Die Geflügelpest ist schon seit Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. Umgangssprachlich wird sie auch Vogelgrippe genannt und grassiert vor allem unter Wildvögeln und Nutzgeflügel. Die Geflügelpest ist eine besonders schwer verlaufende Form der Aviären Influenza, die vor allem durch die Subtypen H5 und H7 verursacht wird. In der Fachsprache spricht man von der hochpathogenen Aviären Influenza (HPAI).
- Zum Hintergrund: Vogelgrippe in Bayern - was muss beachtet werden?
Geflügelpest nicht mehr nur im Winter
Einer der Subtypen von H5N1 breitet sich seit drei Jahren in Europa aus: erst unter Wildvögeln, dann auch in Massentierhaltungen. Vor allem in den Wintermonaten starben viele Vögel an der klassischen Geflügelpest, die bei Nutzgeflügel - wie Hühner und Puten - häufig schwer verläuft.
Doch im Sommer 2022 wurden erstmals Fälle außerhalb der normalen Saison festgestellt – mit verheerenden Folgen. Das führte laut EU-Gesundheitsbehörde ECDC zur bisher schwersten Epidemie in Europa. 37 Länder waren betroffen, vor allem Italien, Frankreich und Großbritannien. Insbesondere Meeresvögel infizierten sich häufig. Europaweit mussten fast 50 Millionen Tiere auf Geflügelhöfen und -farmen getötet werden.
Infektionen unter Wildvögeln sind gerade für Freilandhalter ein Problem – auch in Bayern. Vermutungen, welche Gründe die starken Ausbrüche hatten, gibt es viele – Beweise fehlen. Mittlerweile verbreitet sich H5N1 weiter über Nord- nach Mittel- und Südamerika.
Übertragung von Vögeln auf Säugetiere
Dann, im Oktober 2022, gab es einen Geflügelpest-Ausbruch auf einer Nerzfarm im Nordwesten von Spanien. Bereits zuvor gab es einige Fälle von Übertragungen von Vögeln auf Säugetiere: etwa bei Waschbären, Füchsen, Mardern oder Seehunden.
In seltenen Fällen wurde auch von der Übertragung auf den Menschen berichtet, allerdings nicht von Mensch zu Mensch. Das bedeutet: Es besteht die Gefahr einer Zoonose, also einer Infektionskrankheit, die vom Tier auf den Menschen übergeht – wie das Covid-19. In diesem Fall würde man dann von einer zoonotischen Influenza sprechen.
Übertragung von Säugetier zu Säugetier
In Spanien verbreitete sich das H5N1-Virus innerhalb weniger Wochen auf der gesamten Anlage, also auch zwischen den Nerzen. Damit wurde wahrscheinlich erstmals die Übertragung von Säugetier zu Säugetier beobachtet. Bisher hatten sich Säugetiere nur direkt bei infizierten Vögeln oder ihren Überresten angesteckt.
Experten fürchten nun, dass sich das Virus an Säugetiere angepasst hat: In Peru sind bis Anfang März bereits fast 3.500 Seelöwen an der Vogelgrippe verendet. Anfang Februar waren bereits rund 600 tote Tiere gezählt worden. Martin Beer, Leiter des Instituts für Virusdiagnostik (IVD) am Friedrich-Loeffler-Institut, sah bereits zu diesem Zeitpunkt in der hohen Todeszahl einen Hinweis darauf, dass dort das Virus möglicherweise von Seelöwe zu Seelöwe übertragen wird.
Bei genetischen Analysen des Geflügelpest-Erregers, der die Nerze befallen hatte, fiel eine bestimmte Gen-Mutation auf. Sie könnte dem Virus ermöglicht haben, von Nerz zu Nerz zu springen. Doch für das Virus war die Nerzfarm eine Sackgasse: Alle 50.000 Tiere wurden getötet, das Virus konnte sich nicht weiter ausbreiten. Dennoch stellt sich die Frage: Wird dieser Krankheitserreger auch für den Menschen gefährlicher?
Genetische Hürden bei Übertragung auf Menschen
"Das ist unglaublich besorgniserregend", sagte der Virologe Tom Peacock vom Imperial College in London dem Science-Magazin. Tendenziell könnte dieser Virusstamm eine Grippe-Pandemie auch beim Menschen auslösen – nämlich dann, wenn das Virus von Mensch zu Mensch weitergegeben werden kann. Dazu müsste sich das Virus allerdings in einem ersten Schritt an den Menschen anpassen und im zweiten ungehindert verbreiten können. Dazu scheinen die genetischen Hürden aber zu hoch zu sein: Die elf Mitarbeitenden der Nerzfarm in Spanien hatten sich nicht infiziert.
