Per Mail kommt der Hinweis einer Faktenfuchs-Leserin: Was wir von der Seite ichbinanderermeinung.de hielten? Es stünden zwar "viele Virologen und Professoren dahinter, jedoch gibt es zum Beispiel kein Impressum". Sie fragt: "Auf was sollte ich achten, was ist glaubwürdig und was nicht?"
Es sind Fragen, die sich in Zeiten von Corona viele Nutzer stellen. Im Internet verbreiten sich Gerüchte, Falschmeldungen und Verschwörungsmythen rund um das Corona-Virus so schnell, dass die WHO von einer "Infodemie" spricht. Zu der Masse an diesen Inhalten zählt auch Ichbinanderermeinung.de, kurz IBAM, ein noch junges Projekt. Die Facebookseite existiert erst seit dem 9. April. Bisher sind die Verbreitungs- und Abrufzahlen mit etwa 3.800 Likes auf Facebook und durchschnittlich knapp 30.000 Views bei den Youtube-Videos (Stand 04.05.2020) noch eher gering.
Ein Phänomen, das häufiger auftaucht
Faktenchecker stehen in so einem Fall immer vor einer Abwägung: Sollen wir darüber schreiben und die Seite dadurch womöglich bekannter machen? In diesem Fall haben wir uns dafür entschieden. Denn ichbinanderermeinung.de steht für ein Phänomen, auf das wir in den vergangenen Tagen immer häufiger stoßen: In vielen Städten in Deutschland, online und offline, organisiert sich Protest gegen die Corona-Maßnahmen. Zuletzt gab es Demonstrationen in München, Ingolstadt, Stuttgart, Berlin. Online erfährt neben IBAM auch die "Partei"-Neugründung "Widerstand2020" viel Zuspruch - deren Mitgliederzahlen nach eigenen Angaben gerade explodieren.
Bei vielen Protesten finden sich Menschen, die der Meinung sind, dass die Einschränkungen zu weit gehen und grundlegende Freiheitsrechte bedroht sind. Aber darunter sind häufig auch Rechtspopulisten und Rechtsextreme, Verschwörungstheoretiker und Impfgegner. Und nicht immer tun die Organisatoren der Proteste genug, um sich von solchen Strömungen abzugrenzen.
Zwei Dinge fallen dabei auf: Immer wieder ist bei Demonstrationen die Parole "Wir sind das Volk" zu hören – ein zuletzt von Pegida und AfD besetzter Slogan. Und: Häufig richteten sich die Proteste auch gegen einen "Impfzwang" im Falle einer erfolgreichen Impfstoffentwicklung gegen SARS-CoV-2. Dahinter wird wahlweise die Pharmaindustrie oder Bill Gates als Drahtzieher und Profiteure vermutet.
Ichbinanderermeinung.de passt in das Muster: Auch hier mischt sich Unzufriedenheit mit den Corona-Ausgangsbeschränkungen mit Impfkritik, auch hier finden sich die Parole "Wir sind das Volk" und Anspielungen auf Bill Gates. Der #Faktenfuchs hat sich die Seite genauer angeschaut.
Wer steckt hinter Ichbinanderermeinung.de (IBAM)?
Schon unserer Leserin fiel auf: Die IBAM-Seite hatte zunächst kein Impressum (Stand: 24.04.20). Das Impressum ist "eine Art Visitenkarte", so formuliert es das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz. "Verbraucherinnen und Verbraucher sollen sich ein Bild über das Unternehmen oder die Person, die hinter der Internetseite steht, machen, sie kontaktieren und nötigenfalls auch rechtliche Ansprüche gegen sie durchsetzen können." Genau das war für die Nutzer der Seite mehrere Wochen lang nicht möglich. Denn auf der Webseite fand sich nur ein Name: Lothar Hirneise. Ihn konnte man zwar per Email kontaktieren, eine Anschrift aber fand sich zunächst nicht – obwohl die Impressumspflicht das vorsieht.
IBAM begründete das fehlende Impressum damit, dass die Seite "nicht von einer deutschen Firma betrieben wird", und verwies auf "Repressalien (…) bis hin zu Verhaftungen oder Einweisungen in die Psychiatrie", die zu erwarten seien, "wenn man seine Meinung äußert".
Inzwischen (Stand 04.05.2020) ist das anders, die Webseite gibt jetzt ein Impressum an: Als Betreiber der Webseite wird darin nun ein "IBAM e.V. in Gründung" mit Sitz in Kernen in Baden-Württemberg angeführt. Als 1. und 2. Vorsitzender werden Klaus Pertl und Lothar Hirneise genannt. Auf Nachfrage erklärt Sprecher Hirneise am Telefon, man habe sich nach ursprünglichen Bedenken nun doch zu einem Impressum entschlossen - "weil wir jetzt eine Bürgerbewegung sind".
Wer ist Lothar Hirneise?
