Impression von der sog. Lockdown-Großdemo, für die der Veranstalter, die Querdenker-Bewegung (Querdenken 711) aus Stuttgart 500.000 Menschen angemeldet hat. Gekommen sind jedoch deutlich weniger.
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Impression von Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am 1. August in Berlin.

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#Faktenfuchs: Wie viele Leute waren auf Corona-Demo in Berlin?

#Faktenfuchs: Wie viele Leute waren auf Corona-Demo in Berlin?

Tausende demonstrierten am ersten August in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen. Über die genaue Anzahl der Teilnehmenden ist eine Debatte entbrannt: Waren es einige Zehntausend, oder weit mehr, wie die Veranstalter behaupten? Ein #Faktenfuchs

Sie sind nicht einverstanden mit der aktuellen Corona-Politik von Bund und Ländern. Am ersten Augustsamstag gingen sie auf die Straße. Unter ihnen Impfgegner, Reichsbürger, Verschwörungsideologen. Waren es nun, wie die Polizei behauptet, einige wenige Zehntausend, die sich dem Protest anschlossen, oder waren es, wie im Netz spekuliert wird, bis zu 1.3 Millionen Menschen? Die Debatte über die Anzahl an Teilnehmenden schlägt sich auch in zahlreichen Mails an die BR24-Redaktion oder in den Kommentaren auf der BR24-Homepage und den Social-Media-Timelines nieder.

Polizei Berlin: Zwischen 17.000 und 20.000 Personen

Die Polizei zählte ihren eigenen Angaben zufolge zunächst 17.000 Menschen auf der "Versammlung der Freiheit" in einem Zug durch die Stadt (ab 12.00 Uhr mittags). Die anschließende Kundgebung mit dem Titel "Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit" auf der Straße des 17. Juni besuchten - ebenfalls laut Zählung der Polizei - etwa 20.000 Menschen (15.30 Uhr). Kurz danach löste die Polizei die Versammlung auf. Die Teilnehmenden hätten "das geltende Hygienekonzept und die Auflage zum Tragen des Mund-Nase-Schutzes" in überwiegender Mehrzahl missachtet. (Quelle: Meldung der Polizei Berlin No. 1805)

Schon während der Kundgebung kursierte, im Unterschied zu den offiziellen Angaben der Polizei, die Zahl von 1,3 Millionen TeilnehmerInnen. Im Netz verbreitet sich die Zahl rasant weiter - auch noch Tage nach Ende der Kundgebung. Der Faktenfinder der Tagesschau beobachtete ebenfalls massenhafte Postings mit dieser Zahl und stufte sie als "Fake News" ein.

In einer Mail an die BR24-Redaktion heißt es: "Anhand der Luftaufnahmen der Demo wurden die Teilnehmerzahlen von Veranstalter und Polizei allerdings auf etwa 1,3 Millionen geschätzt und nicht '500.000 Menschen oder weniger'." Ursprünglich hatten die aus Stuttgart kommenden Veranstalter eine Kundgebung mit 500.000 Personen angemeldet.

Luftaufnahmen der Kundgebungen wurden laut der Polizei Berlin allerdings nicht veröffentlicht - und sie bleibt auch auf BR24-Nachfrage bei ihrer Zählung von 20.000 DemonstrantInnen. Die Polizei bestätigte auch nicht die Zahl von 800.000 Teilnehmenden, die ebenfalls kolportiert wurde.

Der #Faktenfuchs hat nun mit eigenen Mitteln versucht, die Zahl der TeilnehmerInnen auf der Kundgebung soweit möglich nachzurechnen und mit den offiziellen Angaben, sowie den Berichten von JournalistInnen vor Ort abzugleichen. Dazu beziehen wir uns auf ein häufig geteiltes und in vielen Medien wiedergegebenes Bild der Kundgebung. Es zeigt die Straße des 17. Juni in Berlin. Aufgenommen ist das Bild gegen Anfang der Kundgebung (15.30 Uhr). Es scheint von der Aussichtsplattform der Siegessäule aufgenommen worden zu sein. Ungefähr auf halber Strecke zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor erkennt man die Bühne der Veranstalter.

