Auf Twitter und in den BR24-Kommentaren macht sich Unverständnis breit: Seit Ende Oktober ist die Lage auf den deutschen Intensivstationen zunehmend angespannt. In Bayern steht die Krankenhausampel seit Dienstag sogar auf rot. Wie kann es sein, dass da noch schwerkranke Covid-19-Patienten aus dem Ausland zur Behandlung eingeflogen werden?
Manch einer vermutet dahinter sogar eine Agenda, um die Belegungszahlen künstlich in die Höhe zu treiben: "Warum holen wir so viele Coronakranke (sic!) Rumänen in unsere Krankenhäuser? Damit die voll werden? Um dann dem eigenen Volk solche Statistiken zu bieten?", schreibt eine BR24-Userin in einem Kommentar.
Ein anderer User antwortet auf einen Tweet von Christian Drosten. Der Direktor der Virologie an der Berliner Charité hatte dazu auffordert, die Impflücke zu schließen: "Gott ist da eine Menge Angst dabei. Ich kenne eine Krankenschwester und die Wahrheit. Derzeit werden aus Rumänien Menschen nach D verfrachtet und in die Intensivstationen gebracht. Sie arbeitet dort."
Doch was ist dran an dem Narrativ? Hat die Bundesregierung Corona-Patienten aus Rumänien eingeflogen? Wenn ja, auf welcher Grundlage? Und welchen Anteil machen solche Patientinnen und Patienten an der Belegung der Intensivstationen in Deutschland aus?
Insgesamt wurden 18 Menschen eingeflogen
Tatsächlich hat die deutsche Bundesregierung seit Anfang November insgesamt 18 an Covid-19 erkrankte Menschen aus Rumänien nach Deutschland eingeflogen, damit sie hier behandelt werden können. Die drei separaten Flüge wurden vom Robert Koch-Institut (RKI) organisiert und von der Bundeswehr ausgeführt. Das bestätigt dem #Faktenfuchs ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums (BMG). Auch verschiedene Medien haben darüber berichtet, etwa hier und hier.
Darüber hinaus kann es vorkommen, dass ausländische Patienten auf anderem Wege nach Deutschland kommen, um hier intensivmedizinisch behandelt zu werden: etwa durch Hilfsaktionen, die auf kommunaler oder auf Länderebene stattfinden, zum Beispiel im Rahmen von Städte- oder Krankenhauspartnerschaften. Auch, dass ausländische Patienten, die in Grenznähe wohnen, in ein deutsches Krankenhaus eingeliefert oder verlegt werden, ist möglich. Da diese Verlegungen nicht zentral organisiert werden, hat die Bundesregierung keinen abschließenden Überblick darüber, wie häufig das vorkommt.*
Hintergrund der Entscheidung ist, dass die Corona-Lage in Rumänien derzeit extrem angespannt ist. Täglich infizieren sich etwa 7.500 Menschen dort neu mit dem Virus, Anfang Oktober war dieser Wert sogar noch doppelt so hoch. Die Intensivstationen sind überfüllt. Experten führen das auch darauf zurück, dass nur ein Drittel der Rumänen geimpft ist. Entsprechend schwer sind viele Krankheitsverläufe.
Was die Lage zusätzlich verschlimmert: Rumänien leidet seit Jahren an einem "Brain Drain" im medizinischen Sektor. Viele ausgebildete Ärzte und Pflegekräfte wandern ins EU-Ausland ab - unter anderem nach Deutschland. Hierzulande machten Rumänen laut einer Statistik der Bundesärztekammer im Jahr 2020 mit 4.514 berufstätigen Medizinern die zweitgrößte Gruppe ausländischer Ärzte aus.
Schon Anfang Oktober hatte die rumänische Regierung aufgrund der angespannten Lage andere Länder gebeten, sie bei der Bewältigung der Pandemie zu unterstützen. Neben Deutschland erklärten sich auch Ungarn und Österreich bereit zu helfen und haben Patienten in kritischem Zustand übernommen. Polen, Italien und die Niederlande schickten Sauerstoffgeräte und Antikörperstoffe.
Die eingeflogenen Patienten belegen nur einen Bruchteil der Intensivbetten
Aktuell werden laut DIVI-Intensivregister 2.732 Covid-19 Patienten in Deutschland intensivmedizinisch behandelt (Stand: 10.11.2021). Der Anteil der aus Rumänien eingeflogenen Patientinnen und Patienten macht damit rund 0,7 Prozent aller Covid-19-Kranken auf deutschen Intensivstationen aus.
Dieser Anteil ist noch einmal deutlich kleiner, wenn man ihn auf die Gesamtzahl der derzeit verfügbaren Intensivbetten in Deutschland bezieht. Am 10. November 2021 gab es laut DIVI-Intensivregister insgesamt 22.169 verfügbare Intensivbetten für Erwachsene (ohne Notfallreserve). Davon waren am selben Tag 19.752 belegt. Die 18 Patienten belegen also 0,08 Prozent der insgesamt verfügbaren Betten.