Laut Robert Koch-Institut sind Geflügelpest-Infektionen beim Menschen selten. In Deutschland gab es noch keinen bestätigten Fall. Wenn, dann kann es jedoch zu schweren Erkrankungen kommen. Laut dem wöchentlichen Bericht der WHO zur Vogelgrippe starben zwischen 2003 und 2014 die Hälfte aller Infizierten mit H5N1 in der Westpazifik-Region. Seitdem gab es aber kaum Krankheitsfälle. Das könnte daran liegen, dass damals ein anderer Subtyp zirkulierte.
Nerzfarmen anfällig für Virusverbreitung
Experten zeigen sich generell wegen der Nerzfarmen besorgt: Denn sie waren es auch, die im Herbst 2020 zahlreiche Übertragungen des Coronavirus zwischen Mensch und Tier möglich machten. Dort könnten Nerze zum Zwischenwirt zwischen Vogel und Mensch werden. Zusätzlich bieten Nerzfarmen optimale Voraussetzungen für die Verbreitung eines Virus: viele Tiere, wenig Platz. In freier Wildbahn seien Nerze nämlich Einzelgänger oder lebten in kleinen Gruppen, so der niederländische Tierpathologe Thijs Kuiken vom Erasmus University Medical Center in Rotterdam gegenüber Science.
Experte: Geringes Risiko für Pandemie
Was aber würde passieren, wenn H5N1 doch von Mensch zu Mensch weitergegeben werden könnte? Wenn beispielsweise ein Mitarbeiter auf einer Nerzfarm die "normale" Grippe hat, während die Nerze an Vogelgrippe erkrankt sind, sich beide Varianten vermischen und daraus eine Variante resultiert, die ansteckend für uns Menschen ist? Veterinärmediziner Martin Beer stuft das Risiko für eine neue Pandemie derzeit gering ein.
Das Virus zirkuliert bereits seit 1996 und hat immer wieder Säugetiere infiziert, in früheren Varianten auch Menschen. Die derzeitigen Varianten haben aber ein geringeres zoonotisches Risiko, so Beer im Gespräch mit BR24 (Mitte Februar 2023). Beobachten müsse man das Virus aber auf jeden Fall, dafür seien die Ausbrüche zu groß. Vorfälle wie auf der Nerzfarm müssten laut Beer gestoppt werden.
In der derzeitigen H5N1-Welle waren bis Mitte Februar 2023 sieben Ansteckungen beim Menschen bekannt, davon vier milde Verläufe, zwei schwere, eine Person starb. Die Fälle verteilten sich über Großbritannien, Spanien, USA, China, Vietnam und Ecuador. Und so lange sie selten bleiben und keine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich ist: keine Pandemie.
Impfung nicht beim Menschen, sondern beim Geflügel?
Martin Beer sieht daher noch keinen Grund, großflächig zu impfen. Möglich wäre das, denn es gibt schon einen geprüften und sicheren Impfstoff, der in der EU zugelassen ist, zumindest gegen den ursprünglichen H5-Typ. Diesen Impfstoff anzupassen wäre ratsam, so der Veterinärmediziner. Dann hätte man ihn im Falle des Falls vorrätig. Auch bestünde dann die Möglichkeit, Mitarbeitende von Geflügelfarmen zu impfen - oder generell Menschen, die in der Tierhaltung arbeiten.
Wichtiger sei aber auch die Überlegung, das Geflügel selbst gegen die Geflügelpest zu impfen. In einigen Ländern passiert das schon, in der EU ist diese Impfung jedoch bislang verboten. Falls das Virus in Zukunft aber jährlich auftritt, müssten voraussichtlich jedes Jahr Millionen Tiere an Nutzgeflügel gekeult werden. Dann wäre eine Impfung in der Diskussion, so Beer.
"Das Virus hat in den letzten 27 Jahren den Sprung auf den Menschen zum Glück nur ganz vereinzelt geschafft, aber nicht so, dass es sich ausbreiten konnte. Deswegen scheinen die Hürden für diese H5-Viren sehr hoch zu sein", sagt Martin Beer. Gefährlicher wäre es, wenn sich das Virus im Schwein vermehren würde, denn der Schritt vom Schwein auf den Menschen sei nicht mehr so groß für das Virus. Das wurde aber bisher nicht beobachtet.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!