Kältezentrale unter dem Karlsplatz / Stachus in München
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Kältezentrale unter dem Karlsplatz / Stachus in München

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Fernkälte: Wie München mit Bach- und Grundwasser gekühlt wird

Der Klimawandel ist auch in Städten zu spüren. Deshalb betreiben die Stadtwerke München in der Innenstadt ein Fernkältenetz. Es sorgt für kühle Luft in Gebäuden und nutzt dazu natürliche Kältequellen wie unterirdische Stadtbäche und Grundwasser.

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Fernkälte funktioniert ähnlich wie Fernwärme: Wasser wird in einem Wasserkreislauf hin und her transportiert. Auf dem Hinweg wird es in einer Kältezentrale abgekühlt und per Rohrleitung an Verbraucher geliefert. Auf dem Rückweg wird Abwärme in parallel verlaufenden Leitungen vom Verbraucher zur Kältezentrale transportiert, abgekühlt und wieder ausgeliefert. Seit 2011 haben die Stadtwerke München im Großraum München mehr als 24 Kilometer Fernkälteleitung verlegt.

Kältezentrale unterm Stachus

Das kalte Herz der Stadt schlägt unter dem Karlsplatz, meist Stachus genannt - nach einem legendären verschwundenen Wirtshaus. Tief in der Erde liegt die erste Kältezentrale des Innenstadtnetzes mit einer Kälteerzeugungsleistung von zwölf Megawatt. In der Zentrale gibt es zudem neun Herzschrittmacher: große Eisspeicher, die bei Bedarf zugeschaltet werden können. Bislang wurden 15 Kilometer Rohrleitungen wie Blutgefäße vom Hauptbahnhofplatz zum Stachus, Marienplatz, Odeonsplatz und Ottostraße verlegt, um Gebäude in der Innenstadt zu kühlen. Angezapft wird dafür eine Ader in vier Metern Tiefe: der unterirdisch fließende Westliche Stadtgrabenbach.

München war früher ein Klein-Venedig

Bis zum Jahr 1900 war die Innenstadt Münchens durchzogen von einem Netz aus Flüssen. Sie wurden im Mittelalter aus der Isar abgezweigt, um die Stadtbewohner mit Wasser zu versorgen. Fast alle Bäche wurden inzwischen trocken gelegt - bis auf den Westlichen Stadtgrabenbach, der einst an der westlichen Stadtmauer von München entlang floss. Seit Jahren wird in München diskutiert, ob ein Teil der zugeschütteten Flüsse wiederbelebt werden soll, um das Stadtklima positiv zu beeinflussen.

Vorteil von Fernkälteanlagen

Klimaanlagen in der Stadt sind keine Option, weil sie viel Strom fressen und die Außenluft aufheizen. Damit verschärfen sie das Hitze-Problem in Städten. Eine zentrale Kühlanlage in der Innenstadt hat den Vorteil, dass nicht jedes Haus ein eigenes Kühlsystem anschaffen muss. Das spart Strom und Platz. Momentan versorgen die Stadtwerke knapp 30 Einzelhandels-, Wohn- und Bürohäuser mit Kälte. Seit 2018 gibt es zwei weitere Kältezentralen in München, in der Herzogspitalstraße und am Odeonsplatz. Das Innenstadtnetz wird derzeit ins Tal erweitert.

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Innenstadt-Fernkältenetz der Münchner Stadtwerke

Risiko Fernkälteanlagen?

Mit Fernkälteanlagen lässt sich zwar klimaverträglich Energie gewinnen, sie bergen aber auch Risiken. Und zwar für das Ökosystem Bach. Ein Beispiel: Das Wasser des Westlichen Stadtgrabenbachs ist etwa zwölf Grad kalt. Kommt es vom Verbraucher über den Fernkälte-Wasserkreislauf zurück, hat es sich um rund sechs Grad erwärmt. Die Wärme wird in den Stadtbach geleitet. Wie reagieren Fische und andere Wasserorganismen auf die Erwärmung? Es ist bereits bekannt, dass Fische nicht mehr laichen, wenn sich Wasser auf 21 Grad erwärmt hat. Bei Wassertests wurden in Münchner Stadtbächen an manchen Tagen aber schon Temperaturen von 26 Grad gemessen. Ein Problem? Insgesamt zeigen Messungen derzeit keine Erhöhung der Wassertemperatur des Bachs. Ausschlaggebend für die Wassertemperatur scheint die Temperatur der Luft zu sein. Nutzen aber in Zukunft einmal mehr Menschen das Fernkältenetz in München, könnte das Auswirkungen auf das Ökosystem Bach haben.