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Markierungen der "Durchbrüche" auf der Straße des 17. Juni. Sie markieren grob Anfang und Ende der Kundgebung

Um grobe Aussagen über die Teilnehmendenzahl treffen zu können, müssen wir das Bild entsprechend analysieren. So viel vorweg: Wir sind in unserer Schätzung auf rund 22.500 Personen gekommen. Dafür haben wir folgende Schritte unternommen:

Zuerst müssen wir die Fläche berechnen, auf der sich die Menschen versammelt haben. Dafür markieren wir in dem Bild zwei Übergänge in dem Streifen, der die Fahrspuren auf der Straße des 17. Juni trennt. Ein Durchbruch, nahe der Siegessäule, befindet sich auf Höhe der Kastanienallee. Der zweite Durchbruch, in Richtung Brandenburger Tor, befindet sich in der Nähe des Denkmals für die Opfer der Mauer und der Einmündung der Yitzhak-Rabin-Straße auf die Straße des 17. Juni. Zwischen diesen beiden "Landmarks" befand sich die Mehrzahl der Teilnehmenden der Kundgebung. Zu den Personen in direkter Nähe des Brandenburger Tors kommen wir weiter unten im Text.

Fläche: Berechnung mit Hilfe von Open-Source-Tool

Zunächst gilt es die Fläche zu berechnen, auf denen sich die Personen befanden. Dazu verwenden wir ein offen zugängliches Internet-Tool, das für journalistische Recherchen benutzt wird. Es heißt mapchecking. Zeichnet man die Fläche anhand der beiden markierten Durchbrüche ein, ergibt sich eine Fläche von zirka 16.000 Quadratmetern. Diese Zahl ist eine Annäherung.

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Markierte Fläche entspricht dem Gebiet, auf dem am Samstag die Kundgebung stattfand

Entscheidend ist nun die Personendichte auf der Kundgebung, also die Frage: Wie viele Personen stehen pro Quadratmeter beisammen? Auch hier können wir nur grob schätzen, da keine Luftaufnahmen vorliegen, die es ermöglichten, ein Raster über die Menschenmenge zu legen, die einzelnen Personen in den Quadraten nachzuzählen und daraus eine durchschnittliche Dichte zu berechnen. Entsprechend nähern wir uns über Aufnahmen aus der Menge an eine Schätzung an.

Im Netz werden vor allem Bilder von den WM-Feierlichkeiten 2016 und der Loveparade 2001 mit jenen vom Wochenende verglichen. Bei beiden Begebenheiten waren die Straße des 17. Juni und der Platz um das Brandenburger Tor von extrem dicht aneinander stehenden Feiernden bevölkert worden.

Personen pro Quadratmeter

Bei Großveranstaltungen sind zwei Personen pro Quadratmeter zugelassen. Örtliche Verdichtungen beispielsweise in der Nähe der Bühne sind dabei nicht ausgeschlossen. Die Dichte (zwei Personen pro Quadratmeter) ist behördlich in der "Versammlungsstättenverordnung – VStättV" festgeschrieben. (Quelle) Dabei gelten in Bayern wie auch in Berlin die gleichen Vorgaben. (Quelle)

Um eine Vorstellung zu bekommen, wie eng Personen stehen konnten (vor Corona): im Öffentlichen Nahverkehr rechnen Betriebe wie die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) damit, dass maximal vier Personen pro Quadratmeter stehen können. Sei diese Dichte erreicht, so ein MVG-Sprecher, passe "niemand mehr in den Bus oder die Bahn".

Bei bestuhlten Veranstaltungen schreiben die Verordnungen eine Dichte von einer Person pro Quadratmeter vor. Zwar war die Veranstaltung am Samstag nicht bestuhlt, doch es saßen zahlreiche Demonstrierenden auf der Straße. Sitzende Personen benötigen mehr Fläche als stehende.

Bilder und Videos des Tages zeigen, dass die Demonstrierenden zwar nicht immer den vom Robert-Koch-Institut empfohlenen Mindestabstand von 1.5 Metern einhalten, zugleich stehen sie nicht derart dicht an dicht, wie es von Großveranstaltungen aus Zeiten vor der Corona-Pandemie bekannt ist.

