Eine heikle Frage, die im Zusammenhang mit einer Organspende Unbehagen auslösen kann: Wann ist jemand tot? Wenn die Politik sich mit Organspende befasst, flammen bei vielen Menschen Sorgen um Schmerz und Sterben auf.
Wie kürzlich auch in einer Debatte auf der Facebook-Seite von BR24 - nach einem Beitrag zu einem neuen Gesetz, das die Bedingungen für Organspenden in Krankenhäusern verbessern soll. In den Kommentaren tauchten viele Fragen und Behauptungen auf. Einige davon prüft dieser #Faktenfuchs.
- Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2019. Alle aktuellen #Faktenfuchs-Artikel finden Sie hier
Organspende sei eine Qual für den Spender, schrieb etwa eine Nutzerin. Der Hirntod sei wenig erforscht. Eine andere wies darauf hin, dass Organspender sich noch bewegen könnten.
Diesen beiden Fragen gehen wir nach.
Ist Organspende eine Qual für den Spender?
Eine aufwändige Prüfung durch Ärzte soll ausschließen, dass ein Patient noch Schmerz empfindet. Das ist Teil der Untersuchung, ob ein Patient noch lebt oder nicht. Das beantworten Mediziner, indem sie den Hirntod prüfen und den Tod feststellen.
Dieses Kriterium zählt für sie, wie Stefanie Förderreuther vom Neurologischen Konsiliardienst der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität in einem Gespräch mit Bayern2 erklärte. "Man möchte damit vermeiden, dass der Eindruck entsteht, es gebe verschiedene Arten von Tod: Herztod, Hirntod, Erstickungstod... Ich meine: Es gibt nur einen Tod. Der beschreibende Begriff des 'Irreversiblen Ausfalls der Hirnfunktionen' bedeutet, dass das Hirn nicht mehr arbeitet und sich auch nicht mehr erholt."
Das heißt: Die Gesamtfunktion des Gehirns kommt dauerhaft zum Erliegen – also die von Großhirn, Kleinhirn, Zwischenhirn und Hirnstamm, dem entwicklungsgeschichtlich ältesten Teils unseres Hirns. Dort sitzen viele Regulationszentren, wie das Atemzentrum oder die Schaltstelle zur Regulation der Körpertemperatur. Diese elementaren Funktionen erlöschen mit dem irreversiblen Gehirnfunktionsausfall dauerhaft – der Mensch kann sich davon nicht mehr erholen.
Neurologische Tests prüfen den Zustand des Gehirns
Genau über erhaltene Restfunktionen wie zum Beispiel Atemantrieb oder Hustenreflex müssen Ärzte wie Förderreuther, die ausgewiesene Expertin für Hirntoddiagnostik ist, bei der neurologischen Untersuchung des Patienten urteilen. Immer wieder werden die Gehirnfunktionen der Patienten überprüft, denn nur so kann man sagen, inwieweit sich der Zustand eines Patienten bessert oder verschlechtert.
Im Rahmen der neurologischen Untersuchung werden unter anderem verschiedene Reflexe der sogenannten Hirnnerven, die zum Beispiel für die Pupillen zuständig sind, geprüft. Die Pupillen ziehen sich im Normalfall zusammen, wenn man mit einer hellen Lampe in die Augen der Patienten leuchtet. Funktioniert dieser Pupillenreflex nicht mehr, ist das einer von vielen Hinweisen, dass der Druck im Schädelinneren kritisch erhöht ist und sich ein Ausfall der Hirnfunktionen entwickeln könnte.
"Patienten, bei denen die Hirnnervenreflexe nicht mehr funktionieren, haben mittelweite bis sehr weite, lichtstarre Pupillen", erklärte Förderreuther. Die Beleuchtung mit starken Lichtquellen führe nicht mehr dazu, dass sich die Pupille zusammenzieht. Die Patienten blinzelten auch nicht mehr, wenn man die Hornhaut des Auges berührt. Die Ärzte testeten auch reflektorische Augenbewegungen. "Die Augenmuskeln sind nämlich mit unserem Gleichgewichtszentrum verschaltet und zeigen normalerweise bestimmte Bewegungen, wenn der Kopf bewegt wird", sagte die Medizinerin. "Wir prüfen, ob die Patienten auf einen Schmerzreiz reagieren, ob der Würgereflex und der Hustenreflex vorhanden sind. Und dann testen wir letztlich auch, ob der Atemantrieb erloschen ist."