Sechs der Patienten kamen nach Bayern
Die 18 Personen wurden auf die drei Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bayern aufgeteilt. Insgesamt sechs Patienten wurden in Bayern aufgenommen, teilt eine Sprecherin des Bayerisches Gesundheitsministeriums dem #Faktenfuchs auf Anfrage mit.
Am 10. November 2021 wurden laut DIVI-Register insgesamt 653 Personen in Bayern wegen einer Covid-19-Erkrankung intensivmedizinisch behandelt. Der Anteil der aus Rumänien eingeflogenen Patienten an der Gesamtzahl der Covid-19-Patienten auf Intensiv beläuft sich im Freistaat also auf weniger als ein Prozent. Bezogen auf die Gesamtzahl der 3.078 am 10. November verfügbaren Intensivbetten belegen die sechs Rumänen rund 0,2 Prozent.
Wie wird die Entscheidung getroffen?
Das Hilfsgesuch der rumänischen Regierung ging über das EU-Katastrophenschutzverfahren an alle EU-Staaten sowie sechs weitere Länder, die Teil des Abkommens sind, und über das Euro-Atlantische Koordinierungszentrum für Katastrophenhilfe der NATO (EADRCC) an alle Nato-Mitglieder und Partnerländer, die sich an diesem Programm beteiligen. Ziel beider Mechanismen ist es, im Katastrophenfall schnelle Hilfe zu vermitteln.
Ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums teilt auf #Faktenfuchs-Anfrage mit, die jeweilige Hilfeleistung erfolge freiwillig in Abhängigkeit von den Kapazitäten. Eine definierte Schwelle, ab der keine weiteren Patienten aufgenommen würden, gebe es nicht. Patientenverlegungen seien aber grundsätzlich nur sinnvoll, wenn dadurch keine neue Notlage verursacht würde.
Wie viele Menschen wurden seit Beginn der Pandemie eingeflogen?
Rumänien ist nicht das einzige Land, dem Deutschland in der Pandemie Hilfe bei der Versorgung schwerkranker Patienten angeboten hat. Laut einer Aufstellung des Verteidigungsministeriums wurden neben Erkrankten aus Rumänien auch Patienten aus Frankreich und Italien eingeflogen. Seit März 2020 kamen auf diese Weise insgesamt 42 Covid-19-Patienten zur Behandlung nach Deutschland.
Genaue Zahlen dazu, wie viele Menschen aus dem EU-Ausland seit Beginn der Pandemie in deutschen Krankenhäusern behandelt worden sind, gibt es wie oben bereits erklärt aber nicht, da diese Verlegungen oft dezentral organisiert werden. Einen Anhaltspunkt – zumindest für das Jahr 2020 – bieten Daten, die das Bundesgesundheitsministerium erhält, wenn deutsche Krankenkassen Leistungen mit Trägern aus dem Ausland verrechnen. Diese gehen aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD aus dem März 2021 hervor. Darin heißt es: "Nach Kenntnis der Bundesregierung sind im Jahr 2020 insgesamt 284 Patientinnen und Patienten aus Italien (44), Frankreich (138), den Niederlanden (72) und Belgien (30) aufgrund einer COVID-19-Erkrankung intensivmedizinisch in Deutschland behandelt worden."*
Fazit: Die Bundesregierung hat im Rahmen internationaler Katastrophenschutzabkommen seit Beginn der Pandemie mehrfach Covid-19-Patienten aus Frankreich, Italien und Rumänien aufgenommen. Mit acht Flügen wurden seit März 2020 insgesamt 42 Patienten zur Behandlung eingeflogen. Seit Anfang November wurden in drei Flügen 18 Patienten aus Rumänien zur Behandlung in deutsche Krankenhäusern gebracht, sechs davon werden derzeit in Bayern behandelt. Die 18 Intensivpatienten machen mit Stand 10. November 2021 rund 0,7 Prozent aller Covid-19-Fälle auf deutschen Intensivstationen aus. Auf die Gesamtzahl der verfügbaren Betten (ohne Notfallreserve) bezogen, beträgt der Anteil der aus Rumänien eingeflogenen Patienten 0,08 Prozent.
* Update 03.12.2021: Nach Veröffentlichung des Textes wies uns ein Leser darauf hin, dass es jenseits der von der Bundeswehr durchgeführten Hilfsaktionen für 42 Patienten weitere Übernahmen gab. Erneute Nachfragen bei den relevanten Ministerien haben ergeben, dass die Bundesregierung nicht von allen ausländischen Patienten weiß, die in deutsche Krankenhäuser verlegt werden. Wir haben den Text um diesen Aspekt und die verfügbaren Zahlen für 2020 ergänzt.
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