In einer Stern-Reportage über alternative Krebsheiler wird Hirneise 2014 als "einer der Großen der radikal-alternativmedizinischen Szene" und als "Pharmaindustrie-Verschwörungstheoretiker" beschrieben. Hirneise ist nach eigener Aussage ausgebildeter Krankenpfleger und hat das "3E-Zentrum" für "alternative Krebstherapien" in Remshalden, Baden-Württemberg mitgegründet, in dem Krebs laut dem Stern mit einer Krebsdiät, verschiedenen Maßnahmen zur "Entgiftung" sowie "Energiearbeit" bekämpft werden soll.
Hirneise hat mehrfach Medien Interviews gegeben, die dem verschwörungstheoretischen Spektrum zuzurechnen sind, darunter dem Internetmagazin Rubikon, wo schon Verschwörungsmythen rund um 9/11 verbreitet wurden, und dem Sender KenFM. Was genau es mit Ken FM auf sich hat, haben die Faktenchecker von Correctiv hier ausführlich beschrieben.
Die Inhalte von Ichbinanderermeinung.de
Auch ein Blick auf die Inhalte der Webseite selbst und den Social-Media-Auftritt zeigt, dass hier mit fragwürdigen Methoden gearbeitet wird. Eine Debatte um die in Teilen immer noch wacklige Datenlage zu Corona und die Angemessenheit der weitreichenden Grundrechtseingriffe gibt es auch unter seriösen Wissenschaftlern und inzwischen in vielen Medien. Doch Verweise auf solche Debatten stehen hier neben Behauptungen, die teils irreführend, teils veraltet und teils schlicht falsch sind.
IBAM arbeitet oft mit Anspielungen und Fragen, die unbeantwortet bleiben. So heißt es in der Rubrik "Keine Zeit?" etwa: "Wird es zu einem Impfzwang kommen? Was glauben Sie? Wird Prof. Drosten auch 2020 eine Impfung gegen einen Virus empfehlen? Bekommt Prof. Drosten bzw. die Charite [sic] Zuwendungen von der Bill Gates Stiftung?" Oder: "Hier sehen Sie die Verläufe der letzten drei Influenzaerkrankungen in Deutschland. Sie unterscheiden sich NICHT zum bisherigen Verlauf von Covid-19."
Die Macher greifen damit Corona-Mythen auf, teils nur in Andeutungen, die bereits mehrfach von Faktencheckern untersucht wurden: etwa, dass das Coronavirus nicht gefährlicher sei als die Grippe, oder dass Bill Gates über seine Stiftung versuchen würde, an Krankheiten und Impfungen zu verdienen.
In aufklärerischer Manier auf vermeintlich Unbekanntes hinweisen
Auffällig ist zudem, dass in aufklärerischer Manier auf vermeintlich unbekannte Tatsachen hingewiesen wird, die in der Presse breit berichtet wurden: Einer von Hirneises Hauptvorwürfen gegenüber dem RKI, den er am Telefon wiederholt, lautet, dass die offiziellen Corona-Totenzahlen nicht "zuverlässig" seien. Das RKI unterscheide in der Statistik nicht, wer "mit" und wer "an" Corona verstorben sei. Deshalb würde die tatsächliche Anzahl der Toten überschätzt, auch die meisten Medien würden dies nicht richtig einordnen. Hirneise spricht am Telefon von "Panikmache", auf der Webseite wird eine verdeckte Agenda angedeutet: "Warum weigert sich das RKI, Corona Tote [sic] zu obduzieren?"
Richtig ist, dass in die Zählung der Todesfälle alle "mit" Corona Verstorbenen eingehen. Doch nicht nur das RKI selbst weist in seinem Corona-FAQ darauf hin – auch viele Medien, inklusive BR24, berichteten darüber. Ähnlich unspektakulär verhält es sich mit den Obduktionen: Das RKI hatte zunächst tatsächlich davon abgeraten – aus Sorge, dass auch die Leichen noch ansteckend sein könnten. Diese Empfehlung wurde allerdings schon frühzeitig angepasst, seither werden an vielen Orten in Deutschland Obduktionen durchgeführt, mit strengen Auflagen. Hirneise selbst beruft sich am Telefon auf die Erkenntnisse des Rechtsmediziners Püschel, der in Hamburg Corona-Tote obduzierte. Der Vorwurf, das RKI würde Obduktionen verweigern, ist dennoch bis heute auf der Webseite zu lesen (Stand 04.05.2020).
In vielen Ländern ist die Übersterblichkeit derzeit deutlich erhöht
Was außerdem unerwähnt bleibt: Es gibt mittlerweile viele Zahlen, die darauf hinweisen, dass in vielen Ländern derzeit mehr Menschen sterben als sonst. Die SZ hat diese sogenannte "Übersterblichkeit" hier sehr anschaulich nach Ländern aufbereitet. Interessant ist: Tatsächlich scheint es Ungenauigkeiten bei den Toten-Zahlen zu geben – allerdings in die entgegengesetzte Richtung. Weil viele Tote nie auf Corona getestet wurden, gehen sie gar nicht in die Corona-Totenzahlen ein. Die Übersterblichkeit ist daher vielerorts sogar noch höher, als die Corona-Toten-Zahlen vermuten lassen. Abschließend erklärt ist der Unterschied bisher allerdings nicht. Eine von der SZ befragte Epidemiologin geht davon aus, dass die unerkannten Corona-Toten den größten Teil der Übersterblichkeit ausmachten. Es sei aber möglich, dass Covid-19 auch indirekt dazu beigetragen haben, indem das Gesundheitssystem überlastet wurde.