Gibt es Faktoren, die einen Hirntod vortäuschen?
Die Diagnose "Hirntod" ist damit allerdings noch lange nicht gestellt. Zunächst einmal müssen die Voraussetzungen stimmen. Das heißt, Förderreuther muss für ihre Beurteilung wissen: Gibt es irgendwelche Einflussfaktoren, die den neurologischen Untersuchungsbefund verschleiern und die Symptome eines Hirntodes vortäuschen könnten? Das kann etwa durch Medikamente passieren, die der Patient zur Behandlung des Hirndrucks bekommen hat, oder durch Besonderheiten im Stoffwechsel des Patienten, wie ein stark erhöhter Blutzucker.
Zur Sicherheit gibt es eine zweite Untersuchung
Außerdem muss für die Diagnose "Hirntod" stets ein zweiter Arzt prüfen, ob die Voraussetzungen für eine sichere Beurteilung der Hirnfunktionen erfüllt sind, den Patienten untersuchen und unabhängig zum selben Ergebnis kommen.
Beide Ärzte dürfen nichts mit einer möglichen, späteren Organspende zu tun haben. Sie müssen eine jahrelange Berufserfahrung auf der Intensivstation mitbringen und speziell ausgebildet sein. Einer der beiden Untersucher muss Facharzt für Neurologie, oder Neurochirurgie sein, bei Kindern wird ein Pädiater oder Neuropädiater gefordert.
Technische Geräte nur im Ausnahmefall
Für die Diagnose "irreversibler Hirnfunktionsausfall" reicht in der Regel die klinische Untersuchung am Patientenbett aus. In manchen Fällen kommen aber auch technische Geräte zum Einsatz, um die Diagnose zu festigen – zum Beispiel, wenn bei dem ursprünglichen Unfall oder Auslöser vor allem der Hirnstamm geschädigt wurde. Dann müssen die Ärzte den Ausfall des Großhirns mit Hilfe von Apparaten nachweisen: Es kann ein Elektro-Enzephalogramm (EEG) abgeleitet werden, das bei einem Lebenden die Hirnströme darstellt, bei einem Toten aber keine Kurven mehr zeigt. Oder es kann eine Durchblutungsuntersuchung des Gehirns durchgeführt werden – im Fall eines Hirntods würde keine Durchblutung mehr nachgewiesen.
Nachweis der Irreversibilität
Aber auch nach der klinischen Untersuchung und Bewertung ist die Diagnose noch nicht gestellt. Im letzten Schritt muss schließlich der Nachweis erbracht werden, dass die klinischen Symptome des Ausfalls der Hirnfunktionen irreversibel, also dauerhaft sind. Beim Nachweis der Irreversibilität müssen die Untersucher das Alter des Patienten und den Ort der Schädigung im Gehirn berücksichtigen.
"Für die abschließende Diagnose ist entscheidend, nachzuweisen, dass sich der Patient nicht mehr erholen kann", sagt Förderreuther. "Dazu gibt es wiederum spezifische Vorgaben, wie zu verfahren ist. Die richten sich danach, welches Alter der Patient hat und welche Art der Hirnschädigung vorliegt."
Für die Diagnose "irreversibler Hirnfunktionsausfall" reicht es in der Regel, wenn beide Ärzte den Patienten klinisch untersuchen und bei einer zweiten zeitlich versetzten Untersuchung wiederum keine Hirnfunktionen mehr nachweisen können. Die zweite Untersuchung erfolgt je nach Art der Hirnschädigung zwölf bis 72 Stunden nach der ersten - auch sie muss unabhängig von zwei Spezialisten durchgeführt werden. Alternativ kann auch in Ergänzung der klinischen Untersuchung zur Verkürzung der 12- bis 72 stündigen Beobachtungszeit zusätzlich ein apparatives Verfahren angewendet werden.
Kein Fall bekannt, in dem sich ein Hirntoter erholt hätte
Sollten irgendwelche Zweifel bestehen oder sich die beiden Spezialisten bei ihrer Beurteilung gar uneins sein, dann ist der Tod nicht festgestellt, und der Patient wird weiter behandelt.
