus Israel und den USA, eine durchgemachte Infektion schütze besser vor Omikron als die Impfung. Das ist ein Fehlschluss. Die Studien, auf die sie sich beziehen, sind veraltet. In der Vergangenheit hat - je nachdem, welche Variante gerade dominierte - mal die Impfung und mal eine durchgemachte Infektion einen besseren Immunschutz ausgebildet.
Seit der Ausbreitung der Omikron-Variante deuten erste Studien darauf hin, dass eine frühere Infektion mit der Deltavariante deutlich weniger gut vor einer Re-Infektion mit Omikron schützt. Vor einer Re-Infektion mit Delta schützte eine frühere Infektion mit der Deltavariante dagegen deutlich besser. Und auch eine einmalige Omikron-Infektion ohne zusätzliche Impfung kann - insbesondere wenn sie milde verläuft - in vielen Fällen offenbar keine robuste Immunantwort ausbilden.
Zudem geht eine natürliche Infektion - unabhängig davon, welchen Immunschutz sie auslöst - mit immensen Risiken einher, die die der Impfung überwiegen. Der sicherste und beste Weg sich vor einem schweren Verlauf zu schützen, bleibt daher eine vollständige Grundimmunisierung plus Booster-Impfung.
Disclaimer 11.02.2022, 13:20: Wir haben im Fazit die falsche Formulierung "Deltavirus" durch "Deltavariante" ersetzt und den Satz präzisiert.
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