Teilweise gibt IBAM auch schlicht Falschinformationen wieder: So heißt es zum Beispiel pauschal, ältere Menschen dürften nicht spazieren gehen und würden in ihren Zimmern eingesperrt. In den FAQs liest man gar, dass es generell verboten sei, allein im Park spazieren zu gehen oder Fahrrad zu fahren – Tätigkeiten, die zu keinem Zeitpunkt verboten waren, nicht einmal im tendenziell eher strengeren Bayern. Darauf angesprochen sagt Hirneise: "Da gebe ich Ihnen 100-prozentig recht. Das war keine journalistische Meisterleistung."
Noch ein anderer Punkt springt bei IBAM ins Auge: Die Seite will den Eindruck erwecken, für sehr viele Menschen zu sprechen. Von einer "Bürgerbewegung" ist die Rede und von "einem großen Team enthusiastischer Menschen".
Nur: Wer genau diesem "großen Team" angehört, ist kaum zu erkennen. Denn bisher finden sich nur zwei Namen: der von Lothar Hirneise und seinem langjährigen Freund und Kollegen Klaus Pertl. Hirneise selbst sagt am Telefon, das Team bestehe aus acht bis 12 Personen aus seinem engeren Bekanntenkreis. Zudem hätten seit dem ersten Mai-Wochenende insgesamt etwa 300 Personen einen Mitgliedsantrag gestellt und sich 220 Lokalgruppen in ganz Deutschland gegründet. Beides ist von außen kaum zu überprüfen. Tatsächlich weist das "IBAM-Netzwerk", ein mit der Seite assoziiertes Online-Forum, derzeit 217 aktive Mitglieder auf (Stand 04.05.2020), auch in einem zweiten Forum für Lokalgruppen finden sich zahlreiche Einträge - viele davon allerdings ohne Klarnamen und lückenhaft ausgefüllt. Ob und wie viele der Mitglieder tatsächlich auch einmal "offline" aktiv werden, ist derzeit kaum abzusehen.
Stockfotos und Photoshop: die Bildsprache
Nicht nur viele Texte auf der Webseite, auch einige der Bilder auf der IBAM-Seite sind irreführend. So zeigt ein Bild auf der Startseite eine Gruppe von Demonstranten, mit IBAM-Plakaten in der Hand (siehe oben).
Auf Facebook wird zudem Kampagnen-Material bereitgestellt: Darauf zu sehen sind verschiedene Menschen, die mit dem Daumen nach unten zeigen – offenbar um zu signalisieren: "Ich bin anderer Meinung". Es wirkt wie eine klassische Unterstützer-Kampagne, bei der diese sich in einer Pose oder mit einem Spruch abbilden lassen, der eine Kern-Aussage der Bewegung aufgreift.
Nicht so in diesem Fall: Es handelt sich bei vielen der Bilder um Stockfotos, also von Fotoagenturen bereitgestellte Symbolbilder – was sich durch Bilderrückwärtssuchen leicht herausfinden lässt. Im Fall des Demonstrationsfotos wurden die IBAM-Logos nachträglich eingefügt, das Original findet sich hier. Der junge Mann auf lila Hintergrund etwa findet sich hier. Für den geübten Nutzer ist das leicht zu erkennen, auch muss dahinter kein böser Wille stecken. Dennoch sollte die Verwendung von Stockfotos transparent gemacht werden. Weniger versierte Internetnutzer könnten sonst den Eindruck gewinnen, all diese Personen unterstützten IBAM.
Fazit
Die Seite ichbinanderermeinung.de ist als Desinformation einzustufen. Dafür sprechen verschiedene Indizien: So hatte die Seite mehrere Wochen lang kein Impressum. Nach einer grundlegenden Überarbeitung der Webseite finden sich dort nun die Namen von zwei Verantwortlichen, weitere Mitglieder des Teams werden nicht namentlich genannt. IBAM-Sprecher Lothar Hirneise gab bereits verschwörungstheoretischen Medien wie KenFM und Rubikon Interviews.
Viele der Text-Beiträge greifen bekannte Corona-Mythen auf. Andere Informationen wie die Aussage, dass RKI "verweigere" Obduktionen sind veraltet und bleiben über einen längeren Zeitraum unkorrigiert. Manche Aussagen, wie die Behauptung, man dürfe in Deutschland nicht alleine spazieren gehen, sind falsch. Auch die Verwendung von Stockfotos, die teilweise bearbeitet worden sind, für Kampagnenmaterialien ist problematisch. Bei älteren oder ungeübten Internetnutzern könnte so der Eindruck entstehen, all diese Personen seien tatsächlich Unterstützer der Bewegung.
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