Bisher ist kein einziger Fall bekannt, in dem ein nach den vorgeschriebenen Richtlinien als hirntot diagnostizierter Patient sich auch nur teilweise wieder erholt hätte. Der Hirntod-Nachweis ist ebenso sicher wie offensichtliche Todeszeichen, die mancher aus dem "Tatort" kennt, etwa Totenflecken oder die Leichenstarre.
Der US-Neurologe Alan Shewmon sammelte Fälle von Patienten, bei denen der Hirntod festgestellt worden war. Die Angehörigen der Patienten hatten nach dem Hirntod darauf bestanden, die Pflege der Toten zu Hause fortzusetzen und sie dort intensivmedizinisch weiter zu betreuen, teils über Monate oder Jahre. Keiner dieser Patienten hat sich je wieder erholt.
In Einzelfällen erfolgte später eine Obduktion. Sie zeigte, dass im Schädelinneren keine Nervenzellen mehr zu finden waren, sondern nur noch verkalktes Bindegewebe – also nichts, was annähernd noch einem Gehirn glich. Es hatte sich komplett zersetzt, obwohl der restliche Körper gleichzeitig künstlich weiter funktionierte.
Können Organspender sich nach dem Hirntod noch bewegen?
Nein, die Patienten sind tot und können sich nicht willentlich bewegen. Aber der Körper kann noch Reflexe zeigen.
Solange die Intensivbehandlung erfolgt und die Ärzte Kreislauf und Atmung künstlich aufrecht erhalten, sieht ein hirntoter Mensch so aus, als würde er noch leben: Sein Brustkorb hebt und senkt sich aufgrund der künstlichen Beatmung, die Haut ist rosig und warm, die Nieren scheiden noch Urin aus, und selbst Wunden können noch heilen. Darüber hinaus kann der Körper bei erhaltener Funktion des Rückenmarks mit Reflexen reagieren – obwohl die Gehirnfunktionen erloschen sind.
"Die Tätigkeit von Rückenmark und peripheren Nerven kann erhalten sein, weil die Schädigung ja das Gehirn betroffen hat", erklärte Förderreuther. "Es können reflexartige Bewegungen auftreten, die natürlich verunsichern und jemanden, der mit der Materie nicht vertraut ist, zweifeln lassen."
Das seltene Lazarus-Phänomen ist der Medizinerin zufolge einer dieser Reflexe. Der Name beschreibe eine komplexe Bewegung, bei der der Patient auf einen Schmerzreiz am Brustbein mit einer Beugebewegung der Arme reagiert, sodass der Eindruck entsteht, er wolle die Hand des Untersuchers wegschieben. Gleichzeitig drehe sich der Kopf ein wenig zur Seite. "Es vermittelt leider immer wieder den Eindruck einer gerichteten Reaktion – wie bei einem lebenden Menschen", sagte Förderreuther. "Dabei geht der Reflex gesichert vom Rückenmark aus. Die untersuchenden Ärzte müssen deswegen auch die Fachkompetenz haben zu differenzieren: Was ist Hirntätigkeit und was nicht."
Komplexe Bewegungsmuster, die allein vom Rückenmark ausgehen, sind schon lange bekannt. Erste Beschreibungen dazu findet man in Berichten über Menschen, die enthauptet oder erhängt wurden. Da das Rückenmark weitgehend unter der Kontrolle des Gehirns steht, können sich bestimmte Reflexe besonders dann zeigen, wenn die Gehirnfunktionen erloschen sind.
Die Angehörigen können bei der Diagnose dabei sein
Um leichter Abschied nehmen und die Diagnose "Hirntod" besser begreifen zu können, bietet Förderreuther den Angehörigen an, bei der Untersuchung dabei zu sein. Auch die verschiedenen peripheren Reflexe, die der Patient möglicherweise noch zeigt, kann sie dann erklären.
Fazit
Patienten, die von den prüfenden Ärzten fehlerfrei als hirntot eingestuft werden, empfinden keinen Schmerz. Es gibt keinen Fall eines festgestellten Hirntods, in dem sich der Patient wieder erholt hätte.