Aus den Bildern und Videos des Tages ergibt sich eine von uns geschätzte durchschnittliche Dichte von 0,8 bis 2 Personen (mit signifikanten Lücken am Ende der Kundgebung).

Umgerechnet auf die Fläche von rund 16.000 Quadratmetern ergibt sich daraus die Anzahl an TeilnehmerInnen von schätzungsweise 22.500 Personen (Mittelwert aus: 0.8 Personen pro Quadratmeter = 13.039 Personen und 2.0 Personen pro Quadratmeter = 32.599 Personen).

Diese Zahl ist eine grobe und großzügige Annäherung an die Anzahl der Teilnehmenden zum Zeitpunkt, als das Foto der Menge aufgenommen wurde. (Quelle)

Die maximal mögliche Dichte stehender Menschen beziffert die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes - ein Verein, der sich im Bereich des Brand- und Katastrophenschutzes für Forschung und technischer Weiterentwicklung einsetzt - auf 6.6 Personen pro Quadratmeter oder 0.15 Quadratmeter pro Person.

Selbst bei einer extrem dichten Belegung (6.6 Personen/ qm) der Fläche, auf der am Samstag die Kundgebung stattfand, hätten nicht annähernd die von den Veranstaltern propagierten Zahlen an Personen Platz gefunden.

Personengruppen am Brandenburger Tor

Es ist unklar, ob die Personen, die in der Aufnahme in der Nähe des Brandenburger Tors zu sehen sind, Teil der Demonstrierenden waren, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gingen. Die Polizei Berlin konnte dazu BR24 gegenüber keine eindeutigen Angaben machen - auch nicht, ob es sich möglicherweise um eine Gegendemonstration handelte. An diesem Tag sei für 16 Uhr eine Kundgebung zur Gleichberechtigung von Menschen mit Behinderung angemeldet worden, so eine Sprecherin der Polizei Berlin.

Bildrechte: google maps/ mapchecking und dpa/ Christoph Söder | Grafik: BR
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In Foto markierte Fläche entspricht den Personengruppen am Brandenburger Tor

Auf dem Bild erscheint die Personengruppe ähnlich dicht zu stehen wie die der Demonstrierenden auf der Straße des 17. Juni. Fotos oder Videos, die die Dichte der Menschengruppe nahelegen könnten, finden sich in den uns zugänglichen Bilddatenbanken nicht. Selbst wenn man eine vergleichbare Dichte wie bei den Personen auf der Straße des 17. Juni annimmt (zwischen 0.8 und 2.0 Personen pro Quadratmeter), befanden sich in der Nähe des Brandenburger Tors zur Zeit der Aufnahme zwischen 6.000 und 16.000 Personen. Es ist jedoch anzunehmen, dass die Dichte in diesem Bereich deutlich unterhalb der angesetzten 0.8 bis 2.0 Personen pro Quadratmeter liegt.

Selbst wenn diese Personen noch zur Kundgebung der Corona-Kritiker gestoßen sein sollten, ergibt das keine Zahl an Teilnehmenden von 800.000 oder 1.3 Millionen, wie derzeit spekuliert wird.

Fazit:

Aktuell gibt es eine Debatte um die Anzahl an Teilnehmenden bei der Kundgebung "Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit" am Samstag, 01. August. Die Polizei spricht von 20.000 Personen. Veranstalter und Anhänger der Bewegung hingegen sprechen entweder von 1.3 Millionen, in anderen Versionen von rund 800.000 Teilnehmenden die Rede.

Mit Hilfe des Recherche-Tools "mapchecking" kommen wir auf eine Zahl, die im Bereich der 20.000 Personen liegt. Die Varianzen ergeben sich aus den Schätzungen, die wir der Berechnung zugrundelegen.

Bei den bisherigen Großveranstaltungen auf der Straße des 17. Juni waren im Vergleich zu der Kundgebung am Samstag nicht nur die Straße des 17. Juni, sondern auch der angrenzende Tiergarten, sowie die Straßen um den Friedensengel eng gefüllt. Am Samstag war das nicht der Fall. Die Kundgebung füllte nur einen Teil der Straße des 17. Juni. Umliegende Parks und Straßen waren nicht in vergleichbarem Ausmaß wie bei WM- Feierlichkeiten oder der Loveparade gefüllt.

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