"Wenn sehr viele Leute den Stadtbach nutzen würden, um Gebäude zu kühlen, dann könnte es hier zu einer signifikanten Temperaturerhöhung des Stadtbaches kommen." Dr. Kai Zosseder, Hydrogeologie, Technische Universität München (TUM)

Bachwasser alleine reicht nicht zur Kühlung

Wenn sich München weiter aufheizt, wird Bachwasser alleine nicht reichen, um die Stadt klimaneutral zu kühlen. Deshalb zapfen die Stadtwerke München eine weitere Kältequelle an: das Grundwasser. In der Innenstadt fließt es nicht so üppig, ansonsten steht München aber überdurchschnittlich viel davon zur Verfügung. Mit zehn bis zwanzig Metern pro Tag fließt es relativ schnell von Süden nach Norden und ist normalerweise etwa elf Grad kühl. Normalerweise heißt, dass es Hitzeinseln in der Stadt gibt, an denen das Grundwasser bis zu zwanzig Grad warm sein kann.

Stadtwerke München nutzen auch Grundwasser für Fernkälte

Im Norden von München gibt es viel Grundwasser. Hier nutzen die Stadtwerke an manchen Stellen sogenannte Dükeranlagen, das sind Grundwasserbrunnen und Rohrleitungen, die unter Verkehrswegen hindurchgeleitet werden. In München sind solche Anlagen dort zu finden, wo U-Bahnen im Grundwasser liegen. Die Anlagen pumpen Wasser aus dem Düker ab und leiten es zu Wärmetauschern. Auf dem Rückweg wird das erwärmte Wasser auf der Rückseite des Dükers wieder eingespeist. Das Grundwasser fließt dann etwa sechs Grad wärmer durch Rohre zurück in den Untergrund.

Risiko Grundwassernutzung?

Wie bei den Stadtbächen stellt sich auch beim Grundwasser die Frage, welche Folgen eine Erwärmung des Wassers hat. Die Stadtwerke weisen darauf hin, dass die Nutzung von Fernkälte "ein geschlossenes System" ist und "es keinen Wasseraustausch mit Stadtbach oder Grundwasser gibt und somit keinen Eingriff in die Wasserökologie." Professor Christian Griebler, Biologe an der Universität Wien, ist aber beunruhigt. Der Forscher hat untersucht, welche Folgen es hat, wenn ein Industriebetrieb im großen Stil Kälte aus dem Untergrund entnimmt. Er stellte fest, dass sich Wärmefahnen, also Bereiche mit ungewöhnlichen Temperaturen bilden, und zwar dort, wo erwärmtes Grundwasser in den Untergrund gepumpt wurde.

"Die Länge dieser Wärmefahnen ist länger als 1,5 Kilometer. Und wir konnten zeigen, dass die höheren Grundwasserorganismen aus dem erwärmten Zentrum dieser Fahne verschwunden sind, also die Artenvielfalt dort signifikant zurück gegangen ist." Professor Christian Griebler, Biologie, Universität Wien

Auch das Münchner Grundwasser erwärmt sich an manchen Stellen in der Stadt auf bis zu 20 Grad. Kai Zosseder von der Technischen Universität München sieht bislang keine Gefahr, weist aber darauf hin, dass der weitere Ausbau genau überwacht werden muss: Wenn Grundwasser zur Verfügung stehe, könne man sehr effizient kühlen, man müsse das aber dringend managen und beobachten, damit man das auch ökologisch sauber macht.

Öffnen eines Gullideckels in München
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Video: Die Stadtwerke München wollen die Stadt klimaneutral mit Bachwasser und Grundwasser kühlen.